Europäisches Filmfestival: L'Enfant - Das Kind

24.11.2015

Da lebt sie also, die von Politikern just entdeckte Unterschicht: Langzeit-arbeitslos, lethargisch, bildungsfern. Einst florierte hier, im ostdeutschen Harz, die Waldwirtschaft ? heute ist die Hillbilly-Tanzgruppe die letzte Zuflucht vor der sozialen Verwahrlosung. Mitten in diese Tristesse platzt nach Jahren in der Fremde der verlorene Sohn Krischan. Zwar ist auch der angebliche Kosmopolit abgebrannt wie alle anderen, doch voller Tatendrang und Ideen: Ein internationaler Holzfällerwettbewerb soll den nimmer erhofften Aufschwung ins Dorf bringen.

Vor diesem Hintergrund erzählt der junge, im Schwarzwald geborene Regisseur Matthias Keilich gleich mehrere Geschichten: eine melancholische vom Heimkehrer, der die Bande zu den düpierten Freunden und seiner alten Flamme neu knüpft; eine traurige von den menschlichen Kollateralschäden des sozialen Abstiegs; eine lustige von der abenteuerlichen und selten legalen Beschaffung des Startkapitals; und eine märchenhafte vom Gemeinsinn der Habenichtse, der über alle Bedrängnisse triumphiert.

Das ist freilich eine Menge Holz, bei dessen Behau etliche authentische, teils ins Skurrile gewendete Details aus dem Wendeverlierer-Alltag als Späne abfallen. Aufs Ganze gesehen fehlt der Inszenierung jedoch entschieden der Biss und den Figuren die Bodenhaftung der britischen Sozialkomödien („Ganz oder gar nicht?), denen Keilich nacheifert. Und wo diese den Zusammenhalt der Arbeiterklasse beschwören, lässt es jener bei der Botschaft bewenden, dass sich die Unterschicht, wenn sie sich nur am Riemen reißt, schon selbst aus dem Hartz-IV-Sumpf strampelt. Da lacht auch Franz Müntefering.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 44sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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