Ausstellung

Fenster in eine andere Wirklichkeit

Norbert Stockhus’ 83 beste Bilder aus vier Jahrzehnten werden unter dem Titel „Trugbilder und andere Wahrheiten“ in Bad Saulgau gezeigt.

18.10.2016

Von Cristina Priotto

Sehr zufrieden konnte der Glatter Maler Norbert Stockhus am Sonntag bei der Vernissage in Bad Saulgau mit dem Besucherandrang sein: Unter den mehr als 120 Kunstfreunden waren auch zahlreiche Fans des Künstlers aus dem Oberen Neckar-Raum. Das Bild „Lunten“ ist erst dieses Jahr fertiggeworden.Bild: cap

Sehr zufrieden konnte der Glatter Maler Norbert Stockhus am Sonntag bei der Vernissage in Bad Saulgau mit dem Besucherandrang sein: Unter den mehr als 120 Kunstfreunden waren auch zahlreiche Fans des Künstlers aus dem Oberen Neckar-Raum. Das Bild „Lunten“ ist erst dieses Jahr fertiggeworden.Bild: cap

Ein Künstler als Aussteller auf einer so riesigen Fläche wie der 1947 gegründeten Galerie Fähre, das sei die absolute Ausnahme, berichteten Kenner der Bad Saulgauer Kunstszene am Sonnntag bei der Eröffnung. Noch dazu, da Norbert Stockhus in Oberschwaben bislang noch nicht sehr bekannt ist. Dennoch: Rund 120 Kunstfreunde waren zur Vernissage gekommen, darunter jahrzehntelange Weggefährten – und auch namhafte Vertreter der regionalen Kunstszene wie Kreisarchivar Bernhard Rüth aus Rottweil, Richard Weinzierl vom Sulzer Bauernfeind-Museum und Benno Müller, Vorsitzender des Kunstvereins Oberer Neckar aus Horb.

Doch wer die Retrospektive mit 83 Bildern unter dem Titel „Trugbilder und andere Wahrheiten“
des Malers aus Glatt besichtigt, dem wird schnell klar, dass es kaum geeignetere Räume geben könnte, um das vielfältige Oeuvre des 68-Jährigen zur Geltung zu bringen: Die Rundbögen des Kreuzgangs ermöglichen, besonders in Kombination mit dem sonnendurchfluteten Lichthof des modernisierten Gebäudes, variable Perspektiven auf die Landschaftsansichten. Norbert Stockhus‘ Stadtbilder wie das monumentale Rottweil-Panoptikum „Überdauert“ hingegen haben ebenso einen eigenen Raum wie die Murmel-Serie, die „Glut“-Reihe, um aktuelle Werke ergänzt sowie die Portraits. In einem Kabinett finden zudem die Radierungen Platz.

Radierung gab Initialzündung

Den Kontakt stellte Moritz Baumgartl her: Über den Stuttgarter Künstler bekam Andreas Ruess zum ersten Mal eine Stockhus-Radierung zu Gesicht. „Das war die Initialzündung“, erzählte der Kulturamtsleiter von Bad Saulgau. Daraufhin fuhr Ruess nach Glatt – und war nach eigener Aussage „überwältigt von dem, was ich zu sehen bekam“, zumal es sich bei Stockhus‘ Werken um aus der Zeit gefallene Malerei handelt – eine Charakterisierung, die der Künstler selbst durchaus als Kompliment auffasst.

Dass es eine Retrospektive auf fast 40 Jahre wurde, lag laut Waltraud Stockhus, die auf dem ältesten Bild von 1979 zu sehen ist, vor allem daran, dass die „Fähre“ so unglaublich viel Platz bietet. Deshalb wurden unzählige Privatsammler gebeten, Leihgaben beizusteuern.

Mit einer philosophischen Einführung zum Thema Wahrheit stimmte Horst Peter Schlotter die Kunstfreunde auf die „Trugbilder und anderen Wahrheiten“ ein. „Wissen wir, was wir sehen sollen?“. Diese Frage müsse man sich bei der Betrachtung eines Stockhus-Bildes immer stellen. Um diesen Effekt zu erzielen, genügt dem Maler ein überschaubares Sortiment an Mitteln: Leinwand, Acrylfarben und Marderhaar-Pinsel. „Der feine Pinselstrich lässt die Materie vergessen, und der Trug wirkt überzeugend“, bemerkte Schlotter. Das Handwerk des Illusionisten beherrsche Norbert Stockhus jedenfalls meisterlich, insbesondere bezüglich der Lichtdarstellungen. Trotz tiefer Verwurzelung im Realismus setzt der 68-Jährige sich, etwa in der „Glut“-Serie, über physikalische Gesetze hinweg, und dennoch verlieren die Bilder nicht an inhärenter Logik. Faszinierend und ein Leitmotiv in vielen Gemälden sind auch die Murmeln: In verschiedenen Größen und Farben variiert Stockhus dieselbe Form unzählige Male, mal naturalistisch, dann eher wieder fantastisch – womöglich inspiriert durch den Billardtisch im Atelier. Ein Spieler sei Norbert Stockhus im positiven Sinne: Die „trompe l’oeil“-Tradition setzt der Maler ebenso fort wie der gebürtige Kirchheider Freude am Spiel mit Licht und Schatten, Vertiefung und Oberfläche hat. Bei den Landschafts- und Städteansichten erschließe der Künstler fremde, bisweilen auch scheinbar bekannte Orte auf visionäre Art und Weise. „Realist, oft Naturalist, manchmal aber eher Idealist und doch auch Fantast“, tat sich Horst Peter Schlotter schwer, passende Schablonen für seinen Künstlerkollegen zu finden. Die Faszination von Norbert Stockhus‘ Bildern gehe von der Durchdringung von Fantasie und Realität aus, die Trugbilder verwiesen auf andere Wahrheiten als die objektiv sichtbaren, lud der Laudator die vielen Kunstfreunde zu einem Rundgang ein.

Davon ließen sich die über 120 Besucher am Sonntag schon lange vor der Eröffnung und noch lange danach begeistern und nutzten die Gelegenheit, sich vom Künstler persönlich die Hintergründe der über 80 Werke erklären zu lassen.

Den meisterlichen Bildern setzte das „Duo Arcophon“ mit Franziska Fessler (Violine) und Jaro Baran (Percussion) beeindruckend zwei konstrastreiche Musikstücke entgegen: „Oblivion“ von Astor Piazzolla und Pierre Métrals Sonatine Nr. 1.

Kann der Kreis 2018 nachlegen?

Bernhard Rüth freute sich, dass nun auch der Obere Neckar in der „Fähre“, einer Hochburg für Kunstpräsentationen in Oberschwaben, wahrgenommen wird. „Die räumlichen Verhältnisse sind optimal“, schwärmte der Kreisarchivar. Ob der Kreis Rottweil 2018 zu Norbert Stockhus‘ 70. Geburtstag nachlegen kann? „Das wird eher schwierig“, gab Rüth zu. Doch da der Maler mit Atelier in Glatt immer weitere Kreise zieht, könnte der Rottweiler Kreisarchivar sich auch Stuttgart für die nächste große Stockhus-Retrospektive vorstellen. Bis dahin lohnt sich auf alle Fälle ein Besuch der Ausstellung in Bad Saulgau.

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Erstellt:
18.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 19sec
zuletzt aktualisiert: 18.10.2016, 01:00 Uhr

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