Abrissbagger rücken am Cinema Jenin an

Filmemacher Marcus Vetter: Das Herz blutet

Das Kino im Westjordanland ist nicht mehr. Marcus Vetters Projekt weicht einem Einkaufszentrum.

01.12.2016

Von Ulla Steuernagel

Dieses Foto zeigt das Kino von der Seite. Dort, wo die Baracken stehen, entstand später ein Gästehaus. Dieses Gästehaus bleibt vermutlich erhalten. Marcus Vetter hofft, dass hier die doppelte Zerstörungsgeschichte des Kinos dokumentiert werden kann. Die technische Ausstattung des Kinos hofft er, dem „Freedom Theater“ übertragen zu können. Privatbild

Dieses Foto zeigt das Kino von der Seite. Dort, wo die Baracken stehen, entstand später ein Gästehaus. Dieses Gästehaus bleibt vermutlich erhalten. Marcus Vetter hofft, dass hier die doppelte Zerstörungsgeschichte des Kinos dokumentiert werden kann. Die technische Ausstattung des Kinos hofft er, dem „Freedom Theater“ übertragen zu können. Privatbild

Die Wirklichkeit hält sich nicht immer an die Regeln von schönen Geschichten. So war es zwar ein kleines Wunder, dass es dem Tübinger Filmemacher Marcus Vetter gelang, ein internationales Hilfsprojekt für ein im Krieg zerstörtes Kino im Westjordanland anzustoßen. Doch das Wunder reichte gerade sechs Jahre, derzeit arbeiten die Abrissbagger an seiner Beseitigung.

2010 wurde das Cinema Jenin eröffnet, 2012 brachte Vetter einen Dokumentarfilm über das Kino in die Kinos. Die Kulturstätte hatte eine traurige Vorgeschichte, denn im Jahr 2005 war der zwölfjährige Achmed in der palästinensischen Flüchtlingsstadt Jenin von israelischen Soldaten getötet worden. Der Film darüber, „Heart of Jenin“ ging um die Welt, denn die Eltern des getöteten Jungen spendeten Achmeds Organe – unter anderem an ein jüdisch-orthodoxes Mädchen. Von dieser humanitären und zugleich politischen Tat handelte der erste Teil von Vetters Palästina-Trilogie, der Bau des Kinos war der zweite Teil, und schließlich begleitete er noch in „After the Silence“ eine Israelin zum Gespräch mit der Familie eines Selbstmordattentäters.

Nicht nur solche, aber auch solche Filme, die die Sprache der Versöhnung sprechen, sollten in dem Kino laufen. Das Kino, in den fünfziger Jahren gebaut, war mit großer Unterstützung aus dem Ausland wiedererrichtet und auch mit Tübinger Einsatz technisch ausgerüstet worden. Doch seit Montag arbeiten die Abrissbirnen an der Zerstörung dieses Zeugnisses von Austausch und Versöhnung.

Marcus Vetter sah ein Video über den Abriss, doch, wie er sagt: „Ich konnte es nicht länger als zwei Minuten anschauen.“

Vetter nennt einige Gründe für das Sterben dieses Kulturdenkmals. Da sind zum Beispiel die Eigentümer, eine 32-köpfige Erbengemeinschaft, die das Grundstück für umgerechnet 1,7 Millionen Euro verkaufen konnten. Aber nicht nur die Dollarzeichen führten zum Kino-Ende, auch die Konflikte in der palästinensischen Gesellschaft sind mitverantwortlich. Radikale Kräfte wollten das Kino politischer und antiisraelischer. Der Kinobesuch wurde zur Mutprobe. Vielleicht wäre alles anders gekommen, so Vetter, wenn nicht der Kinobetreiber in spe, Juliano Mer Khamis, kurz vor der Eröffnung des Hauses ermordet worden wäre.

Jahrelang hat Vetter im Ausland Geld für Jenin besorgt, es blieb die einzige Finanzierungsbasis. Zehn Arbeitsplätze wurden so geschaffen, doch als die Evangelische Kirche als Sponsor aussteigen musste, brach die ökonomische Basis zusammen. Vetter blutet das Herz, aber in diesem unmöglichen Projekt musste Scheitern immer mitgedacht werden. Dennoch hat das Kino den Mitarbeitern geholfen. Sie haben schon fast alle wieder neue Arbeitsplätze gefunden.