Cold Case

Foto wirkte wie ein Trigger

Der Kronzeuge im Verfahren um 25 Jahre alten Frauenmord untermauert seine Aussage, warum er den Angeklagten für den Täter hält.

18.03.2021

Von DOMINIQUE LEIBBRAND

2007 stand der Angeklagte wegen eines Tötungsdelikts in Würzburg vor Gericht. Bilder von damals spielen im aktuellen Prozess eine Rolle. Foto: Daniel Karmann/dpa

2007 stand der Angeklagte wegen eines Tötungsdelikts in Würzburg vor Gericht. Bilder von damals spielen im aktuellen Prozess eine Rolle. Foto: Daniel Karmann/dpa

Stuttgart/Sindelfingen. Wie gut funktioniert die Erinnerung nach mehr als 25 Jahren? Dennis B., 68, pensionierter US-Navy-Pilot, jedenfalls ist sich zu „100 Prozent sicher“, Hartmut M., den Angeklagten im sogenannten Sindelfinger Cold-Case-Verfahren, auch nach dieser Zeit wieder zu erkennen. Mehr noch: Für ihn ist der 70-Jährige der Mörder der Künstlerin Brigitta J. Er soll die Stuttgarterin am Abend des 14. Juli 1995 mit 24 Messerstichen auf offener Straße getötet haben.

Am mittlerweile 21. Verhandlungstag rund um die Ermordung der damals 35-Jährigen ist der US-Amerikaner erneut per Video aus Atlanta (Georgia) ins Stuttgarter Landgericht zugeschaltet. Bereits Mitte Februar war der Pensionär, der die Tat durch Zufall live miterlebt hatte, befragt worden und hatte detail- und gestenreich seine Beobachtungen geschildert. Gemeinsam mit einem Unteroffizier hatte er gesehen, wie Täter und Opfer gekämpft hatten, und er hatte dem Angreifer direkt ins Gesicht gesehen, bevor dieser mit einem Auto davongefahren war.

Ins Gedächtnis eingebrannt

Diese schreckliche Nacht habe sich in sein Gedächtnis eingebrannt, schildert der US-Amerikaner. „Ich kann mich an viele Details erinnern, als wäre es gestern gewesen.“ Schließlich sei er das erste Mal Zeuge eines kaltblütigen, grausamen Mordes geworden. Einführende Worte des Kronzeugen, die, so hat es den Anschein, seine Glaubwürdigkeit untermauern und erklären sollen, warum er sich nach seiner Befragung über einen Mittelsmann erneut mit brisanten E-Mails ans Gericht gewandt hatte.

Darin berichtet B., dass er im Internet ein Foto von Hartmut M. gefunden habe, das 2007 im Prozess um die Tötung einer anderen Frau aufgenommen worden war. „Das ist verdammt nochmal der Drecksmörder“, schreibt er dem Mittelsmann, einem pensionierten Kriminalbeamten, den er im Zuge der Ermittlungen 1995 kennengelernt und zu dem er danach lose Kontakt gehalten hatte. Zuvor habe er M. immer nur mit Maske gesehen. Er entspreche zu 100 Prozent seiner Beschreibung des Täters.

Ihm sei nicht klar gewesen, dass die Mails im Wortlaut an das Gericht weitergeleitet würden, sagt B. am Mittwoch. „Sonst wäre ich in meiner Wortwahl weniger dramatisch gewesen.“ Die Botschaft sei jedoch dieselbe. Aber kann man sich Jahrzehnte später bei einer solchen Aussage sicher sein? Oder möchte da ein Mann, der einer sterbenden Frau nicht mehr helfen konnte, unbedingt einen Täter verurteilt wissen? Ein Eindruck, der entstehen kann.

Gleichwohl schildert B. glaubhaft, dass das Foto wie ein Trigger eine Erinnerung in ihm ausgelöst habe. „Als ich das Bild gesehen habe, habe ich gesagt, das ist der Mann.“ Schließlich wird er direkt mit dem Angeklagten konfrontiert. Die Antwort: „Er sieht ähnlich aus, aber älter.“ Bereits in seiner ersten Befragung war ihm – jedoch ohne nähere Erklärungen – ein altes Foto von Hartmut M. gezeigt worden. Auch damals hatte er große Übereinstimmungen gesehen.

Weniger sicher ist sich der Zeuge, wenn es um das Fluchtauto des Täters geht. Dieses hatte er stets als helles Handwerkerauto beschrieben. „Ich bin kein Auto-Typ“, sagt B. aber vor Gericht und rechtfertigt damit indirekt, dass er es mittlerweile für wahrscheinlich hält, dass das Fluchtauto ein Honda CRX gewesen sein könnte, wie ihn der Angeklagte seinerzeit fuhr. Erst bei seiner Internetrecherche habe er das Modell erstmals gesehen. Es ist der einzig richtige Angriffspunkt für die Verteidigung, die B. eine Aussage von 1995 vorhält, in der er beteuert haben soll, das Modell zu kennen und es nicht am Tatort gesehen zu haben. Daran könne er sich nicht erinnern, so B.

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Erstellt:
18.03.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.03.2021, 06:00 Uhr

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