Interview

„Frankreich ist kein Vorbild“

Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Interview zu Reformen des Ehegattensplittings.

16.04.2021

Von DIETER KELLER

Steuerexpertin Katharina Wrohlich vom DIW Berlin. Foto: DIW

Steuerexpertin Katharina Wrohlich vom DIW Berlin. Foto: DIW

Berlin. Bei jeder Reform des Ehegattensplittings darf nicht nur auf die Benachteiligung der Frauen geschaut werden, fordert Katharina Wrohlich, die sich beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) mit Familien-, Steuer- und Sozialpolitik beschäftigt.

Diskriminiert derzeit das Ehegattensplitting die Frauen?

Katharina Wrohlich Ja. Das Steuerrecht ist zwar vermeintlich geschlechtsneutral. Aber Frauen sind viel häufiger die Zweitverdiener als Männer. Die Zuverdienerin hat eine deutlich höhere Steuerbelastung. Dadurch kommt die Diskriminierung der Frauen durch das Ehegattensplitting zustande.

Gibt es eine einfache und gerechte Alternative?

Jede Reform muss nicht nur rechtskonform sein und bei der Geschlechtergerechtigkeit Verbesserungen bringen. Sie sollte auch an den Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings etwas ändern. Denn davon profitieren derzeit in hohem Ausmaß Alleinverdiener-Ehepaare mit hohem Einkommen – und zwar unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Ehepaare mit niedrigem Einkommen profitieren dagegen gar nicht. Ein Vorschlag wie die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag wäre rechtskonform und brächte Verbesserungen bei der Gleichstellung der Geschlechter sowie bei der Verteilungsgerechtigkeit.

Was halten Sie vom Familiensplitting, also Kinder einzubeziehen?

Da kommt es sehr stark darauf an, wie man es ausgestaltet. Häufig gilt Frankreich als Vorbild. Aber gerade dort bleiben viele unerwünschte Wirkungen bestehen. Auch dort profitieren kinderlose Alleinverdiener-Ehepaare sehr stark. Durch die deutschen Kinderfreibeträge ist das System gar nicht so viel anders. Das würde sich ändern, wenn man steuerliche Entlastungen nur noch an das Vorhandensein von Kindern knüpft.

Wären Sie dafür, die Steuervorteile von der Ehe abzukoppeln und nur Kinder zu berücksichtigen?

In Deutschland ist der Gedanke, dass private Unterhaltsverpflichtungen die steuerliche Leistungsfähigkeit mindern, rechtlich fest verankert. Das muss zumindest zu einem Teil auch in einem neuen System berücksichtigt werden. In einer Ehe bestehen Unterhaltsverpflichtungen, wenn ein Partner kein eigenes Einkommen hat. Das würde durch die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag zumindest zum Teil berücksichtigt.