Ziemlich beste Festival-Aussichten

Französische Filmtage starten mit einer Zeitreise, erwarten Altmeister und ein Sternchen

Leinwand frei für die 29. Französischen Filmtage. Eine Woche lang, vom 31. Oktober bis zum 7. November, wird auf den Kinoleinwänden in Tübingen, Rottenburg und Mössingen wieder vorwiegend französisch parliert. Zum feierlichen Auftakt des größten frankophonen Filmfestivals in Deutschland geht es am Mittwoch im Kino Museum zurück in die achtziger Jahre.

27.10.2012

Von Klaus-Peter Eichele

Noémie Lvovsky, die Regisseurin und Hauptdarstellerin des Eröffnungsfilms Camille redouble (Trailer links), erzählt von einer frustrierten Frau Anfang 40, die auf einer Silvesterparty in Ohnmacht fällt - und als 16-Jährige in der "La Boum"-Ära wieder erwacht. Mit dem Bewusstsein (und dem Körper) einer Erwachsenen durchlebt der wiedergeborene Teenie noch einmal seine Pubertät und will dabei möglichst alte Fehler korrigieren - insbesondere die Liebschaft mit ihrem späteren Ehemann.

Für Festivalchef Christopher Buchholz ist die schwungvolle Zeitreise-Komödie der "perfekte Eröffnungsfilm": "witzig, rührend und phantasievoll". Regisseurin Noémie Lvovsky, die man in Deutschland eher als Schauspielerin ("Lebewohl, meine Königin", "Jungs bleiben Jungs") kennt, wird bei der Eröffnung anwesend sein.

Zurück in die Gegenwart. 2012 hatten die Franzosen viel Grund zum Jubeln. Erst räumte der Neo-Stummfilm "The Artitst" bei der Oscar-Verleihung ab, dann mauserte sich die Komödie "Ziemlich beste Freunde" auch in Deutschland zu einem Blockbuster ungeahnten Ausmaßes. Ob die zuletzt nicht immer mit Publikumsmassen verwöhnten Französischen Filmtage von diesem Boom profitieren können? Sicher ist: Bei rund 100 kurzen und langen, neuen und älteren Filmen auf dem Spielplan, ist für jeden Geschmack etwas dabei.

"Les saveurs du palais" mit Catherine Frot.

"Les saveurs du palais" mit Catherine Frot.

War die letztjährige Festivalausgabe etwas bleiern ausgefallen, so gibt es diesmal einen ganzen Strauß mit Komödien. Les saveurs du palais, der aus der Leib-und-Magen-Beziehung Francois Mitterrands zu seiner Köchin einigen Witz kitzelt, füllt derzeit in ganz Frankreich die Kinosäle. Und die Doku-Komödie La vierge, les coptes et moi über einen Filmemacher, der in Ägypten einer mysteriösen Marienerscheinung auf den Grund gehen will, heimste vom rechten "Figaro" bis zur linken "L'Humanité" Top-Kritiken ein. Wer im Kino lieber zittert als lacht, braucht auch nicht zu darben. Hochspannung verspricht etwa der Thriller 38 temoins, in dem eine Studentin vor den Fenstern eines Appartmenthauses ermordet wird - und keiner will etwas gesehen oder gehört haben.

Der Ernst des Lebens verschafft sich unter anderem mit einer Vielzahl von Dokumentarfilmen Luft: es geht um den Alltag von Hirten im Alpenvorland, hochbetagte Schwule oder das zermürbende Warten auf eine Organspende. Mit Jacqueline Veuve, seit 50 Jahren unermüdliche Ethnographin ihrer Westschweizer Heimat, wird eine der bedeutendsten europäischen Dokumentarfilmerinnen mit einer Werkschau geehrt. Ihr aktueller Film sollte im sangesfreudigen Tübingen besonderen Anklang finden: Vibrato zeigt, wie Jugendliche im Kanton Fribourg dem Chorgesang verfallen.

Isabelle Huppert in "White Material" von Claire Denis.

Isabelle Huppert in "White Material" von Claire Denis.

Die Gästeliste ist wie immer, seit Christopher Buchholz die Festivalleitung übernommen hat, prall gefüllt - und ausgewogen gemischt mit Newcomern und alten Kinohasen. So kommt mit Volker Schlöndorff ein Monument sowohl der Filmgeschichte als auch der deutsch-französischen Kinobeziehungen nach Tübingen. Der einstige Oscar-Winner ("Die Blechtrommel") hat seine Sturm-und-Drang-Zeit in Frankreich verbracht und ist für seinen jüngsten Film La mer à l'aube in seine zweite Heimat zurückgekehrt. Auch Claire Denis, die das Festival mit einem Rückblick auf ihr fast drei Jahrzehnte umspannendes Werk würdigt, darf für sich den Titel einer Grande Dame in Anspruch nehmen. In ihrem jüngsten Opus White Material spielt Isabelle Huppert eine Plantagenbesitzerin in Afrika, die vor dem um sie herum tobenden Bürgerkrieg die Augen verschließt. Bei den Filmtagen wird die 64-Jährige auch einen Workshop geben.

Christa Theret in "Renoir".

Christa Theret in "Renoir".

Im Kern verstehen sich die Französischen Filmtage aber nach wie vor als Platform für das junge französischsprachige Kino. Davon zeugt der traditionsreiche Wettbewerb mit neun neuen Nachwuchsfilmen aus Frankreich, Belgien, der Schweiz, Kanada und, erstmals, Ruanda. Die Mehrzahl der jungen Regisseure und Regisseurinnen wird ihr erstes oder zweites Leinwandwerk persönlich präsentieren. Auf glamouröse Stars muss das Tübinger Publikum dagegen auch in diesem Jahr verzichten. Obwohl: Die 21-jährige Schauspielerin Christa Theret, Festivalgast mit Renoir und Mike" schickt sich gerade an, in Frankreich eine ganz große Nummer zu werden.

Einen Grund zum Feiern gibt es auch. Seit 25 Jahren wird bei den Filmtagen das „Afrika-Paket“ geschnürt. Bärbel Mauch, Bernd Wolpert und Jörg Wenzel sorgen seit dieser Zeit dafür, dass das früher „nicht sichtbare afrikanische Kino“ die deutschen Kinos wenigstens streift.

Die Zahl ist krumm, aber beachtlich: 29. Französische Filmtage. Sie werden am kommenden Mittwoch um 19.30 Uhr im Museum 1 eröffnet. Fast 100 Filme stehen auch diesmal wieder auf dem Programm. Gespielt wird auf den drei Leinwänden des Kino Museums in Tübingen, in den Kinos Arsenal und Atelier, den Lichtspielen Mössingen, im Waldhorn-Kino in Rottenburg und im Delphi 1 und 2 in Stuttgart. Offizielle Tübinger Festivalrestaurants sind „Zum Gutenberg“ und „Die Kelter“. Kartenreservierungen für alle Tübinger Vorstellungen sind unter Telefon 07071 / 569656 (ab 18 Uhr an den Kinokassen) oder online unter www.filmtage.de möglich. Der Sechserblock kostet 39 Euro, Einzeltickets: 7,50 Euro (nur in Mössingen 6 Euro). Eintritt für Konzerte: 10 Euro.