Nordstetten · Schicksalsschlag

Platz ist Luxus

Die Familie Hübl hat bei einem Brand im Juli fast alles verloren. Aber sie haben sich – und feiern Weihnachten dieses Jahr eben einfach anders.

24.12.2019

Von Dagmar Stepper

Die Familie Hübl feiert Weihnachten dieses Jahr im Container, ihr Haus ist seit einem Brand im Juli unbewohnbar. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Die Familie Hübl feiert Weihnachten dieses Jahr im Container, ihr Haus ist seit einem Brand im Juli unbewohnbar. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Ariane weiß ganz genau, was das Christkind heute Abend unter den Weihnachtsbaum legen soll: eine Spielküche. Aber wahrscheinlich wird die Sechsjährige etwas Kleineres vorfinden. Denn Weihnachten ist dieses Jahr ganz anders als in den vergangenen Jahren. Der Tannenbaum steht zwar bereits in seiner ganzen Pracht im Wohnzimmer, auf dem Tisch locken Weihnachtsplätzchen zum Naschen, es ist warm. Aber die Familie Hübl feiert Weihnachten nicht in ihrem Wohnhaus, sondern im Container.

Knapp ein halbes Jahr ist seit dem Großbrand vergangen, bei dem die Familie Hübl fast alles verlor. Am späten Nachmittag entzündete sich das Heu in der Scheune, die ans Wohnhaus angrenzt. Die Feuerwehr war mit mehr als 70 Kräften vor Ort, tat alles Menschenmögliche, damit sich der Brand nicht zum Flächenbrand ausweitete.

Die Scheune brannte bis auf die Grundmauern nieder, das angrenzende Wohnhaus wurde stark beschädigt, das Auto zerstört. Möbel, Kleider, Geschirr – fast der komplette Hausrat, der sich im Laufe des Lebens angesammelt hat – ist durch Rauch und Ruß unbrauchbar geworden. Die fünfköpfige Familie Hübl blieb unverletzt, der Stall unberührt. „Wir haben das Materielle verloren, aber das ist ersetzbar“, sagt Thomas Hübl.

Tiere immer in der Nähe

Das Haus ist nicht mehr bewohnbar, wo sollte die Familie unterkommen? Es gab Angebote, nach Nordstetten zu ziehen. Doch die Hübls wollten in der Nähe ihrer Tiere bleiben. „Privat und Geschäft ist bei uns nicht zu trennen“, stellt Thomas Hübl klar. 150 Milchkühe stehen im Stall, mit den Jungtieren sind es 300. Morgens und abends wird gemolken, das Ehepaar will in der Nähe sein, wenn eine Kuh kalbt, ein Tier krank ist. Daher haben sie sich für einen Container als Übergangslösung entschieden.

Wenn sie aus dem Fenster schauen, blicken sie direkt auf den Stall. Der Weg zur Haustür ist matschig, eigentlich wollten sie ihn asphaltieren, aber nach dem Brand wurde das Projekt aufgeschoben. Im Vorraum stehen verdreckte Schuhe, die Familie ist in dicken Wollsocken unterwegs. Diana Hübl bittet herein in die gute Stube, eine Kombination aus Wohn- und Esszimmer, Küche und Büro. Nebenan gibt es weitere drei Zimmer: ein Schlafzimmer für die Kinder, eins für die Eltern, ein Raum mit den sanitären Anlagen. „Vorher hatten wir zwei Bäder und drei WCs“, erzählt Diana Hübl, „jetzt hat jeder nur eine bestimmte Zeit zum Duschen, damit das warme Wasser für alle reicht.“

Auch das gemeinsame Schlafen in einem Zimmer ist für die drei Kinder eine Umstellung. Frederik (9) freut sich auf jeden Fall wieder auf ein eigenes Zimmer. Aber er freut sich noch mehr, dass die Familie nah bei den Tieren ist. Jeden Tag ist er draußen, gerade warten alle sehnsüchtig auf den Nachwuchs bei Lucy, eins der fünf Schafe, die zur Familie gehören. „Für die Kinder sind die Tiere etwas Tolles, die Spielmöglichkeiten wären weg, wenn wir ins Dorf gezogen wären“, erzählt Diana Hübl. Die Kinder nicken dazu.

Sie sind ein wenig aufgeregt, nicht nur wegen Weihnachten, sondern wegen der ganzen Situation. „Aber sie ziehen gut mit“, sagt die Mutter, während Ariane auf ihrem Schoß sitzt und ein Bild malt. Klar, die Familie hockt viel enger aufeinander als in ihrem großen Haus. Die Küche ist ein weiteres Thema: Die Waschmaschine summt im Hintergrund, der Trockner steht aus Platzgründen im Elternschlafzimmer. Der Herd ist für Diana Hübl etwas gewöhnungsbedürftig, Plätzchen hat sie trotzdem gebacken. Auch am heutigen Heiligabend kommt die Familie zu ihnen, wie es schon immer Tradition war. „Das wollten wir beibehalten“, sagt Diana Hübl.

Geliehener Weihnachtsschmuck

Sie blickt auf den Tannenbaum, ein Geschenk von einem Freund. Die Lichter, Christbaumkugeln und Strohsterne sind geliehen, ihren eigenen Weihnachtsschmuck musste sie wegwerfen. Wochenlang waren sie damit beschäftigt, den in Kisten verpackten Hausrat durchzugehen. Doch der Brandgeruch sitzt fest, auch nach drei Mal Kleiderwäsche. Die Hübls sind froh, dass ihre Geschäftsunterlagen, Computer und Server gerettet wurden. Darum hat sich die Feuerwehr gleich gekümmert. Die Ordner stehen jetzt in einer Ecke des Raums, dem sogenannten Büro. Hochzeitskleider und Fotoalben hat die Feuerwehr ebenfalls rasch aus dem Haus geholt, doch wie weit der Brandgeruch sie durchdrungen hat, wissen die Hübls noch nicht. Sie haben ein wenig Angst davor, diese persönliche Sachen anzuschauen. Was, wenn der Geruch auch hier drin sitzt?

Aber das Ehepaar hat auch wenig Zeit. Nach dem Brand stand erstmal die Ernte an, die Tiere müssen das ganze Jahr über versorgt werden, und dann ist da noch die Sache mit der Versicherung und den Gutachten. „Das ist alles sehr zeitaufwändig und noch vieles offen“, sagte Thomas Hübl. Sie wissen noch nicht, ob das Haus abgerissen und neu gebaut wird, oder ob eine Sanierung reicht. Sehr froh sind sie allerdings, dass Mitte November ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft bestätigte, dass keine Brandstiftung von Kindern vorliegt. Sohn Frederik hat den Brand entdeckt, daher wurde auch in dieser Richtung ermittelt. Das hat den Neunjährigen belastet. Das ist jetzt vom Tisch, und seit diesem Schreiben zahlt auch die Versicherung.

Ob es die erste und letzte Weihnacht im Container bleibt, ist noch ungewiss. Die Familie hofft, dass sie Dezember 2020 umziehen kann, wahrscheinlicher ist aber Frühjahr 2021. Ariane macht auf jeden Fall das Zimmer etwas gemütlicher für diesen Heiligabend. Sie hängt Bilder an die Wand, auf dem Boden sitzen ihre Puppen. Für die Puppenküche wird es aber eng, es ist zu wenig Platz. Daher wünscht sich Frederik handliche Lego-Technik, Jonas (14) für den PC eine Spielkonsole – und noch etliches mehr. „Na, na“, sagt Diana Hübl und lacht.

„Es ist hart, alles zu verlieren, es ist schwieriger, aber wir sind alle gesund, niemand wurde verletzt“, resümiert sie. Sie ist vor allem dankbar. „Ein großes Dankeschön an Feuerwehr und DRK, für die ganzen Sach- und Geldspenden, ein Dank an die Vereine und Firmen, an alle, die ein offenes Ohr hatten und Hilfe angeboten haben“, das will sie noch unbedingt loswerden. Sie hätten den Hof mit den Sachen füllen können, die ihnen angeboten wurden. Doch Platz ist gerade Luxus. Ariane sieht das ein. Aber das Christkind bringt ihr auf jeden Fall heute Abend etwas vorbei, das weiß die Sechsjährige und lächelt erwartungsfroh.

Adventskranz, Plätzchen und selbstgemalte Bilder lockern die Container-Atmosphäre auf. Doch am wichtigsten ist das Zusammensein in der Familie.

Adventskranz, Plätzchen und selbstgemalte Bilder lockern die Container-Atmosphäre auf. Doch am wichtigsten ist das Zusammensein in der Familie.

Platz ist Luxus

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24.12.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 24.12.2019, 01:00 Uhr

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