Freudenstadt · Hauptversammlung

Freudenstädter Modell ist gesellschaftliches Labor

Das Familienzentrum Freudenstadt ist seit 30 Jahren ein mittelständisches soziales Nonprofit-Unternehmen mit ehrenamtlicher Leitung.

26.11.2021

Von NC

Das Führungsteam des Familienzentrums: Die hintere Reihe ist für die Finanzen zuständig (von links): Dorothea Hinrichs-Seeger, Lili Schock, Sandra Fahrner und Priska Giek. Davor die Vorstandsriege (von links): Gesine Junghanns, Elisabeth Eiermann, Marianne Reißing und Elisabeth Gebele. Bild: Familienzentrum

Das Führungsteam des Familienzentrums: Die hintere Reihe ist für die Finanzen zuständig (von links): Dorothea Hinrichs-Seeger, Lili Schock, Sandra Fahrner und Priska Giek. Davor die Vorstandsriege (von links): Gesine Junghanns, Elisabeth Eiermann, Marianne Reißing und Elisabeth Gebele. Bild: Familienzentrum

Vorsitzende Marianne Reißing sagte in ihrem Jahresbericht 2020: „Die Herausforderungen waren immens und geprägt von der Pandemie und den wegbrechenden Einnahmen.“ Das Familienzentrum (FZF) hat 90Mitarbeitende, davon sind 26 Festangestellte. Im Geschäftsbericht wurde deutlich, dass der Begegnungsbereich sehr unter dem über ein Jahr geschlossenen Café „Augenblick“ gelitten hat.

Das FZF musste neue Möglichkeiten konzipieren, um Eltern, Kinder und alte Menschen weiterhin zu erreichen. Viele der über 60 Angebote wurden ins Freie verlegt und teilweise in digitalen Formaten angeboten. Zahlreiche neue Hilfen wurden auf den Weg gebracht: Von der Einkaufshilfe für alte Menschen über Mittagstisch im Weckglas, Bügel- und Nähservice bis zu Angeboten für pflegende Angehörige und Alltagsentlastung für Familien. Eine spendengestützte Familiennothilfen wurde eingerichtet.

Im dreigruppigen Kinderkrippenbereich mit flexiblem Platzsharing-Modell gab es Notbetreuungsgruppen. 2020 wurden insgesamt 53 Kinder von 6 Monaten bis 3Jahren aus 12 Nationen betreut, 17 Kinder haben einen Migrationshintergrund. „Wir sind heilfroh und dankbar, dass wir durch ein gut greifendes Infektionsprophylaxe-Management mit ausgefeilten Hygienekonzepten und Schichtdienstmodellen in 2020 keinen ernsthaften Covid-Fall zu verbuchen hatten“, sagte Reißing.

Für Kinder konnten 2020 die bestehenden Angebote in reduzierter Form aufrechterhalten werden. Im Familienbildungsbereich wurden die Angebote des landesweiten Stärke-Elternbildungsbereichs nach digitalen Schulungen weitergeführt – digital, im Freien und in Präsenz. Ein Herzensanliegen ist den FZF-Verantwortlichen der milieuübergreifende sowie der intergenerative Vielfaltsansatz. Während der Pandemie wurden weiterhin Paten-Oma-Opa-Dienst, Strick-Café, Jung-Alt-Cafés und Jung-Alt-Schulungen in digitalen Medien angeboten.

Für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz wurde über die Fortbildungsreihe hinaus der „Demenz-Treff am Kachelofen“ ausgebaut.

FZF-Mitarbeiterinnen erreichten Mütter und Kinder in Flüchtlingsunterkünften während der Lockdowns, indem sie die Menschen besuchten und Angebote in den Unterkünften umsetzten. So konnten Sprachförderangebote und Deutschunterricht für Flüchtlingsmütter mit parallel stattfindender Kinderbetreuung aufrecht erhalten werden. „Ein großer Bedarf und große Not wird in der Region sichtbar, wo sich viele Asylhelferkreise aufgelöst haben“, sagte Reißing.

Integrationsprozesse müssten aber in Jahrzehnten gedacht werden. Die Traumatisierungen aus Krieg und Flucht stellten ein großes gesamtgesellschaftlich zu stemmendes Problem dar. „Diese tiefgreifenden Nöte dürfen nicht aus dem öffentlichen Blick geraten und vermehrt dem Ehrenamtsbereich überlassen werden.“

Der inklusive Resozialisierungsbereich lief 2020 weiter. Im FZF werden wochentags schwerbehinderte und psychisch kranke Menschen durch Arbeitsbetreuerinnen in unterschiedlichen Werkstattbereichen betreut im Rahmen der Eingliederungshilfe. Auch die Beschäftigungsbereiche für Langzeitarbeitslose in Kooperation mit dem Jobcenter mussten nicht geschlossen werden. „Es war ein Segen für die Betroffenen, dass wir im FZF die Werkstattbereiche, im Gegensatz zu manchen anderen Einrichtungen in Baden-Württemberg, offen halten durften.“ Behinderte sowie psychisch kranke Menschen hätten weitreichendere Ängste in einer Pandemie und brauchten viel Begleitung.

Das FZF, ein in 30 Jahren gewachsener Sozialbetrieb, der die Dimension eines mittelständischen Unternehmens aufweist und im Ehrenamt geführt wird, brauche langfristig Planungssicherheiten, sagte Reißing. Das FZF finanziert sich immer noch überwiegend über Zuschüsse, Spenden und Eigeneinnahmen. „Ein Politikum“, so Reißing. „Wir sind sehr dankbar für das so vertrauensvolle Zusammenwirken mit der Stadt und dem Landkreis im psychosozialen Gefüge, sind aber weiter so sehr abhängig von Spenden und breitem bürgerschaftlichen Engagement.“

Als großen politischen Erfolg wird die Aufnahme der Mehrgenerationenhäuser von 2021 bis 2028 in ein gesamtdeutsches Fördersystem, den „Plan für Deutschland“ gewertet. Das FZF wurde mit weiteren 530 Häusern als regionales Modell von der Bundesregierung ausgewählt.

Reißing ging in ihrem Bericht auf den Wahrnehmungs- und Gestaltwandel sozialer Ungleichheit ein. In Zukunft brauche es große gemeinsame Anstrengungen von Staat, Kirche, Wirtschaft und Bürgerschaft, um nicht nur territoriale, sondern auch soziale Integration einer Wissensgesellschaft zu ermöglichen, insbesondere auch im ländlichen Raum, sagte sie. „Und das entscheidet sich vor Ort.“

Bei den Vorstandswahlen wurde die vierköpfige Vorstandsriege bestehen aus Elisabeth Eiermann, Elisabeth Gebele, Gesine Junghanns und Marianne Reißing im Amt bestätigt.

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Erstellt:
26.11.2021, 15:22 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 20sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2021, 15:22 Uhr

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