Lesung

Fromm, aber mit miesem Charakter

Neben der Stiftskirche bildet das Finanzamt einen markanten Blickfang im Horber Stadtpanorama. Das repräsentative, nach dem Stadtbrand 1727 errichtete Gebäude diente den Dominikanerinnen als Kloster.

25.06.2018

Von Hans-Michael Greiß

Nobert und Franz Geßler begutachten mit Wilhelm Glaser (von links) die Grabplatte ihrer Urgroßtante, der Priorin Catharina Gessler (unten). Bilder: Greiß

Nobert und Franz Geßler begutachten mit Wilhelm Glaser (von links) die Grabplatte ihrer Urgroßtante, der Priorin Catharina Gessler (unten). Bilder: Greiß

Schon wenige Jahre nach der Gründung des Ordens kamen die ersten Dominikanerinnen 1218 nach Horb, woran Stadt- und Kirchengemeinde mit einem Jubiläumsfest, einer Ausstellung und einer Vortragsreihe erinnern. Den Auftakt machte der Arbeitskreis Stadtarchiv mit einer Lesung aus einem Visitationsdokument von 1782, das einen profunden Einblick in das Klosterleben gab.

„Alltag im Horber Dominikanerinnenkloster“ war die Lesung überschrieben, doch dies bezog sich nur auf den kurzen Teil, den der Visitator, Ordensprovinzial Carolus Welz vom Kloster Kirchberg, als Tagesablauf protokollierte. Die 24-jährige Nonne Amanda Haisch schilderte ihm, der Tag beginne um vier Uhr, nach den ersten Gebeten und einer Stunde Freizeit beginne die Conventmesse, die individuelle Aufgabe schließe sich an. Um 11 Uhr werde zu Tisch geläutet, anschließend diene eine Stunde der Erfrischung. Eine Stunde gemeinschaftlicher Arbeit, getaktet vom Gebet zweier Rosenkränze werde abgelöst von einer Stunde Betrachtung in der persönlichen Zelle, bevor bis 16 Uhr die Vesper andauere. Zwei Stunden widmeten sie dem Gehorsam, bevor um 18 Uhr das Abendessen aufgetischt werde. Chorgesang, Rosenkranz- und Abendgebet beschlössen den Tag. Mit dem Zeichen zum Stillschweigen beginne die Nachtruhe.

Doch nicht der Ablauf dieses heiligmäßigen Lebens interessierte den Visitator, vielmehr musste er einer Anzeige nachgehen, dass an diesem heiligen Ort gerade der Teufel los sei. Bei zwei jungen Nonnen Maria Domenica Ziesinger und Crescentia Kupfer, beide um 30 Jahre alt, war wenige Jahre nach ihrer Profess die anfängliche Euphorie in Ernüchterung und Enttäuschung umgeschlagen und sie mischten den Betrieb gehörig auf. Die Vorwürfe vermerkten, Crescentia Kupfer habe „die Suppen mit Seifen, Laugen und Asche vermischt, die Weinkrüglein umgeleeret und mit Urin aufgefüllet“.

Aufsässige mit schändlicher Rede

Sorgfältig und systematisch befragte der Provizial jede einzelne Nonne, beginnend mit der noch ganz begeisterten Amanda, die gleich ihre Mutter Priorin anschwärzte, die geistlichen Vorträge zu vernachlässigen. Vom Chorgesang hatte sie sich mehr versprochen, die alten und kränklichen Mitschwestern minderten die Qualität. Die beiden Aufsässigen hielten sich nicht an die abendliche Ruhe und erwiderten die Zurechtweisungen der Priorin „mit schändlichsten Reden“.

Aufsteigend nach Zugehörigkeit und Alter bis zur 73-jährigen Subpriorin vermerkte der Visitator penibel jede Aussage in der damals zeitgemäßen barocken Sprache, die wohl kaum zur Veröffentlichung bestimmt, doch im Übergang an den neu geschaffenen württembergischen Staat in dessen Archiv gelandet waren. Ein Abgrund an Missgunst, Mobbing und Missmanagement tat sich vor ihm auf.

Rosa Högelhammer war mit Kost und Trank zufrieden, doch die Crescentia koche selbständig mit Schmalz und Eiern. Von dem kleinen Hund, den einige Mitschwestern hielte, fühlte sie sich gestört, gar fünf Katzen genössen mehr Liebe und Aufmerksamkeit der Priorin als die untergebenen Nonnen. Zudem zeige die Priorin ein undurchsichtiges Geschäftsgebaren, betreibe Günstlingswirtschaft, sei mürrisch und halte sich fast immer in der Küche auf und dürfe kein Ansehen erwarten.

Alberta Schuster wusste von Männerbesuchen bei Crescentia und Dominica zu berichten. Die Oberin unterscheide genau, wie viel Mitgift die Postulantinnen eingebracht hätten und verteile danach ihre Sympathie. Mitschwester „Vincentia habe ein ungeschliffenes Maul und mache Schwätzereien im Kloster herum“.

Augustina Eger, einzige Horberin in der Gemeinschaft der vorwiegend aus Bayern stammender Nonnen, beklagte, dass sich vier Chorsängerinnen eine Kerze teilen müssten, was die Augen schädige. Die Ordensregel „werde nicht recht beachtet, weil wenig Liebe des Nächstes im Kloster anzutreffen seye“. Sie erachte „am besten zu seyn, wenn das Kloster ganz aufgehoben werde“. Die Priorin habe Klostergut an Juden verkauft.

Verweis angestrebt

So setzten sich die Vorwürfe fort, die Arbeiten der Boten würden unkorrekt abgerechnet. Die Lehrerinnen, die immerhin für den Unterhalt der Gemeinschaft sorgten, verstünden etwas vom Rechnungswesen und erlebten darum Ablehnung seitens der Priorin.

Die 73-jährige Anna Helena Mann entschuldigte ihr Fernbleiben vom Chor, das lateinische Brevier sei vor zwanzig Jahren eingeführt worden, das habe sie in der Zwischenzeit nicht mehr erlernen können. Für die kranke und schwächliche Oberin warb sie um Verständnis.

Die altersgleiche Subpriorin wollte die beiden Störerinnen aus dem Kloster verweisen. Die Crescentia sei nur ihrer hohen Mitgift wegen aufgenommen worden, da die Oberndorfer Augustiner ihren Kredit von 2000 Gulden zurückgefordert hätten, was Crescentias Eintritt kompensierte.

Die so gescholtene Dominica Zesinger schilderte ihre inner- und außerklösterlichen Einkerkerungen auf Anschuldigung der Priorin. Sie und Crescentia „hätten von ihren Mitschwestern nichts dann Verfolgungen auszustehen“, von diesen werde sie hart gedrücket und mit den verächtlichsten Diensten belegt“. Crescentia Kupfer gab freimütig ihren „innerlichen Grollen wider ihre Ordensschwestern“ zu und dass sie darum „dem Gelübde des Gehorsams nicht nachlebe“. „Sie werde forthin gestichelt, gevoppet und ausgelacht. Sie seye durchaus missvergnügt.“ Der Austritt sei ihr verweigert worden, sie fühle sich „schon ins zehnte Jahr wie verkauft unter den Türcken.“

Die Priorin begründete ihre häufigen Dispensierungen mit der Missachtung ihr gegenüber „heüt schwätzen wir“. Die Lehrerin Vincentia ersetze die biblichen Lesungen mir Zeitungen. Die Klagen über das Essen erklärte sie: „Die Leüthe seyen eben gar zu delicat.“ Ihre Geschäfte würden „grosten theils unter den Ältern selbst abgemacht und seye nicht gesund, wenn die Junge um alles wüßten“.

Nur noch 24 Jahre waren den Dominikanerinnen vergönnt, bis das Kloster aufgelöst, sein Vermögen vom Königreich Württemberg beschlagnahmt und alles Gold und Silber nach Stuttgart gebracht wurde. Kaiser Napoleon ließ sich von seinem Vasallen den Russlandfeldzug bezahlen.

Der umtriebige Arbeitskreis Stadtarchiv hatte mit seinen zwanzig Leserinnen bereits eine stolze Beteiligung aufgeboten und fürchtete völlig unbegründet das WM-Spiel werde ihm den Besuch vermiesen. Doch so viele Interessenten strömten in den weißen Garten, dass eilig neue Sitzbänke aufgestellt wurden. Restaurator Wilhelm Glaser erklärte vielen Besuchern die umfangreichen Arbeiten an der an diesem Tage offen stehenden Nonnengruft. Franz und Norbert Gessler erwiesen ihrer Urgroßtante Catharina an deren Grablege die Ehre. Als Priorin hatte sie den jetzt noch bestehenden Neubau des Klosters geleitet.

Nach der Lesung im Klosterhof genossen die meisten der Besucher die abendliche Stimmung im weißen Garten, um bei einem Glas Wein die teils zum Schmunzeln anregenden protokollierten Aussagen nachklingen zu lassen und zu erkennen, dass Nonnen auch nur Frauen sind, die ihre Konflikte mitunter mit Intrigen austragen.

Nächster Termin und zugleich Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten ist am 5. August der Festtag, den Weihbischof Dr. Johannes Kreidler mit einem Festgottesdienst einleiten wird. Im Stadtmuseum wird die Begleitausstellung „Bürgerstöchter, Büßerinnen, Bettelschwestern…“ eröffnet, Gerda Patulski wird im Habit der „Schwester Hildegard“ durch den Weißen Garten und das ehemalige Kloster führen. Den Tag beschließt eine Orgelvesper mit Dekanatskantor Karl Echle.

Mit einem stattlichen Aufgebot ließ der Arbeitskreis Stadtarchiv jede Nonne zu Wort kommen.

Mit einem stattlichen Aufgebot ließ der Arbeitskreis Stadtarchiv jede Nonne zu Wort kommen.

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Erstellt:
25.06.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 21sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2018, 01:00 Uhr

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