Horb · Literatur

Fühlen, denken, handeln

Der Horber Unternehmensberater Holger Zimmermann ist ein Veteran, wenn es um Krisenbewältigung geht. Seine Erfahrung hat er in einem Buch niedergeschrieben. Den SÜDWEST PRESSE-Lesern hilft er vorab, den Corona-Berg zu erklimmen.

29.04.2020

Von Benjamin Breitmaier

Fühlen, denken, handeln

Holger Zimmermann sitzt vor einem Bücherregal in seinem Ahldorfer Arbeitszimmer. 32 Augenpaare sind auf ihn gerichtet. Sie gehören zu Horbern, zu Stuttgartern, Unternehmern aus ganz Baden-Württemberg. Die meisten von ihnen wurden hart von der Krise getroffen, Menschen wie Stefan Lazar: Der Ex-Projektleiter des Horber Mini-Rock-Festivals ist mittlerweile Geschäftsführer von CastX, einer Gesellschaft, die in ihrem Hauptgeschäft Großveranstaltungen wie Konzerte oder Messestände plant und begleitet. Dem Unternehmen sind in kurzer Zeit Aufträge von mehreren Monaten weggebrochen. Wann das nächste Konzert stattfinden kann? Ungewiss.

Ganz neu sind Situationen wie diese für Holger Zimmermann nicht. Als Unternehmensberater hat er das Platzen der „Dotcom“-Blase miterlebt, er war während der großen Finanzkrise tätig.

Es ist das zweite Treffen dieser Art. Lazar moderiert von seiner Wohnung in Stuttgart aus, stellt Fragen an Zimmermann, gibt Impulse. Seit Zimmermann die ersten Mini-Rock-Festivals als Projektpate begleitet hat, sind die beiden ein eingespieltes Team. Das Format ist aus einer Idee der beiden entstanden. Sie wollen Menschen in der Veranstaltungsbranche helfen, aus der Krise neue Chancen zu entwickeln. Als einmalige Web-Konferenz geplant, steht aktuell bereits die dritte Folge an. Der Name: PodCastX.

Wenige Tage später. Telefongespräch mit der SÜDWEST PRESSE. Thema: Zimmermanns neues Buch. „Geht’s Euch gut? Hausaufgaben alle erledigt?“, ruft der Unternehmensberater zum Start des Interviews weg vom Telefonhörer in ein anderes Zimmer seines Ahldorfer Wohnhauses – der aktuellen Firmenzentrale. „Jaaa“ schallt aus dem Hintergrund. Es kann losgehen.

SÜDWEST PRESSE: Herr Zimmermann, sie sind in Horb als Krisenmanager bekannt. Wie sieht es denn mit Ihrer eigenen Krise in Zeiten der Pandemie aus?

Holger Zimmermann: Ich muss gestehen, bei allem Negativen finde ich persönlich die Herausforderung spannend. Als Krisenmanager genieße ich ein Stück weit schwierige Situationen. Natürlich ist auch bei uns der Alltag komplett auf den Kopf gekrempelt. Es ist ein anderes Arbeiten. Schnelle Abstimmungen sind nicht möglich. Vieles passiert durch schriftliche Kommunikation. Nebenbei müssen wir uns um die Kinder kümmern, denen alle sozialen Kontakte abhandengekommen sind, die selbst lernen müssen. Ich bin heilfroh, dass meine Frau und ich beide bei Projektmensch arbeiten und wir uns so abstimmen können.

Beim Blick auf Horb als Unternehmensberater, was ist Ihnen aufgefallen, wie die Unternehmen hier mit der Situation umgehen?

Grundsätzlich gefallen mir natürlich immer solche Geschichten wie die von Robert Müller, der superkreativ war und mit seinem Geschäft sehr schnell umgeschaltet hat. Ebenso finde ich Initiativen wie die Lokalhelden gut, weil das zeigt, wie Horber Geschäfte zusammenhalten, gemeinsam Neues entwickeln. Was ich nicht aber nicht ganz verstehe, dass das riesige Spielfeld der Digitalisierung, die große Chance, auch für die Zeit nach Corona im Horber Handel noch nicht wirklich genutzt wird. Jetzt müsste man eigentlich etwas tun. Konkret wäre das beispielsweise, einen gemeinsamen Online-Shop zu eröffnen. Ich überlege mir ernsthaft, ob wir nicht in dieses Geschäftsfeld einsteigen sollen. Es gibt gerade so viele Lieferdienste. So könnte der lokale Handel gegen die großen Online-Händler ankommen. Denn eines schafft Amazon auf dem Land niemals: Heute Morgen bestellt, heute Mittag geliefert. Die Kunden sind gerade mit einfacheren Lösungen zufrieden. Man muss gerade nicht alles perfekt machen, es ist die Chance, Experimente zu wagen. Das bringt eine Krise mit sich, dass sich Türen öffnen, die ansonsten zu sind, gerade im Online-Handel sehe ich das.

Krisen und deren Bewältigung –
Genau zu diesem Thema veröffentlichten Sie jüngst ein Buch. Ein Zufall, oder war die Corona-Pandemie der Anlass?

Das war anlassbezogen, wir haben uns am 16. März entschieden, dass wir dieses Buch rausbringen, am 16. April war es im Handel. Die Idee dahinter ist: Wir haben einige Krisen erlebt. Da haben sich Muster für uns gezeigt, die sind immer die gleichen. Das haben wir 2008 und 2009 im Antikrisenblog aufbereitet. Da konnten wir auf einen Fundus an Informationen zurückgreifen. Das hat damals geholfen, das wird auch jetzt helfen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt: Lass uns dieses Wissen möglichst vielen zur Verfügung stellen. Natürlich auch mit der Hoffnung, selbst Aufträge zu gewinnen.

Jeder hat aktuell seine eigene Krise, die Alleinerziehende im Homeoffice, der Selbständige, dessen Einnahmen weggebrochen sind. Gibt es trotzdem einen gemeinsamen Nenner, was sie den Menschen in diesen schwierigen Zeiten raten?

Jeder ist ja auch ein Stück Unternehmer seines Lebens. Jeder muss gerade seinen eigenen Berg erklimmen. Dabei ist es wichtig, zu fragen: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Und was muss ich dafür tun? Wir können uns als Familie genauso hinsetzen und diskutieren und fragen: Was ist eigentlich hier los? Was beobachten wir gerade? Wie geht es uns damit? Ob ich das im Unternehmen mache oder für mich persönlich, spielt keine Rolle. Die Lage ist für jeden neu, deswegen ist es wichtig, sich erstmal die Lage anzuschauen. Dazu gehört auch das Fühlen. Man muss zulassen zu sagen: Ich habe Angst. Ich habe Sorgen. Erst wenn wir das Fühlen zulasse, gelingt uns das Denken wieder. Dann kann ich mir überlegen: Okay, wohin soll mich die Reise führen? Da hilft es dann, in Szenarien zu denken. Was ist eigentlich der Zustand, auf den wir hinarbeiten? Wir als Unternehmen haben beispielsweise gesagt: Am ende des Jahres wollen wir 100 Unternehmen geholfen haben, mit der Krise umzugehen. Nachweislich. Das Gleiche kann ich als Familie machen. Beispielsweise: Wir als Familie arbeiten darauf hin, dass wir am Ende des Jahres sagen: Es war ein kreatives Jahr mit sehr vielen schönen neuen Dingen, die wir gelernt haben. Die positiven Bilder sind dabei wichtig, um aus einer Delle herauskommen. Dann kann man sich überlegen: Was könnte ich jetzt tun, damit das gelingt? Dann wähle ich mir aus der langen Liste die fünf Punkte aus, bei denen ich sage: Die gehe ich dieses Jahr an. Immer mit dem Fokus auf die Frage: Hilft es uns, dorthin zu kommen, wo wir hinwollen? Das ist die Magie der Krise: Wir alle wollen was tun, doch meistens endet das in Aktionismus, deshalb braucht man diesen Dreiklang. Fühlen, denken, handeln. Dann sieht man auch, dass was entsteht.

Fühlen, denken, handeln

Podcast und Buch

Das Buch: Unternehmenskrisen meistern: Wie man Struktur schafft, Chancen nutzt und blinden Aktionismus vermeidet, erschienen im Tredition-Verlag, 124 Seiten, 19,90 Euro.

Der Podcast: Die erste Folge des CastX-Podcast ist unter castx.de/podcast nachzuhören. Wer bei der nächsten Konferenz teilnehmen möchte, kann sich per E-Mail an hallo@castx.de anmelden. Die nächste Folge startet am Donnerstag, 7. Mai, um 16 Uhr.

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Erstellt:
29.04.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 22sec
zuletzt aktualisiert: 29.04.2020, 01:00 Uhr

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