Revolution für Hausmädchen

Für Hala Khalil, Gast beim Arabischen Filmfest, ist die Revolution in Ägypten noch nicht vorbei

Die ägyptische Regisseurin Hala Khalil zeigt in ihrem Film „Nawara“ die Nachwirkungen der Proteste auf dem Tahrir-Platz, in der verlassenen  Villa eines Bonzen des Mubarak-Regimes.

11.10.2016

Von Dorothee Hermann

Die ägyptische Regisseurin Hala Khalil. Bild: Sommer

Die ägyptische Regisseurin Hala Khalil. Bild: Sommer

Für Hala Khalil, Festivalgast beim Arabischen Filmfestival, ist die Revolution in Ägypten noch nicht vorbei. „Sie ändert jedes Jahr ihr Gesicht“, sagte die 49-Jährige im TAGBLATT-Interview. Mubarak musste abdanken, dann kamen die Muslim-Brüder („sie haben uns die Revolution gestohlen“), nun regiert erneut ein Militärregime.

Der 25. Januar 2011 war für Khalil ein unglaublicher Tag. „Wir haben es geschafft, den diktatorischen Präsidenten Mubarak zum Rücktritt zu zwingen. „Wow! Das war ein sehr großer Augenblick.“ Aber: „Wir haben unsere Ziele nicht erreicht. Die Revolution geht weiter.“

Die Hauptfigur ihres Films „Nawara“ ist eine junge Frau aus einem einfachen Viertel ohne fließendes Wasser, die als Hausangestellte in der Villa eines Bonzen des Mubarak-Regimes arbeitet. Die Revolution erlebt Nawara einerseits als Hoffnung: Fernsehnachrichten berichten, dass die von den korrupten Eliten außer Landes geschafften Milliarden zurückgeholt und an die Bevölkerung verteilt werden sollen: – ein erstes Versprechen auf eine eigenständige Existenz. Andererseits sind die Proteste für Nawara ein harter Stressfaktor: Demonstranten versperren dem Bus den Weg, der sie in das abgeschottete Reichenviertel bringen soll.

Nach dem Umsturz verließen „die Männer des alten Regimes, die ihre Vermögen durch Korruption erlangt hatten, das Land“, sagt Khalil. „Ihre Villen ließen sie zurück, samt Hausangestellten, Wachleuten, Gärtnern und Hunden.“ Sich um die leere Villa zu kümmern, ist allenfalls ein Job auf Zeit.

Nawara ist schlechter dran als vor der Revolution. „Genau das ist mit Armen in Ägypten passiert“, sagt die Regisseurin. Der Traum von einem besseren Leben habe sich für sie nicht erfüllt. Eine der Forderungen war „Brot, Soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Würde“, sagt sie. Eingelöst wurde sie noch nicht. Fünf Jahre nach dem Umsturz gehe es den armen Leuten schlechter als zuvor.

„Nawara“ ist der erste Teil einer Film-Trilogie über die Revolution, die Khalil drehen möchte. „Dieses Mädchen wartet fünf Jahre bis sie mit dem Mann schläft, den sie liebt.“ Nawara scheut sich, irgendetwas für sich zu beanspruchen und in der verlassenen Villa etwa den Pool, das Badezimmer oder das Bett der Hausherrin zu benutzen. In solchen Details zeigt sich ein facettenreiches Bild der ägyptischen Gesellschaft vor und nach dem Umsturz.

Der Protest habe die Ägypter verändert. „Sie haben eine Generalprobe für die Revolution hingelegt“, sagte Khalil: „Wir glauben jetzt an uns selbst. Wir wissen, dass ein Wandel möglich ist, sogar gegen jemand wie Mubarak.“ Sie hofft auf eine demokratische Öffnung: Dass die neue Regierung unter Präsident al-Sisi klüger ist als Mubarak und die politischen Parteien ermutigt und fördert, statt sie zu bekämpfen. „Niemand hat uns beigebracht, wütend, beharrlich oder revolutionär zu sein“, sagte die 49-Jährige.

Sie selbst stammt „aus einer sehr traditionellen, sehr konservativen Familie“. In solchen Kreisen werde besonders Mädchen beigebracht, zu gehorchen, ruhig zu bleiben, sich nicht leidenschaftlich für etwas einzusetzen – um vor allem eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. „Darüber müssen wir in den arabischen Ländern sprechen“, ist sie überzeugt. „Es könnte uns helfen, Veränderungen positiver gegenüberzustehen.“

In den ägyptischen Medien werde der Umsturz totgeschwiegen. „Die meisten Eigentümer sind Geschäftsleute (auch aus Staaten wie Saudi-Arabien) und vor allem auf Stabilität aus“, so die Regisseurin. „Gott sei Dank sind wir nicht in Syrien“, heiße es in solchen Kreisen. Dazu Khalil: „Das sagen sie, um uns Angst zu machen vor jeder Veränderung.“