Zukunftsplanung zum Universitätsklinikum

Für Medizin, Forschung und Lehre wird‘s eng

Der Artenschutz erschwert die Erweiterungspläne der Unikliniken und der Universität massiv.

26.04.2017

Von Gernot Stegert

Lange Gesichter herrschten am Montagabend im Planungsausschuss des Tübinger Gemeinderats, als es um den Ausbau des Universitätsklinikums Tübingen (UKT) und der Universität auf dem Berg ging. Von niemand bestritten müssen beide in den nächsten Jahrzehnten erweitern. Doch es gibt keine Flächen dafür, die nicht große Schwierigkeiten bereiten würden. Vor allem der Artenschutz verbietet oft eine Bebauung. Am strengsten ist der Steinenberg geschützt.

Alle Kommunen im Land arbeiten derzeit daran zu ermitteln, welche Flächen sie in Zukunft für Wohnen, Gewerbe und anderes brauchen. Denn ein neuer Flächennutzungsplan soll aufgestellt werden. Vertreter von UKT, Uni, Landesamt für Vermögen und Bau (VBA), Stadtverwaltung und Gemeinderat haben sich in einer Kommission in den vergangenen Monaten zusammengesetzt. Bei einem Termin waren auch Vertreter des amtlichen und ehrenamtlichen Naturschutzes dabei. Erste Ergebnisse hat die Verwaltung nun im Ausschuss vorgestellt. Sie sollen Ausgang einer ausgiebigen Diskussion sein. Für den 23. Mai ist in der Hepperhalle ein Info-Abend für die Bürger geplant.

Das Universitätsklinikum braucht für die Krankenversorgung, die medizinische Fakultät und praxisnahe Forschung bis zum Jahr 2050 insgesamt 49000 Quadratmeter Nutzfläche. Knapp 13000 Quadratmeter Nutzfläche will das UKT allein durch Umbauten, Abriss und Neubau auf dem Gelände auf dem Schnarrenberg gewinnen, also durch Innenverdichtung. Das reicht dem UKT-Masterplan zufolge bis zum Jahr 2027. Für die restlichen 36000 Quadratmeter (3,6 Hektar) Nutzfläche muss unbebautes Land gefunden werden. Da Außenanlagen hinzukommen, rechnen die Planer mit einem Flächenbedarf von rund 8 Hektar.

Untersucht hat das beauftragte Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner zunächst vier Flächen – mit folgenden Ergebnissen:

Obere Viehweide: Der Standort ist zu weit vom Klinikum entfernt und bereits für Institute im sogenannten Cyber Valley verplant.

Ebenhalde und Rosenau: Der Standort ist für ein Klinikum der kurzen Wege zu weit entfernt und soll von der Universität genutzt werden (siehe unten).

Steinenberg: Die Grünfläche (9,6 Hektar) liegt nicht zentral, aber in Reichweite des UKT. Vorteil: Die in Frage kommende Fläche ist fast eben und gehört bereits dem Land. Doch der Artenschutz untersagt eine Bebauung. Zahlreiche geschützte Vögel leben dort, etwa der Ziegenmelker.

Sarchhalde: Der Grünstreifen östlich der oberen Schnarrenbergstraße ist von dieser gut erschließbar. Nachteil: Die Lage ist steil. Viele Grundstücke sind im Privatbesitz. Und auch hier steht der Artenschutz entgegen.

Vor allem beim Steinenberg hätte eine Bebauung „sehr hohe Auswirkungen“ auf den Artenschutz, erläuterte Stadtplanerin Barbara Landwehr. Es handle sich um „Verbotstatbestände“, die sich einer Abwägung entzögen. Ausnahmen (nach Paragraph 45 Bundesnaturschutzgesetz) seien nur unter einer Reihe von Bedingungen möglich. Die reiche vom öffentlichen Interesse am Bau über das Fehlen zumutbarer Alternativen bis zu zeitigen Ausgleichsmaßnahmen. So müsste etwa für den Ziegenmelker schon vorher in der Nähe ein neuer Lebensraum geschaffen werden.

Wird das UKT also in seiner Entwicklung blockiert? Die Kommission hat nochmal genauer hingeschaut und nach weiteren Flächen gesucht:

Sarchhalde: Besonders schützenswert ist der nördliche Bereich an der Bachklinge. Lässt man diesen unangetastet und bebaut nur den Bereich südöstlich davon, entschärfen sich die Konflikte mit dem Naturschutz. Die Fläche hat allerdings nur 6,8 Hektar. Der Rest zu den nötigen 8 Hektar müsste woanders gefunden werden.

Ob der Grafenhalde/Unterer Schnarrenberg: Die Lagen unterhalb des bestehenden UKT-Geländes sind steil, und auch hier findet der Ziegenmelker reichlich Nahrung. Doch das gilt vor allem für den westlichen Teil. Würde dieser ausgespart, wäre der Rest bebaubar. Die Gebäude wären allerdings von weithin sichtbar. Das spricht gegen eine Bebauung.

Die Universität stößt mit ihren Erweiterungsplänen auf ähnliche Konflikte mit dem Naturschutz. Sie hat im Bereich der Naturwissenschaften bis zum Jahr 2035 einen Bedarf von 50000 Quadratmeter Nutzfläche angemeldet. Davon können 27000 Quadratmeter Nutzfläche durch Verdichtung auf dem Campus Morgenstelle erreicht werden. Die Differenz von 23000 Quadratmeter Nutzfläche wird für An-Institute und Forschungszentren, ein Zentrum für angewandte Forschung und für „Industry-on-Campus“-Projekte benötigt. Für die Darstellung im Flächennutzungsplan bedeutet das eine Fläche von 4 Hektar, in denen 2500 Quadratmeter für Versuchsfelder enthalten sind.

Die Obere Viehweide schied auch für die Uni schnell aus, weil sie bereits verplant ist.

Deshalb blieb nur der Standort Rosenau und Ebenhalde. Für ihn spricht die Nähe zur Morgenstelle und die Verkehrsanbindung. Vor allem der Parkhausbereich kann verdichtet werden. Die Auswirkungen auf den Artenschutz bestehen – aber nur in Teilen.

Auch für die Uni hat die Kommission Alternativen gesucht:

Heuberg: Die bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche am Weg zum Heuberger Tor ist für Uni-Gebäude zu weit weg vom Campus Morgenstelle. Sie befindet sich im Vogelschutzgebiet „Schönbuch“ und käme nur für Versuchsfelder in Frage.

Steinenberger Egert: Zwischen Parkhaus Ebenhalde und BG-Klinik liegt das Nadelwädchen Steinenberger Egert. Es ist zwar auch geschützt, aber nicht so streng wie etwa der Steinenberg.

„Der große Griff auf den Steinenberg oder die Rosenau ist nicht möglich“, fasste Baubürgermeister Cord Soehlke die Ergebnisse zusammen. Die Nachverdichtung müsse für UKT und Uni Vorrang haben – und habe sie auch. Zum Konflikt von nötiger Erweiterung und Naturschatz sagte Soehlke: „Das ist ein Tanz auf der Rasierklinge.“ Er erwartet eine Debatte um Wachstum, betonte aber, dass beide – Uni wie UKT – im Vergleich mit anderen Uni-Städten wenig Flächen anmelden würden.

In der Diskussion zeigten sich vor allem die Grünen zerrissen. Das Thema Grenzen des Wachstums und Umweltschutz beschäftige ihre Partei und Fraktion, sagte Annette Schmidt. Auf der anderen Seite sei der Bedarf des UKT plausibel. Auch sei nachvollziehbar, dass medizinische Forschung nah am Patienten erfolgen müsse. Die Abwägung mit dem Artenschutz sei schwierig: „Freundefinden als Gemeinderat geht anders.“ Schmidt ließ bereits eine Position erkennen: Innenverdichtung gehe vor. Doch: „Der Innenverdichtung sind Grenzen gesetzt und daher müssen wir in den Außenbereich gehen.“ Sie könne sich eine Bebauung der Sarchhalde und eines kleinen Streifens des Steinenbergs vorstellen. Aber der westliche Steinenberg müsse einer Nutzung endgültig entzogen werden.

Die CDU wollte die Bürgerbeteiligung abwarten. Martin Sökler (SPD) sagte, die Stadt könne nicht „Nö“ zu den Bedürfnissen von Uni und UKT sagen. Beide seien zu wichtig für Tübingen und darüber hinaus. Ernst Gumrich (Tübinger Liste) schloss sich Sökler an. Gerlinde Strasdeit (Linke) erinnerte an die 10000 Arbeitsplätze allein am UKT und die Aufgabe als Kreiskrankenhaus und für die Maximalversorgung. Dietmar Schöning sagte, dass Tübingen insgesamt kleine Flächen für den Flächennutzungsplan anmelden werde. Und: „Tübingen lebt von der Exzellenz.“

Hintergrund zum Ziegenmelker

Der Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus), auch Europäischer Ziegenmelker genannt, ist neben dem Rothals-Ziegenmelker (Caprimulgus ruficollis) der einzige in Europa vorkommende Vertreter der Vogelfamilie der Nachtschwalben (Caprimulgidae). Der drosselgroße, rindenfarbene, langflügelige Vogel ist dämmerungs- und nachtaktiv. Er kommt von Nordafrika über große Teile Eurasiens ostwärts bis etwa in das Gebiet des Baikalsees vor. Ziegenmelker ernähren sich von nächtlich schwärmenden Insekten, vornehmlich Schmetterlingen, die sie im Flug erbeuten. In Nordwest- und Zentraleuropa ging der Bestand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Heute ist die Art aus vielen Regionen Zentraleuropas völlig verschwunden.