Fernsehen

Für alle Kassen

Arzt- und Krankenhausserien boomen. Die TV-Patienten sehnen sich vor allem auch nach Seelentrost: Das ZDF heilt jetzt mit Dr. Ballouz.

10.04.2021

Von JÜRGEN KANOLD

Doktor Ballouz (Merab Ninidze) macht ein Röntgenbild von Emil, dem Stoffhasen, um Floris (Mavie Meschkowski) Vertrauen zu gewinnen. Foto: ZDF/Stefan Erhard

Doktor Ballouz (Merab Ninidze) macht ein Röntgenbild von Emil, dem Stoffhasen, um Floris (Mavie Meschkowski) Vertrauen zu gewinnen. Foto: ZDF/Stefan Erhard

Ulm. Früher himmelten die TV-Patienten Professor Brinkmann an, den gerne auch herrischen Gott in Weiß der „Schwarzwaldklinik“, und es soll Menschen gegeben haben, die um einen OP-Termin bei ihm im Glottertal nachfragten. Aber das konnte in den 80er Jahren weder die AOK noch die private Krankenkasse ermöglichen.

Die Hausärzte dürfen jetzt impfen, doch vom Bergdoktor – auch ein Frauenschwarm, aber ohne Chirurgenstarallüren – erwarten seine Fans natürlich weit mehr. Also wer, wenn nicht Dr. Martin Gruber, hätte eine zündende Idee, die Corona-Krankheit erfolgreich zu therapieren? Der Mann leidet zwar an Beziehungsproblemen, löst aber seit 2008 als Universaldiagnostiker und Weltkapazität in Tirol die seltensten medizinischen Fälle. Tja, das Millionenpublikum sitzt im Wartezimmer, die 15. Serien-Staffel wird von Juni an gedreht.

Die Inzidenz von Krimis und mehr oder weniger gefühligen Arzt- und Krankenhausserien ist im deutschen Fernsehen hoch. Es wird gemordet und aufgeklärt, es wird erkrankt und geheilt. Und immer mit kathartischer Wirkung für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Gut, dass es das ganze Elend nur im Film gibt, gut, dass fürsorgliche Kommissare und Ärzte das Unglück bannen und uns die Ängste nehmen! So ungefähr – aber jetzt Schluss mit der Küchenpsychologie.

Man könnte allerdings auch darüber nachdenken, was solcher TV-Konsum über unsere Gesellschaft aussagt. Das ZDF jedenfalls verabreicht jetzt ein wirkungsvolles Beruhigungsmittel für alle Herzen, donnerstags einzunehmen, zur Bergdoktor-Zeit. „Doktor Ballouz“ heißt die neue Serie, deren sechs Folgen auch im Medikamentenschrank, äh, in der Mediathek vorrätig sind.

Alleen, Seen und Getreidefelder im Brandenburgischen statt Alpenpanorama mit Wildem Kaiser. Und während der Bergdoktor im grünen Mercedes zum Hausbesuch fährt, steigt Dr. Ballouz ostalgisch und uneitel in einen himmelblauen Trabi. Das ist die heile Welt. Fallpauschalen, Pflegenotstand? Gibt's nicht. „Dr. Ballouz ist der Arzt, den wir uns alle wünschen – und den wir, solange unser Gesundheitssystem ist, wie es ist, wahrscheinlich nie bekommen. Sorry.“ Sagt Drehbuchautorin Conni Lubek und fügt hinzu: „In der Realität, in der Krankenhäuser gewinnorientiert arbeiten, würde einer wie Dr. Ballouz nicht Chefarzt, sondern gefeuert werden.“ Damit ist diese Klinik in der Uckermark ein Sehnsuchtsort gerade in Corona-Zeiten; das Virus freilich spielt in diesem Märchen keine Rolle.

Klar, mit der Realität hat das alles nicht viel zu tun, wenngleich die Geschichte auf dem Sachbuch „Deutschland draußen“ beruht, das vom wahren Alltag des Landarztes Dr. Amin Ballouz erzählt, der 1976 aus dem Libanon in die DDR flüchtete und dort ausgebildet wurde. Aber wer „Doktor Ballouz“ anschaut, glaubt nicht nur an einen medizinischen, sondern auch an den erzählerisch-filmästhetischen Fortschritt im deutschen Fernsehen.

Es ist eine leise, eher kitschfreie Serie, die sich viel Zeit lässt für ihre Charaktere. Es ist eine wohltuende Dosis Qualitätsunterhaltung. Dr. Ballouz ist ein Menschenfreund mit ein paar Ticks (Trabi, Süßigkeiten aus dem Automaten oder von der Tankstelle, Marmeladenflecken auf dem Hemd), aber auch einem Trauma. Seine Frau ist gestorben nach einem Verkehrsunfall, er selbst hatte sie operiert, konnte sie nicht retten. Jetzt tritt der trauernde Ballouz seinen Dienst wieder an – seine Frau bleibt in schmerzlichen Erinnerungen gegenwärtig, und zwar auch konkret, als ansprechbares Traumbild.

Mit einer solchen Begegnung beginnt die Serie. Dr. Ballouz stoppt auf dem Weg an der Unfallstelle seiner Frau – und wird prompt Zeuge, wie eine schwangere Radfahrerin angefahren wird. Er kümmert sich auch um das Pflegekind der Schwerverletzten: kriecht dann auch mal unter den Tisch, um mit dem Mädchen zu reden oder sammelt abgenagte Knochen auf den Esstabletts der Patienten, damit er Flori vertrauensbildend ihren Stoffhasen röntgen kann.

Werdender Katzenfreund

Dr. Ballouz kümmert sich um alles, er operiert, aber meistens geht's um die Seele. Mit dem kiffenden Putzmann Vincent (Vincent Patzke), der Sozialstunden abarbeiten muss, sucht er die Katze eines krebskranken Bauern, der dann Abschied nehmen und sterben kann. In der letzten Folge wird Dr. Ballouz wieder mit der Vergangenheit konfrontiert: Auch die Eltern einer hirntoten jungen Erzieherin müssen über eine Organspende entscheiden.

Merab Ninidze spielt diesen Dr. Ballouz im knittrigen Trenchcoat phänomenal: melancholisch, zurückhaltend, mit Herzenswärme durch die Gänge schlurfend, aber auch mit hintersinnigem Humor. Er ist eher der Philosoph und weise Sozialarbeiter in der TV-Medizinerriege. Auf jeden Fall ein Arzt, dem das Fernsehpublikum vertrauen kann.

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Erstellt:
10.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 10.04.2021, 06:00 Uhr

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