Konzentrationsübungen

Futter fürs Oberstübchen

Die Mittfünfzigerin nimmt am Theaterabend ihre etwas ältere Freundin beiseite: "Baut Dein Mann ab? Ich meine - geistig." Die Angesprochene zögert. "Meine Tochter und Hausaufgaben. Das geht den ganzen Nachmittag. Kennen Sie gute Konzentrationsübungen?" Die um Rat gefragte Lehrerin empfiehlt vor allem Geduld. Der Vater hat jedoch konkrete Lösungsvorschläge erwartet. Fündig wird, wer unter Stichworten wie Gehirnjogging im Internet sucht.

07.04.2016

Von MARTIN HOFMANN

Futter fürs Oberstübchen

Tausende Anbieter offerieren, meist für ein paar Euro. Computerprogramme. Sie versprechen, Menschen klüger, konzentrierter, lernfähiger, kompetenter, intelligenter, tauglicher für ihre Alltagsaufgaben zu machen. Manche behaupten gar, mit ihren Trainingsmethoden könnten sie Alterungsprozesse aufhalten, der Demenz vorbeugen, den akademischen Werdegang positiv beeinflussen.

Rasch langweilig dürfte es den grauen Zellen - sie sind eigentlich rosa - nur auf Seiten mit zu einfachen Tests werden. Beispiel: Fünf Bilder zeigen fünf Sachverhalte, zu denen fünf Fragen gestellt werden. Das Spektrum zu lösender Aufgaben vieler Seiten ist jedoch umfang- und variantenreich. Als "Spiele"-Vorlagen dienen Aufgaben aus IQ-Tests, Lektionen aus den Bereichen Lesen und Rechnen, der einfacheren Mathematik, ergänzt um Rätsel- und Denksportübungen aller Art. Zahlreiche Anbieter erklären, durch kurze Eingangstests die Schwierigkeit des Trainings auf jeden Teilnehmer abzustimmen, damit er an seiner Leistungsgrenze übt. Nur dadurch werde das Gehirn richtig gefordert.

Um ihre Seriosität zu unterstreichen, verweisen die Internet-Gehirntrainer gern auf wissenschaftliche Studien. Sie belegten, dass regelmäßiges, motivierendes und abwechslungsreiches Gehirnjogging, "richtig umgesetzt", funktioniere und die geistigen Fähigkeiten grundsätzlich verbessere.

Nun haben zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass Computerspiele gewisse Areale des Gehirns stimulieren. Am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ließen Forscher unter Leitung von Prof. Ulman Lindenberger 2013 junge Erwachsene "Super Mario" spielen, zwei Monate lang, mindestens 30 Minuten pro Tag. Dabei marschiert ein Computermännchen durch ein Labyrinth und sammelt gelbe Sternchen. Ergebnis: Magnetresonanztomografien (MRT) der Spieler zeigten in Hirnarealen, in denen Erinnerungsvermögen, strategisches Planen und Feinmotorik verortet sind, höhere Aktivitäten und Strukturveränderungen.

2014 prüften die Berliner Entwicklungspsychologen, ob über 60-Jährige via Computerspiel lernen, eine Handlung ganz kurzfristig zu stoppen. Solche Entscheidungen fallen in zunehmendem Alter schwerer. Auch diese Studie zeigte im MRT der Testpersonen: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe nahmen die Aktivitäten im erwarteten Gehirnareal zu. Gegenüber Untrainierten fällten die Spieler auch ihre Entschlüsse schneller und besser.

Eine weitere Studie mit 200 Teilnehmern belegte, dass das Lösen von Merkaufgaben nicht nur die erforderlichen Fertigkeiten verbessern, sondern die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses ganz allgemein.

Zahlreiche Untersuchungen belegen übrigens auch, dass Menschen mit neurologischen Erkrankungen von geeigneten Computerspielen profitieren.

Lässt sich daraus aber folgern, dass Gehirnjogging logisches Denken, das Gedächtnis, die Lernfähigkeit und Konzentration gesunder Menschen dauerhaft und gezielt ankurbeln?

74 internationale Entwicklungspsychologen und Neurowissenschaftler haben in einer achtseitigen Erklärung mit dem Titel "Gehirnjogging hält nicht, was es verspricht" dargelegt, weshalb sie die Werbeaussagen von Trainingsplattformen für "übertrieben und bisweilen irreführend" halten. Zu den Unterzeichnern gehört auch Ulman Lindenberger.

Warum? Die Forscher um Lindenberger haben mit ihren Studien zunächst einmal die Ansicht widerlegt, Lern- und Anpassungsfähigkeit des Gehirns - seine Plastizität - seien weitgehend auf Kindheit und Jugend begrenzt. Die Fähigkeit, Neues zu erlernen, behielten die Menschen bis ins Alter, fasst Lindenberger die Erkenntnisse zusammen. "Nur müssen Ältere viel mehr tun als jüngere."

Die Forscher räumen in ihrer Erklärung ein, dass "kognitives Training unter Laborbedingungen in der Regel zu Verbesserungen" führt. Diese wirkten sich auch auf verwandte Aufgaben aus und blieben über längere Zeit erhalten.

Aber: "Klare Hinweise auf andauernde Leistungsverbesserung in allgemeinen kognitiven Fähigkeiten" mit Bezug auf Alltagsanforderungen zeigten die Studien nicht. Das Gehirn werde nicht generell fitter, wenn bestimmte Aufgaben in Spielen trainiert würden. Merksatz: "Die in einer einzelnen Aufgabe erzielte Leistung darf man nicht mit der entsprechenden Fähigkeit gleichsetzen."

Elsbeth Stern, Psychologin und Professorin für Lern- und Lehrforschung an der ETH Zürich, gab vor Jahren den Internet-Gehirnjoggern eine klare Antwort: "Die Vorstellung, man könne sein Gehirn wie einen Muskel trainieren, ist genauso absurd wie jene, unsere Texte würden besser werden, wenn wir uns einen leistungsfähigeren Computer zulegen." Das Argument, dass sich durch Gehirnjogging in unserem Denkorgan Synapsen verbinden, sei ja richtig. Aber dieser Effekt trete stets auf - selbst bei fragwürdigen Aktivitäten wie dem Einüben von Einbruchstechniken.

Was raten die Forscher? Die Antworten fallen vorsichtig aus:

"Wenn man eine Stunde damit verbringt, allein am Computer Aufgaben zu trainieren, anstatt in der Zeit spazieren zu gehen, Italienisch zu lernen, ein neues Rezept auszuprobieren oder mit seinen Enkeln zu spielen, so könnte dies eine ungünstige Wahl sein. Aber wenn diese Stunde am Computer eine Stunde vor dem Fernseher ersetzt, so könnte es sich um eine gute Wahl handeln."

"Körperliche Bewegung kann die allgemeine Gesundheit einschließlich der Hirnfitness in Maßen verbessern. Regelmäßiges Ausdauertraining kann den Blutfluss zum Gehirn steigern und dazu beitragen, dass neue Nerven- und Gefäßverbindungen entstehen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass körperliches Training Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis verbessert. Wer mit Ausdauertraining beginnt und es regelmäßig fortführt, kann kleine Gewinn oder abgeschwächte Verluste in der kognitiven Leistungsfähigkeit erwarten."

"Es gibt keine Hinweise, dass Gehirnjogging die Alzheimer-Demenz oder andere Demenzformen heilt oder verhindert."