Spätfolgen einer Vergewaltigung

Gast beim Filmfest Frauenwelten: Die israelische Regisseurin Michal Aviad

In ihrem Spielfilm „Invisible“ stellen sich zwei Frauen den Spätfolgen einer Vergewaltigung. Dennoch wollte israelische Regisseurin Michal Aviad Sex nicht nur als etwas Schmerzhaftes, als Unterwerfung darstellen, sagt sie im TAGBLATT-Interview. Der Film läuft am Montag, 26. November, um 20.30 Uhr noch einmal im Kino Museum.

26.11.2012

Von Dorothee Hermann

Die israelische Regisseurin Michal Aviad beim Tübinger Filmfest Frauenwelten.

Die israelische Regisseurin Michal Aviad beim Tübinger Filmfest Frauenwelten.

Michal Aviad ist als Dokumentarfilmerin bekannt geworden. Ihr Spielfilm „Invisible“ bezieht sich auf einen realen Serientäter, der 1977/78 im Großraum Tel Aviv agierte. Doch seine beiden Opfer Nira (Evgenia Dodina), Fernsehjournalistin, und Lily (Ronit Elkabetz), Tänzerin und Menschenrechts-Aktivistin in der Westbank, sind fiktiv. „Manchmal kann ein Spielfilm das innere Erleben besser darstellen“, sagt Aviad, die derzeit als Gast beim Frauenwelten- Filmfest von Terre des Femmes in Tübingen ist.

Als Nira beschließt, eine Dokumentation aus Sicht der betroffenen Frauen zusammenzustellen, stößt sie auf Abwehr - bei Lily wie bei der Polizei. Der Fall sei leicht übertragbar, meint Aviad. Auch in Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien werde jede vierte oder fünfte Frau in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung. Der Filmtitel beziehe sich darauf, dass den Attackierten äußerlich nichts anzumerken sei. Das Trauma zeigt sich auf unterschiedliche Weise, sagt die Regisseurin. Für ein paar Jahre gelinge es den Frauen, wieder ein normales Leben zu führen. Das Trauma breche wieder auf, wenn sie sich verwundbar fühlen, wenn vielleicht ein Elternteil stirbt. Für Nira habe die Vergewaltigung ihre Fähigkeit zerstört, Sexualität zu genießen. Lily sei überzeugt, ihr Mann habe sie damals gerettet. Inzwischen hat er sich völlig zurückgezogen.

Eine wunderbar verspielte Sequenz zeigt Lily bei einem spontanen One-Night-Stand. „Ich wollte zeigen, dass es in sexuellen Beziehungen auch die Möglichkeit der Zärtlichkeit gibt“, so Aviad. „Ich bin keine Puritanerin, die Sex nur für abträglich hält.“ Am Ende ist der Mann zu sehen, entspannt auf dem Bett ausgestreckt. „Es ist an der Zeit, nackte männliche Körper auf die Leinwand zu bringen“, betonte sie. Für weibliche Körper sei das seit Jahrzehnten Normalität. Doch Zuschauer fanden: „Weibliche Körper sind schön. Männliche Körper sind hässlich.“ Sie liebt es, solche ambivalenten Botschaften, „die wir alle lernen“, durcheinanderzuwirbeln.

Die 57-Jährige lebt in Tel Aviv. Die Stadt werde in Israel stark kritisiert – als sehr hedonistisch und ausgesprochen säkular. Während der Süden Israels die Raketen der Hamas ertragen müsse, seien die Bewohner von Tel Aviv nur an ihrem Espresso interessiert, höhne die öffentliche Meinung. Während der jüngsten Kriegstage hieß es: „Jetzt verstehen sie endlich, was wir durchmachen.“ Aviad, die sich zu einer „sehr kleinen Minderheit“ von Antikriegs-Aktivisten zählt, betrachtet die aktuelle Eskalation als „Wahlkampagne für Premierminister Benjamin Netanjahu“. Die Wahlen im Januar 2013 seien ihm und Verteidigungsminister Ehud Barak nun wohl sicher. „Die Angst und die Wut darüber, bedroht zu werden, hat jeden überwältigt.“