Baden-Württemberg – China

Gegangen, um zu bleiben

Seit drei Jahren produziert die Bodelshäuser Firma Joma-Polytec in China. Sie ging dabei einen ungewöhnlichen Weg. Das passt zu Hans-Ernst Maute, einem Querdenker, der mit seinem Bruder das Geschäft führt. Und als Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK Reutlingen) die Entwicklung Chinas nicht als Bedrohung, sondern als Chance für die deutsche Wirtschaft sieht.

14.12.2018

Hans-Ernst Maute nimmt die Geschäftslizenz für die Niederlassung in China entgegen.

Hans-Ernst Maute nimmt die Geschäftslizenz für die Niederlassung in China entgegen.

Beim Gang durch seine Bodelshäuser Firma entdeckt Hans-Ernst Maute eine Frau, die mit der Kapuze ihrer Fleeceweste über dem Kopf vor einer Maschine sitzt. Maute fragt sofort, ob ihr denn kalt sei. Er kümmert sich um seine Mannschaft. „Das gehört für mich dazu in einem gut funktionierten Unternehmen“, sagt der Geschäftsführer. Weltweit beschäftigt Joma-Polytec rund 500 Menschen und arbeitet in den Kerngebieten Extrusion, Spritzguss und Hydromechanik.

Er ist mit seiner Firma erst seit drei Jahren auch in China ansässig und verweist oft darauf, dass viele andere Firmen in der Region gute Kontakte nach China haben. Trotz aller Bescheidenheit ist er dennoch ein guter Gesprächspartner zum Thema China. Als Reutlinger Vizepräsident und Vorsitzender des Tübinger Gremiums der IHK ist er voll drin im Geschäft, kennt etliche Gesichter der Szene und war mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf Delegationsreise in China. Maute sagt: „China ist keine Bedrohung für uns, sondern eine Chance.“ Ihm sei kein hiesiger Betrieb bekannt, der nach dem Einstieg eines chinesischen Investors daran kaputt gegangen sei. Er benutzt das Bild einer Kuh, die von den Chinesen zwar gemolken, aber auch gefüttert und am Leben gelassen wird.

Auch Maute hat eine chinesische Mitarbeiterin in Bodelshausen. Sie leitet von dort den Sitz in Kunshan, etwa 30 Autominuten von Shanghai entfernt, mit perfekten Anbindungen zum Flug- und Schiffverkehr. Mit seinem Bruder Alexander, dem anderen Geschäftsführer (siehe Infobox), überlegte er lange, wie er einen Standort in China aufbauen könnte. In einer Bar lernte er in Shanghai zufällig den Geschäftsführer einer staatlich geförderten Start-up-Factory kennen – der Durchbruch. Im November 2015 eröffnete Joma-Polytec den Standort offiziell mit Minister Kretschmann.

Der Clou: Bis zu 2500 Quadratmeter kann die Firma in Kunshan nutzen und muss nur die Fläche bezahlen, die aktuell in Anspruch genommen wird. „Das lässt ganz andere Entwicklungschancen zu“, sagt Maute. Mittlerweile ist das Unternehmen bei 1200 Quadratmetern Nutzfläche und 15 Mitarbeitern dort angekommen. Die Buchhaltung oder das Catering (in China steht jedem Arbeitnehmer per Gesetz eine warme Mahlzeit zu), wird für alle in der Factory ansässigen Firmen zen-
tral übernommen. So kann Joma-Polytec wachsen, ohne sich zu übernehmen und kann selber bauen, wenn sie dem jetzigen Standorten entwachsen ist und eine gute Basis im Land geschaffen hat. Das könnte laut Maute schon in zwei Jahren der Fall sein. Dann wiederum profitiert China wieder, weil sich neue Industriezweige auftun, durch die Land und Leute profitieren. Schon 2019 will Maute sechs oder sieben neue Kräfte anstellen, sechs riesige Spritzgussmaschinen arbeiten schon im Werk. Dort produziert Joma-Polytec komplexe Teile für die Automobil-Branche.

Die Art und Weise seines Standort-Aufbaus nennt Maute „optimal für Mittelständler“. Die großen Unternehmen werden oft von Gesellschaftern im Rahmen von Joint Ventures gezwungen, sich im Hinterland niederzulassen, um Industriestandorte und Arbeitsplätze zu schaffen und die Wanderarbeiterheere zu verkleinern. Im Gegenzug baut der Staat dort die Infrastruktur auf – so sollen beide profitieren. „Uns im Westen gefallen diese Rahmenbedingungen nicht immer, aber für die Chinesen ist es ein hervorragendes Mittel, die nationalen Interessen zu wahren.“

China insgesamt habe sich gewandelt, sagt Maute. Bei einer seiner Reisen habe er zwar noch verblasste DDR-Parolen an den Wänden einer Fabrik gesehen, aber insgesamt sei die Industrie facettenreicher geworden, sie werfe inzwischen auch einen Blick auf die Kunst oder die Musik, wie es auch schwäbische Mittelständler gerne tun. Und die Chinesen „halten sich immer mehr an internationale Spielregeln“, sagt Maute. Ein Beispiel: Fast jeder Distrikt hat mittlerweile eine Kammer für geistiges Know-how und Patentrecht und die Richter werden staatlich zu diesem Thema gefördert und geschult. Maute: „Je mehr Patente sie entwickeln, desto mehr befolgen sie die Regeln.“

Die Chinesen machen insgesamt riesige Fortschritte in den Bereichen der Elektromobilität und der smarten Technologien. Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Nicole Hoffmeister-Kraut unternimmt deshalb im Februar eine Delegationsreise, um die staatlich gelenkte Technologierevolution genauer zu begutachten.

Nicht zuletzt hat der Joma-Polytec-Geschäftsführer persönliche Beziehungen nach China. Er und seine Frau haben eine chinesische Ziehtochter bei sich zuhause aufgenommen, die an der Uni Tübingen ihren Master macht und Prof. Matthias Niedenführ vom China Centrum Tübingen (CCT) auf seinen Fernost-Reisen als Übersetzerin begleitet: „Für sie sind wir schon Mum and Dad.“ Auch lädt Maute die Angestellten aus dem Werk in Kunshan immer mal wieder nach Deutschland ein und zeigt ihnen auch das Land und die Leute. Ausflüge ins Daimler-Museum oder auf die Burg Hohenzollern stehen dann an. „Das gehört für mich dazu, wir müssen uns als Land gut präsentieren“, sagt er. In China komme das gut an. Insbesondere, wenn der Chef sich für die Arbeiter Zeit nimmt und greifbar ist. „Für uns schwäbische Mittelständler ist das typisch, für die Chinesen außergewöhnlich“, sagt Maute.

Auch Maute hat in China noch vieles vor. Profilleisten, die in Fensterrahmen aus Aluminium verbaut werden, sorgen für eine gute Isolierung. Aber: Bislang finden sie nur in Europa einen Absatzmarkt, nicht in Fernost. „Damit könnte man dort viel bewegen“, ist sich Maute sicher. Es würde überraschen, wenn ihm nicht etwas einfallen würde, wie er auf dem neuen Markt aktiv werden könnte.

Im Inneren des 2015 gegründeten Werkes in Kunshan, China.

Im Inneren des 2015 gegründeten Werkes in Kunshan, China.

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Erstellt:
14.12.2018, 06:58 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 14.12.2018, 06:58 Uhr

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