Flüchtlingshilfe

Gemeinsam an einem Strang ziehen

Der Beirat des spendenfinanzierten Arztmobils für Flüchtlinge traf sich, um für die Zukunft zu planen: Neben der Einzelfallhilfe standen drei mögliche Projekte auf der Tagesordnung.

26.10.2016

Von Lorenzo Zimmer

In der rollenden Praxis kann das Team um Lisa Federle die Flüchtlinge in Ruhe behandeln. Archivbild: Metz

In der rollenden Praxis kann das Team um Lisa Federle die Flüchtlinge in Ruhe behandeln. Archivbild: Metz

In vielen Bereichen geht es viel entspannter als noch vor einem Jahr: Turnhallen sind geräumt, Notunterkünfte aufgegeben. Viele Flüchtlinge in ersten oder sogar weiterführenden Sprachkursen untergebracht. Das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger waren für diese Erfolge wichtig und werden es auch in Zukunft sein. Denn Projekte wie das Tübinger Arztmobil konnten nur durch großzügige Spenden der TAGBLATT-Leser realisiert werden. 200 000 Euro kamen für dieses Projekt im Dezember 2015 und Januar 2016 zusammen.

Das Team der fahrenden Arztpraxis um Notärztin Lisa Federle ist noch immer in acht Schichten pro Woche im Einsatz – von Erstunterkünften zu Anschlussunterbringungen, von Zahnschmerzen zu einer fiebrigen Erkältung. „Das ist eine notwendige Entlastung für die ortsansässigen Hausärzte“, so Federle. Und für die Notfallambulanzen der Krankenhäuser. Denn dort schlugen – vor allem in der ersten Zeit – viele Flüchtlinge auf. In anderen Kreisen sei das zum Teil heute noch so, sagt Federle. Hier im Kreis kann sie überlastete Hausärzte und volle Notambulanzen mit regelmäßigen Fahrten des Arztmobils verhindern.

Auch das restliche Spendengeld soll sinnvoll eingesetzt werden. Dafür gründete Federle gemeinsam mit TAGBLATT-Verlegerin Elisabeth Frate ein siebenköpfiges Gremium. Es soll über die weitere Verwendung der Spendengelder entscheiden.

Neben Federle und Frate gehören Claudia Kurz, Fachanwältin für Eigentumsrecht und Beraterin für Eigentumsschwache, Utz Remlinger, Vorsitzender des DRK-Kreisverbands Ludwigsburg und neuer Regierungsvizepräsident von Klaus Tappeser, Jürgen Ferber, DRK-Vorstand und Ansprechpartner für das Arztmobil-Fundraising, Landrat Joachim Walter, seit 13 Jahren an der Spitze des Landratsamtes tätig, und Helmut Schlotterer, Chef des Modeunternehmens Marccain, dem Gremium an.

Der Rat traf sich vergangene Woche zum ersten Mal, um über konkrete Einsatzmöglichkeiten der übrigen Spendensumme zu beraten: „Der Bedarf ist da. Ob das kranke Kinder in akuter Notfalllage sind oder Menschen, die zwischen Asylantrag und Anerkennung hängen“, so Frate. Denn nach ihrer Erfahrung ist die Hilfe genau in solchen Graubereichen am Nötigsten: „Wir wollen unkompliziert da helfen, wo die Bürokratie schnelle Hilfe blockiert.“ Besonders freue sie sich, dass man gemeinsam mit Lesern und Institutionen wie dem DRK „so erfolgreich und vor allem nachhaltig an einem Strang zieht“.

Derzeit hat das Gremium drei weitere Projekte im Blick: Landrat Walter bat um rund 15 000 Euro für Personal und Dolmetscher im Tübinger Frauenhaus. Das finanziert die Stadt bereits mit 55 000 Euro jährlich – aber durch die Ankunft vieler Flüchtlinge im Kreis hat sich der Arbeitsaufwand und damit der Bedarf an Mitteln erhöht: In Zukunft soll hier Flüchtlingsfrauen, die mit Kindern Schutz suchen, schneller geholfen werden können.

Ein zweites Projekt könnte das Gebäude neben dem Landratsamt werden. Anfangs waren hier Flüchtlinge untergebracht, inzwischen steht der Komplex leer. Regierungsvize Remlinger könnte sich vorstellen, hier Minderheiten unterzubringen, die in anderen Unterkünften diskriminiert werden – etwa Schwule oder Behinderte.

Eine dritte Initiative könnte den nach Tübingen geflüchteten Jesidinnen gelten: Sie müssen versteckt untergebracht werden, weil eine akute Bedrohung vorliegt. Außerdem kommt für sie nur weibliches Personal in Frage – seien es Ärzte, Pfleger oder Dolmetscher. Auch dafür ist zusätzliches Geld nötig.

Neben Geld für den Betrieb der fahrenden Arztpraxis – Sprit, Instandhaltung, Steuer – und die gelegentliche Anschaffung besserer Ausrüstung geht ein Teil der Spenden in die sogenannte Einzelfallhilfe. Wenn Einzelne durch das Raster der institutionalisierten Hilfe fallen, kann Federle mit dem Spendengeld einspringen: „Wenn noch nicht anerkannte Kinder Alpträume haben, steht ihnen eventuell noch keine psychologische Betreuung zu“, sagt Federle. Das kann für Eltern, Geschwister und Mitbewohner eine enorme Belastung sein – Probleme die das DRK-Team lösen kann. „Spieltherapien sind da genau das Richtige.“

Frate und Federle ist besonders wichtig, dass kein Geld verschwendet wird: „Kein Cent dieses Geldes wird für Verwaltung oder Bürokratie ausgegeben. Das regeln wir anders“, sagt Federle. Besonders froh ist sie über das ehrenamtliche Engagement von Pflegerinnen und Pflegern, Ärzten, Studierenden und anderen Helfern: „Das hat nicht nachgelassen und das ist unheimlich schön. Denn nur so wird die Hilfe möglich.“

Wie letztens bei einem 15-jährigen Syrer. Seine Mutter lebt hier, er lebt in einer Erstunterbringung in Karlsruhe. Die Bürokratie verbat ihm, zu seiner Familie zu stoßen – er tat es trotzdem. Aus Einsamkeit und Verzweiflung. Als er dann in Tübingen ein akutes Zahnproblem bekam, wurde ihm die Behandlung verwehrt: „Da mahlen die Mühlen der Bürokratie sehr langsam und wir konnten ihm schnell helfen“, so Federle.