Horb · Handwerk

„Glatt und kantig können viele“

Die Schreinerei Raible feiert hundertjähriges Bestehen. Schreinermeister Bruno Raible über den Unterschied zwischen früher und heute.

22.05.2019

Von Mathias Huckert

„Glatt und kantig können viele“

SÜDWEST PRESSE: Herr Raible, die von Ihrem Großvater gegründete Schreinerei gibt es seit einhundert Jahren. Sie haben den Betrieb von Ihrem Vater übernommen. Wie nahmen Sie damals die Rolle der Schreinerei war?

Ich habe das alles als kleines Kind erlebt: Die Aussiedelung der Schreinerei aus der Bußgasse in Horb auf den Hohenberg, wo 1969 ein neues Gebäude errichtet wurde. Das Möbelhaus auf dem Marktplatz in Horb kam bereits 1960 dazu. Das war damals eine führende Sache für so eine kleine Stadt wie Horb. Die Schreinerei hatte schon damals, so wie heute auch, einen sehr guten Namen. Ich ging nach der Mittleren Reife zur Wirtschaftsschule. Dann kam, so wie damals üblich, die Frage auf: Machst du weiter mit der Schreinerei? Ich entschloss mich dafür und machte 1971 in Tübingen meine Meisterprüfung. Die komplette Übernahme der Schreinerei und des Möbelgeschäfts von meinem Vater erfolgte dann gemeinsam mit meiner Frau Heiderose 1986.

Warum zog Ihr Betrieb vor einigen Jahren nach Empfingen um?

Das war 2011. Wir verkauften den Betrieb auf dem Hohenberg und kauften eine andere Schreinerei in Empfingen. Das hatte strategische Gründe: die Lage an der Autobahn, die Erweiterung des Kundenkreises – und es war einfach eine Veränderung notwendig, was unser Marketing betraf. Seitdem hatten wir fünf Schreiner als Mitarbeiter, Büroangestellte und meine Frau im Ladengeschäft mit zwei, drei Angestellten, das parallel dazu läuft.

Wenn Sie auf die Anfänge Ihres Betriebs zurückblicken: Was sind die Unterschiede zu heute?

Wir waren nie industriell ausgerichtet. Es ging bei uns immer sehr individuell zu: Sanierungen, Restaurierungen und ein privater Kundenstamm. Das läuft noch heute so. Ein Problem ist, dass Facharbeiter schwer zu finden sind. Für industrielle Schreinerarbeiten ist es leicht, jemanden einfach anzulernen. Egal, woher er oder sie kommt – wenn es mit der Sprache stimmt, dann klappt das. Für individuelle Arbeiten geht das aber nicht.

Worauf führen Sie den Facharbeitermangel zurück?

Ich glaube, die Gesellschaft hat sich in der Richtung verändert. Für viele folgt auf die Schule das Studium. Das ist natürlich sehr ungünstig für das Handwerk. Vielleicht geht es später für Manche zurück ins Handwerk, dann aber als ausgebildeter Ingenieur oder als Techniker. Diese Fluktuation bekommen wir eben zu spüren.

Wie genau?

Mein Leben lang bilde ich aus und wir haben immer Azubis im Betrieb. Die Guten, etwa Abiturabbrecher, gehen nach drei Jahren Ausbildung. Die merken dann: Handwerk und Kopf passen. Dann geht es nach Rosenheim zum Studium. Wir haben einige aus dem Handwerk raus bis zum Ingenieursstudium gebracht. Danach folgt meist die Abwanderung zur Industrie. Denn wer will schon im Kleinbetrieb arbeiten, wenn er oder sie mal so ausgerichtet ist? Im Großbetrieb verdient man mehr, und die Situation passt.

Was tun Sie dagegen?

Wir haben durchaus langjährige Mitarbeiter im Betrieb. Was es dazu braucht, ist einfach Arbeit mit Emotion, ein gutes Verhältnis, und wenn jemand in der Region heimisch ist, heißt es dann vielleicht nach der Ausbildung: Hier gefällt es mir, und dann bleibe ich. Lohnanpassungen gibt es bei uns ja inzwischen auch.

Haben junge Menschen heute weniger Interesse am Handwerk?

Ich denke schon. Das Handwerk hat nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher.

Woran liegt das?

An der Industrie. Die erledigt heute viele Arbeiten, die früher Teil des Handwerks waren. Die meisten Handwerker, etwa in der Autoindustrie, passen sich an kürzere und geregelte Arbeitszeiten an. Und wenn die Möbel dann zum Zusammenschrauben bereit liegen, passt das umso besser in die Freizeit.

Das klingt, als würden Sie als Schreinermeister nicht viel von Ikea-Möbeln halten.

Das ist eine ganz andere Welt. Die tangiert uns nicht. Qualität und Kundenanspruch sind bei uns in einer ganz anderen Ecke angesiedelt. Unser Kunde hat vielleicht auch mal Ikea-Möbel besessen, etwa in der Studienzeit, wo das Geld bekanntermaßen knapp ist. Wenn es aber später individueller sein soll, kommt unser Handwerk ins Spiel.

Gibt es für Sie denn genügend Kunden mit diesem Anspruch an eigener Individualität?

Die gibt es. Wir arbeiten für Kunden im Stuttgarter Raum bis zum Bodensee. In Baden-Württemberg floriert die Industrie. Hier in Horb sitzen wir auch an einem zentralen Punkt. Der Gedanke muss auch sein: Wenn ich selber gut aufgestellt bin, dann habe ich auch ein gutes Geschäft.

Ihr Betrieb blickt auf eine lange Geschichte zurück. Was waren da die Höhepunkte ihrer bisherigen Arbeit?

Was uns immer beschäftigt hat, sind Arbeiten mit historischem Hintergrund, etwa Beschläge für Türen in alten Bauvorrichtungen. Glatte und kantige Möbel können viele. Was wir machen, ist sicher nicht für jede Schreinerei geeignet.

Woran würden andere denn scheitern?

Ich erinnere mich da gerne an die Arbeiten im Kloster und im Steinhaus in Horb. Unser größtes Projekt war mit Sicherheit die Sanierung der Villa Levi im Stuttgarter Norden am Killesberg vor wenigen Jahren. Das war für uns ein Riesenauftrag. Auch Umbauten in Wohnungen, Cafés und auch in Büros in der Industrie machen wir heute. Die Firma Bosch ist seit 20 Jahren ein Begleiter.

Wie wirkt sich die moderne Technik auf Ihr Handwerk aus?

Früher gab es den Lattenriss, also die Zeichnung auf dem Brett. Da hatten alle noch viel mehr Zeit, auch was die Fertigung angeht. Jetzt, im CNC-Zeitalter (Anm. d. Red.: Computerized Numerical Control), muss alles rasch gehen. Alles wird immer präziser, und man muss Schritt halten, sich weiterbilden. Das ist ein Muss um zu bestehen.

Heute arbeiten viele Schreiner neben Massivholz auch mit Kunststoff. Wo liegt für Sie der Unterschied?

Bei Kunststoff geht es oft darum, günstiger und funktionaler zu sein. Massivholz ist interessanter für die Sinne: Es riecht und schafft die Verbindung zu Natur und Umwelt. Das ist heutzutage, wo es vielen Menschen um das Thema Nachhaltigkeit geht, wieder wichtig.

Wie macht sich das bemerkbar?

Heute sind Tropenhölzer verpönt; die Kunden wollen heimische Holzsorten. Der Geruch von frisch verarbeiteter Kiefer, das etwas harzige Gefühl rein von der Haptik – das beeindruckt viele. Das ist auch eine gesellschaftliche oder politische Entwicklung. Da bleiben wir als Betrieb dran und passen uns an. Zumal es eine positive Sache ist, die wir gern unterstützen.

In einer Woche feiert Ihr Betrieb hundertjähriges Bestehen. War das lange geplant?

Tatsächlich brachte uns erst die Handwerkskammer auf den genauen Zeitpunkt, als es hieß: Passt mal auf, da steht bei euch demnächst ein Firmenjubiläum an. Wir werden es auch eher klein halten und das Ganze hier im Laden feiern.

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Erstellt:
22.05.2019, 11:58 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 20sec
zuletzt aktualisiert: 22.05.2019, 11:58 Uhr

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