Briefwähler

Glosse: Nur scheinbare Brief-Renaissance

Überall ist jetzt zu hören, dass die Zahl der Briefwähler zunimmt. Kaum jemand wundert sich, dass in einer Zeit, in der Jüngere nicht einmal wissen, wo man eine Briefmarke kaufen könnte, im Zusammenhang mit demokratischen Entscheidungen der Brief fröhliche Urständ feiert.

20.09.2021

Von André Bochow

Ein handgeschriebener Liebesbrief liegt im Liebesbriefarchiv der Universität Koblenz auf einem Tisch. Foto: Thomas Frey/dpa

Ein handgeschriebener Liebesbrief liegt im Liebesbriefarchiv der Universität Koblenz auf einem Tisch. Foto: Thomas Frey/dpa

Berlin. Tatsächlich geht es nicht um richtige Briefe. Richtige Briefe schrieb man auf Briefpapier, und wenn es Briefe von wichtigen Persönlichkeiten waren, wurden die Briefwechsel als Bücher herausgebracht. Damit ist es vorbei. Etwa ist von Angela Merkel hinsichtlich ihres schriftlichen Gedankenaustausches bekannt, dass sie gern den Short Message Service (SMS) in Anspruch nimmt. Mal abgesehen davon, dass Kanzlerinnen-Simse ziemlich geheim sind, wer will später ein Buch kaufen, das Nachrichten gesammelt hat, wie: „Armin Lasse et“? Dazu ein Lach-Smiley. Wäre wohl öde.

Zurück zur Briefwahl. Die müsste eigentlich Umschlag-Wahl heißen. Denn es werden ja keine Briefe verschickt, sondern amtliche Formulare. So wie man auch sonst nur noch in Umschlägen verpackte Mahnungen, Rechnungen oder Schulablehnungsbescheide bekommt. Der Begriff „Briefwähler“ ist sowieso missverständlich. Niemand wählt einen Brief. Kleiner Kalauer. Und selbst wenn der Brief gewählt würde, als wiederentdecktes Kommunikationsmittel, wer wüsste schon, wie man damit umgeht? Muss man etwa im Brief die Smileys selbst malen?