Palmers Strategie ging auf

Grüner OB mobilisierte kurz vor der Wahl erfolgreich Wähler

53:5 – noch klarer als das offizielle Wahlergebnis der Tübinger Oberbürgermeisterwahl von 61,7 Prozent für Boris Palmer zu 33,2 Prozent für Beatrice Soltys ist das Verhältnis der Wahlbezirke. Nur fünf entschied die Herausforderin für sich. Den Erfolg Palmers sicherte seine Ankündigung, zu einer zweiten Wahl nur anzutreten, wenn er in der ersten vorne liegt.

21.10.2014

Von Gernot Stegert

Tübingen. Das Wahlergebnis fiel klarer aus als viele erwartet hatten. Bei der Suche nach den Gründen hilft der Vergleich der Briefwahlergebnisse mit dem Abstimmungsverhalten am Sonntag. Vorab hatten sich jedoch 40,2 Prozent für die Herausforderin und nur 54,9 Prozent für den Amtsinhaber ausgesprochen. Beim Urnengang erzielte Palmer 63,5 Prozent, Soltys kam nur auf 31,3 Prozent. Das deutet auf einen Meinungsumschwung in den letzten Tagen vor der Wahl hin. Sicherheit könnte nur eine professionelle Wählerbefragung bringen. Aber vieles spricht dafür, dass Palmers Aussage, nur mit einem guten Ergebnis zu einer zweiten Wahl anzutreten, den Ausschlag gab.

Palmer-Ergebnisse wie bei der CSU in Bayern

Durch diesen Schachzug nahmen vermutlich etliche, die Palmer eigentlich einen Denkzettel verpassen wollten, davon im letzten Moment wieder Abstand. Einen überraschenden OB-Wechsel wie vor acht Jahren wollten sie dann wohl doch nicht riskieren. Zweitens trieb Palmers Drohung die Wahlbeteiligung hoch. 55 Prozent sind 3,4 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2006. Das ist doppelt bemerkenswert. Denn damals war Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer (SPD) Konkurrentin, der Wahlkampf dauerte länger und war konfliktträchtiger als jetzt.

Die Säule der Ergebnisgrafik und der Jubel des Siegers überbieten sich gegenseitig: Boris Palmer am Wahlabend in der Mensa Uhlandstraße.  Bild: Metz

Die Säule der Ergebnisgrafik und der Jubel des Siegers überbieten sich gegenseitig: Boris Palmer am Wahlabend in der Mensa Uhlandstraße. Bild: Metz

Zudem waren dieses Mal 9000 Personen mehr wahlberechtigt als vor acht Jahren, darunter 1500 Erstwähler unter 18 Jahren, 4800 EU-Tübinger und ein paar Tausend Studierende mehr mit Erstwohnsitz als früher – alles Gruppen, deren Interesse für Kommunalpolitik als unterdurchschnittlich gilt, die also die Wahlbeteiligung eigentlich hätten senken müssen. Das heißt im Umkehrschluss: Palmer muss seine Stammwähler umso besser mobilisiert haben.

In vielen Bezirken hat der Grüne OB Ergebnisse eingefahren wie die CSU in Bayern in ihren besten Zeiten. Voran geht einmal mehr das Französische Viertel mit 83,4 Prozent. Doch die „Grüne Hölle“ ist nicht allein. Es folgen der Volksgarten mit 76,1 Prozent, das Hechinger Eck mit 74,2 und die Mathildenstraße mit 73,0 Prozent. Alles Bezirke mit vielen jungen Familien. Um die 70 Prozent hat Palmer auch erreicht in den Wahllokalen Marktplatz, Haagtor, Viehweidle, Schellingstraße, Sternplatz, Wennfelder Garten, Galgenberg, Lustnau Ost, Sand und Steinlach.

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Boris Palmer gewann am Sonntag die Oberbürgermeisterwahl in Tübingen. 61,7 % der Stimmen gingen an ihn. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und hunderte Bürger feierten den OB auf dem Tübinger Marktplatz. Dessen zweite Amtszeit begann dort mit Paukenschlag.

Palmers Erfolg beruht aber nicht allein auf starken Hochburgen. In der Innenstadt gesamt, in Lustnau und in Derendingen erhielt der Amtsinhaber jeweils rund zwei Drittel der Stimmen. Nur in den Teilorten war sein Vorsprung geringer: 53,0 Prozent zu 43,8 Prozent von Soltys. Doch auch hier errang der Grüne die Mehrheit: Fünf von acht Teilorten entschied er für sich.

Soltys hat lediglich fünf Wahlbezirke in drei Teilorten (Bühl, Hirschau, Unterjesingen) gewonnen. Richtig stark war die Herausforderin allein in Bühl-West mit 62,7 Prozent. Dort wohnen viele Alteingesessene. Palmer kam nur auf 33,6 Prozent. In Bühl-Ost mit Neubaugebieten lag er vorne. Verlassen konnte sich die von CDU und FDP unterstützte Kandidatin ferner auf Hirschau-Süd und Unterjesingen-West. Hier dürfte die Unzufriedenheit mit dem Durchgangsverkehr gegen den OB gesprochen haben. Schon in Hirschau-Nord und Unterjesingen-Ost aber war der Vorsprung von Soltys nur hauchdünn.

Neue Wohnformen nutzen grünem OB

Nur in einem Bezirk hat Palmer gegenüber der Wahl 2006 Anteile verloren: In Bühl-West sank er von 43,0 Prozent gegen Russ-Scherer auf 33,6 Prozent. Ansonsten legte er zu, auch in Hirschau und Unterjesingen. In vielen Bezirken schaffte er Sprünge von rund 20 Prozentpunkten: Innenstadt Nord-Ost, Neckartor, Waldhäuser Ost West, Schellingstraße und Volksgarten. In der Mathildenstraße betrug das Plus sogar 25 Punkte und im Wennfelder Garten 28,4 Punkte. Auffällig ist auch der Siegeszug in Derendingen: Im Bezirk Mühlenviertel / Gartenstadt legte Palmer um fast 25 Prozentpunkte zu, in den anderen drei Wahllokalen jeweils um fast 20 Punkte. Ähnlich waren seine Zuwächse in Bebenhausen und Hagelloch.

Ein roter Faden durch die Wahlbezirke ist: Palmer ist überall da besonders stark, wo die typischen neuen Tübinger Wohnformen mit dichtem, aber kleinteiligem Bauen in Baugemeinschaften verbreitet sind: ob ums Loretto, das Französische Viertel – erweitert bis zum Wennfelder Garten –, das Mühlenviertel in Derendingen; und auch die Alte Weberei treibt die Werte für den grünen OB in Lustnau bereits hoch.

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Erstellt:
21.10.2014, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2014, 12:00 Uhr

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