Steckt HGV-Mitglied in Existenznot?

Händler beklagen die Verlagerung von Aldi und dm und üben Kritik an Gewerbepolitik der Stadt

Der HGV Freudenstadt übt Grundsatz-Kritik an der Gewerbe- und Handelspolitik in der Stadt. Im Fadenkreuz einer aktuell verlautbarten Stellungnahme steht dabei die geplante Verlagerung der beiden Handelsmärkte Aldi und dm.

26.11.2015

Von Siegfried Schmidt

Das Gewerbegebiet an Diesel- und Planck-Straße mit dm-Markt und Aldi. Beide Märkte wollen ihren Standort verändern und in das neue Gewerbeareal „Sonneneck“ an der Stuttgarter Straße mit besserem Anschluss an das Stadtzentrum ziehen. Für die verbleibenden Handelsgeschäfte, hier das „Dänische Bettenlager“ oder das Medienelektronik-Geschäft Euronics XXL Haug, könnte dies Umsatzverluste zur Folge haben. Auch das Möbelhaus Braun als naher Anrainer dürfte die Abwanderung der Supermärkte mit gemischten Gefühlen betrachten. Bild: mos

Das Gewerbegebiet an Diesel- und Planck-Straße mit dm-Markt und Aldi. Beide Märkte wollen ihren Standort verändern und in das neue Gewerbeareal „Sonneneck“ an der Stuttgarter Straße mit besserem Anschluss an das Stadtzentrum ziehen. Für die verbleibenden Handelsgeschäfte, hier das „Dänische Bettenlager“ oder das Medienelektronik-Geschäft Euronics XXL Haug, könnte dies Umsatzverluste zur Folge haben. Auch das Möbelhaus Braun als naher Anrainer dürfte die Abwanderung der Supermärkte mit gemischten Gefühlen betrachten. Bild: mos

Freudenstadt. Die beiden Märkte im Gewerbegebiet Wittlensweiler, unter einem Dach vereint zwischen Rudolf-Diesel- und Planck-Straße, gleich vis-à-vis vom ehemaligen, weiterhin ungenutzten „Bauhaus“-Gebäude, stehen im Begriff, an die Stuttgarter Straße umzusiedeln. Auf dem dort frei geräumten Areal, wo einst der Früchte-Großhändler Kies operierte, soll ein neues Kleingewerbegebiet entstehen.

Der Bebauungsplan steht vor seiner 2. Anhörung, im Januar soll laut Bauamt das Genehmigungsverfahren dafür abgeschlossen werden.

Die entsprechenden Mietverträge sind schon unter Dach und Fach, der Projektentwickler und Investor für das Gewerbegebiet „Sonneneck“, Uwe Schneider, will die Gebäude – neben dem Lebensmittelmarkt und dem Drogeriegeschäft entstehen noch eine Systemgastronomie mit Drive-In, ein Bäckereiverkauf mit Café sowie ein Dienstleistungsgebäude – bis zum Jahreswechsel 2016/2017 bereits bezugsfertig haben.

Der HGV nennt freilich diese Verlagerung von Aldi und dm „verkehrspolitisch unsinnig und nicht nachvollziehbar“. Es ist für die Händlervereinigung auch nicht einsichtig, warum an diesem neuen Einkaufsstandort „nicht an Norma, Deichmann und Edeka“ vermietet wurde, die ja nach Kenntnis des HGV alle neue Standorte suchten.

Der eigentliche und direkte Grund für die Händler, der Gewerbeentwicklung am „Sonneneck“ mit Skepsis und Ablehnung zu begegnen, ist freilich die unmittelbare Betroffenheit eines ihrer Mitglieder: Des Elektrofachgeschäfts Euronics XXL Haug in der Deutzstraße.

Der Wegzug von Aldi und dm dürfte sich für am Standort verbleibende Geschäfte „existenzbedrohend“ auswirken, sagt die Händlervereinigung. Mehr noch: Ein gewachsenes, verkehrstechnisch funktionierendes Gewerbegebiet werde dort zerschlagen. Und schon gar nicht werde der neue Handelsplatz zu einer weiteren Belebung der Innenstadt führen.

Die Stellungnahme formuliert mit genereller Stoßrichtung: „Durch neue Einkaufszentren wird lediglich die grüne Wiese am Ortseingang gestärkt.“

Wohlgemerkt hatte vor zwei Jahren der HGV auch schon das Projekt Einkaufszentrum auf dem ehemaligen Bauhof-Gelände unter Beschuss genommen. Zwar zeigte man damals Verständnis für die derart angestrebte verbesserte Nahversorgung im Nordstadtbezirk mit seinem Neubaugebiet Kohlstätter Hardt. Doch das Entstehen zusätzlicher Einzelhandelsgeschäfte in der nun fast fertigen Shopping-Mall an der Ringstraße wird als direkte Konkurrenz zu den alteingesessenen Handelsbetrieben in der Innenstadt begriffen. Und weil, wie im Falle der Drogeriemarktkette Müller, ebenfalls eine Wegverlagerung, diesmal aus dem Innenstadtzentrum, stattfindet, wird von einer weiteren Schwächung der Freudenstädter Citylage ausgegangen.

Der HGV Freudenstadt, so steht es in der Streitschrift, wünscht sich für die Zukunft „eine vorausschauende und verlässliche Gewerbeflächenentwicklung und -bereitstellung“ und, wie es heißt, keinen „investorengetriebenen Aktionismus“, der in der Konsequenz zu einer weiteren Zersplitterung der Einkaufsmöglichkeiten in Freudenstadt führe. Während andere Städte durch eine „Verdichtung der Einkaufsstätten“ an Attraktivität gewännen, müsse man in Freudenstadt „leider das Gegenteil“ beobachten.

Oberbürgermeister Julian Osswald kennt die Bedenken des HGV ganz genau, hatte jüngst auch wieder ein Gespräch mit dem Vorstand und nimmt, wie er gestern gegenüber der SÜDWEST PRESSE betonte, die Sorgen sehr ernst. Allerdings hält Osswald die Handelsansiedlung am Sonneneck, die ja prospektiv für das dort vorgesehene Wohnbaugebiet Sonnenhalde erfolgt, für keineswegs handelsschädlich für den Innenstadtraum. Wiewohl er die Klage des betroffenen HGV-Mitglieds und der Solidarvereinigung nachvollziehen könne.

Jedoch gebe es in der Geschäftswelt keine „Garantie auf Nachbarschaft“. Die Stadt habe es auch gar nicht in der Hand oder sei veranlasst, Marken-Politik auf Gewerbeflächen zu treiben. Sie lege nur entsprechende Verkehrs- und Nutzflächen in Bebauungsplanverfahren fest.

Städtebaulich, das sei feste Absicht, wolle man am Sonneneck aber eine Bebauung und ein Nutzungsmix ermöglichen, schon als Vorsorge für das kommende Baugebiet.

Im Übrigen sei auch eine Verlagerung der beiden Discountermärkte „in Richtung Innenstadt „nix schädliches“. Einzelhandel rücke damit wieder näher zur Stadtmitte hin.

Wenn der HGV auf Negativentwicklungen in der Innenstadt abhebe und deren Schwächung ankreide, dann sei dies keineswegs einer „verfehlten Handelspolitik“ der Stadt geschuldet, sondern sei Ausfluss des Marktgeschehens und handelsspezifischer Prozesse, Stichwort Internethandel, unzureichende Flächengrößen in Gewerbeeinheiten etc.

Noch könne er, so Osswald, auch keine „eklatanten Leerstände“ etwa am Standort Marktplatz feststellen.

Im Gegenteil, einige erfreuliche Neueröffnungen seien in zentraler Lage da zuletzt erfolgt.

Investor „Sonneneck“: Verdichtung und hochwertiges Bauen

Der Investor am Handelsstandort „Sonneneck“ in Freudenstadt, Uwe Schneider (er realisierte auch das Ärztezentrum an der alten Feuerwache in Baiersbronn), kann die Kritik des HGV Freudenstadt hinsichtlich der Märkte-Abwerbung Aldi und dm nur bedingt nachvollziehen.

Es habe doch gerade von Seiten des Regionalverbands und vom HGV der Wunsch bestanden, dass bevorzugt bestehende Händler/Discounter aus dem Stadtgebiet dort ansiedeln sollten. Diesem Bestreben habe er entsprochen und deshalb Aldi und dm für die Veränderung gewinnen können. Und raumplanerisch erfolge so auch eine allgemein befürwortete Verdichtung im stadtnahen Umfeld. Er als Projektentwickler im Verbund mit seinem beauftragten Architekturbüro „w Architekten“ aus Freudenstadt werde auch eine „sehr hochwertige Bebauung“ am Sonneneck realisieren, die mit „klassischen Einkaufsschachteln“ nichts gemein hat. An dieser Stadteingangssituation plant Schneider„markante Gebäude mit ansprechenden Fassaden“. Die Firma Aldi werde da nicht etwa als Solitär auftreten, sondern sich in die Gesamtarchitektur integrieren.

Im Übrigen existiere in keiner anderen Stadtlage eine so perfekte Verkehrsanbindung wie am „Sonneneck“ nächst der neu ausgebauten Stuttgarter Straße.