Sehnsucht nach dem Pathos

Heute haben am Landestheater Schillers „Räuber“ Premiere

Nach 11 Jahren kommen sie mal wieder auf den LTT-Spielplan: Friedrich Schillers „Die Räuber“. Am heutigen Freitag ist Premiere. Vor nun genau 234 Jahren machte das bekannteste Sturm- und-Drang-Stück seinen Autor berühmt. LTT-Oberspielleiter Christoph Roos inszeniert und sprach mit Dramaturgin Kerstin Grübmeyer über die Arbeit.

29.04.2016

Heute haben am Landestheater Schillers „Räuber“ Premiere

Kerstin Grübmeyer: Sind „Die Räuber“ ein Stück, das Sie immer schon mal machen wollten?

Christoph Roos: Ich wollte endlich mal wieder Schiller machen, nachdem ich mit „Don Karlos“ eine gute Erfahrung gemacht habe. Bei diesem Autor interessiert mich sehr diese Mischung aus privat und politisch, der Familienkonflikt, die Geschichte der gegeneinander konkurrierenden Brüder, die Wucht der Texte. Und die „Räuber“ sind natürlich das Stück über Rebellion in der deutschen Klassik – das reizt einen immer wieder. Wenn man es dann liest und sich damit beschäftigt, merkt man, dass es gar nicht so einfach ist, diese Räuber zu zähmen.

Warum ist es schwierig?

Als erstes denkt man bei den „Räubern“ immer an die Räuberbande, als Bild für Rebellion, Widerstand oder Jugendbewegung. Beim Arbeiten stellt man dann fest, dass diese Geschichte gar nicht so einen großen Teil des Stückes einnimmt und dass sie in der Art, wie sie erzählt ist, sehr historisch ist. Schiller bildet da eine bestimmte Situation seiner Zeit ab, von perspektivlosen Studenten, die im feudalistischen System keine Chance haben, etwas zu werden, zudem alle verschuldet und verarmt sind. Diese spezielle Situation – auch das Robin-Hood- und Kolportagehafte daran, mit dem böhmischen Wäldern und den Feudalherren, gegen die man angeht – die gibt es heute so nicht mehr. Und dann ist da Schillers Überschwang, in seinem ersten Stück alles unterzubringen, was er denkt, fühlt und gelesen hat. Eigentlich sind das drei Stücke in einem.

Außerdem hat man es mit einer besonderen Sprache zu tun.

Ja, das Pathos dröhnt durch alle Zeilen, die Sprache ist fiebrig, unruhig, viele Szenen für heutige Seh- und Lesegewohnheiten sehr lang und redundant. Da muss man sehr dran arbeiten, dass das auf der Bühne konkret wird und nicht lächerlich wirkt. Weil es ja nicht lächerlich ist! Das Pathos bei Schiller kann man nicht vermeiden – sonst bräuchte man Schiller nicht zu machen. Denn dann bleibt nichts mehr. Das Pathos ist eine Ausdrucksform, für die Gefühle, die psychologische Situation der Figuren. Die aber ja trotzdem heute glaubhaft sein muss. Viele Menschen haben heute eine Sehnsucht nach Pathos, danach, sich einfach hinstellen zu können und Stärke zu demonstrieren. Oder so Sätze zu sagen wie „Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit!“ Wir lachen darüber – aber kaschieren damit unsere Sehnsucht danach. Weil wir diese Sehnsucht problematisch finden. Aber wir drücken damit auch etwas weg.

Warum haben Sie sich gegen eine politische Aktualisierung des Stücks entschieden, im Sinne früherer Lesarten, wie beispielsweise die Räuber als RAF-Terroristen?

Zum einen, weil ich bei solchen Aktualisierungen oft finde, dass etwas passend gemacht wird, was eigentlich nicht passt. Das Stück wird umgebogen, um etwas über ein Thema zu erzählen, das im Stück gar nicht enthalten ist. Wenn ich zum Beispiel die Neue Rechte von heute in dem Stück zwar wiedererkenne – dann finde ich trotzdem, dass ich nicht Schiller dafür benutzen muss, um über die Neue Rechte, Neonazis oder Pegida Theater zu machen. Ich glaube nicht, dass man mit diesem 234 Jahre alten Stück Neonazis analysieren kann. Dann muss man ein neues Stück nehmen oder schreiben oder ein Rechercheprojekt machen – mit Schiller würde man dem nicht gerecht werden.

Wie sieht Ihre Übersetzung ins Heute aus?

Ausgehend davon, dass ich es nicht auf eine aktuell politische Situation konkret anwenden wollte – aber auch keine „historisierende“ Variante will – haben wir ein Konzept entwickelt, in dem der Vorgang des Spielens thematisiert wird. Wir nähern uns quasi live auf der Bühne dem Stoff an: die Schauspieler „spielen“ ganz offen Schiller und begeben sich gleichzeitig in eine Erzähl-Konkurrenz: Wer darf die Geschichte weitererzählen, wer hat die Deutungshoheit oder die Erfindungshoheit. Dafür haben wir einige Szenen und Auftritte umgestellt, Schiller sozusagen umgebaut. In diesem Spielprinzip spiegelt sich der Kampf der Brüder Franz und Karl Moor wieder: jeder kämpft um seine Version der Geschichte, dabei zugleich auch um das Recht, diese Geschichte zu erzählen – und die Macht, den Erfolg damit zu erlangen. Und da sehe ich auch den Bezug zum Heute, zu unserer Gegenwart, in der wir beständig um Wahrheit und Glaubwürdigkeit ringen, nicht wissen, welchen Informationen wir trauen können, wo Verschwörungstheorien lauern, und um unser Recht kämpfen, unsere „eigene Wahrheit“ zu erzählen.

Die böhmischen Wälder wird es also eher nicht geben?

Auch die Bühne von Peter Scior folgt der Idee des Spiels. Als eher abstrakte Spielfläche, die sich verwandeln kann, immer wieder neu benutzt und auch dekonstruiert werden kann. Auch alle Rollenwechsel der Schauspieler sind offen, durchschaubar, da es nicht um pure Identifikation oder Illusion, sondern um das Reinschlüpfen in die Rollen geht. So, das hoffe ich, wird die Geschichte heutig – und auch zur Projektionsfläche für aktuell politische Themen, ohne dass wir die konkret ins Bild setzen.

Info Premiere heute um 20 Uhr im Saal, weitere Vorstellungen am 30. April, 6. Mai, 1.,/ 2.,/ 3., 9., 10., 15. und 18. Juni, jeweils um 20 Uhr.