Kinderbetreuung

Hinter den Kulissen rumort es

Die Stadt Mössingen soll die Kita Goethestraße im Stich gelassen haben, lautet ein Vorwurf. Die Verwaltung widerspricht.

29.10.2016

Von Gabi Schweizer

Von „Schließung“ reden Betroffene, von „Reorganisation“ die Stadt: Die Kita Goethestraße verliert jedenfalls ihre Eigenständigkeit. Bild: Rippmann

Von „Schließung“ reden Betroffene, von „Reorganisation“ die Stadt: Die Kita Goethestraße verliert jedenfalls ihre Eigenständigkeit. Bild: Rippmann

Zu wenig Personal und unglaublich viele Überstunden für jene, die da waren: So beschreibt eine Mutter den Zustand, mit dem die Kindertagesstätte Goethestraße im vergangenen Jahr zurechtkommen musste. Die Erzieherinnen seien damit beschäftigt gewesen, Aushilfen anzulernen und sich um die Kinder zu kümmern. „Sie haben ihre Arbeit wunderbar gemacht. Aber sie hatten zu wenig Unterstützung.“ De facto hätten sie zugleich ein neues pädagogisches Konzept entwickeln sollen, weil im Herbst 2015 aus der Krippe eine Kindertagesstätte für Ein- bis Sechsjährige geworden war. „Sie hatten Ideen.“ Aber die Zeit habe schlicht nicht gereicht.

„Die Kindertagesstätte Goethestraße wird organisatorisch in das Kinderhaus eingebunden“, vermeldete vor wenigen Tagen die Stadt und begründete dies mit den „organisatorischen und pädagogischen Herausforderungen“, die eine größere Einrichtung besser bewältigen könne als eine Kita mit 1,5 Gruppen. Dies bedeutet, dass es die Kita Goethestraße als eigenständige Einrichtung nicht mehr gibt. Die Stadt wehrt sich jedoch gegen den Begriff „Schließung“ und spricht von einer „Reorganisation“. Denn im Gebäude, das bisher Platz für bis zu 22 Jungen und Mädchen bot, sollen weiterhin Kinder betreut werden. Wie genau das „offene Konzept“ des Kinderhauses aussehen soll, das einige Ecken weiter in der Otto-Merz-Straße liegt, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen. Die Stadt stellte auf TAGBLATT-Nachfrage nochmals klar, es gebe genügend Plätze für alle Kinder aus der Goethestraße. 16 sind es momentan – zwei von ihnen sind bereits anderswo untergekommen. Schriftliche Zusagen haben die Eltern indes noch nicht, weshalb Verunsicherung herrscht.

Die Stadt hatte die Kinderkrippe im Januar 2011 eröffnet. Die 20 Krippenplätze in der Goethestraße waren im Schnitt aber nur mit elf Kleinkindern belegt. Und die Eltern hätten sich eine durchgängige Betreuung gewünscht, erklärt Michael Weber, Sachgebietsleiter Familie, Bildung und Kultur bei der Mössinger Stadtverwaltung. Es gab Engpässe bei der Ganztagsbetreuung für die älteren Kinder, berichtet die Mutter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: Sie ist berufstätig und darauf angewiesen, dass ihr Kind durchgehend bis nachmittags betreut wird – was in Mössingen nicht selbstverständlich ist. Manche Kindergärten machen noch Mittagspause. Deshalb war sie zunächst glücklich, als die Stadt die Krippe im Herbst 2015 zur Kita erweiterte. „Uns Eltern ist eigentlich ein Stein vom Herzen gefallen, als es hieß, die Kinder bleiben hier.“ Schließlich mussten sie nicht anderswo eingewöhnt werden, kannten ihre Erzieherinnen, hatten einen tollen Garten. „Aber im Lauf des Jahres hat sich herausgestellt, dass es nicht so einfach war.“ Nicht nur wegen des zweigeschossigen Gebäudes, wo die Aufsicht schwieriger sei als in einem ebenerdigen. Diese Bedenken kann Weber nicht teilen. Als das Kinderhaus gebaut wurde, habe die Goethestraße schließlich als Ausweichquartier für bis zu 28 Kinder gedient.

Die Erzieherinnen sollen die Änderung von Anfang an kritisch gesehen haben. Die Leiterin kündigte und ging zum Jahresende. „Das war der erste Schock. Ein neues Konzept ist sehr schwer ohne Leitung“, erinnert sich die Mutter. Eine Kollegin aus dem Team wurde nur kommissarisch eingesetzt. Sie hätte dem Vernehmen nach gern eine Teilzeit-Leitungsstelle gehabt, aber dagegen sperrte sich die Stadt: In einer kleinen Einrichtung sei es wichtig, „einen gewissen Bestandteil an 100-Prozent-Beschäftigungen vorzuhalten“, sagt Weber.

„Die Erzieherinnen haben alle nach und nach gekündigt“, berichtet die Mutter. Häufig seien Aushilfskräfte dagewesen. Ihr Kind ständig jemand Neuem anzuvertrauen, fiel ihr schwer. .Die Stadt wiederum habe es sich „sehr einfach gemacht“, findet die Mössingerin, die sich hier mit anderen Eltern einig weiß. Die Verwaltung habe nicht oder jedenfalls nicht intensiv genug nach Personal gesucht.

Die Leitungsstelle sei mehrfach ausgeschrieben worden, sagt Weber. Jedoch sei sie „aufgrund der tariflichen Struktur und der Größe der Einrichtung nur unwesentlich besser bezahlt als die einer Gruppenerzieherin, insofern sehr unattraktiv“. Der Stellenschlüssel in der Goethestraße (4,35 Stellen) sei „deutlich höher als in allen anderen Mössinger Kindertageseinrichtungen“, zudem sei das Team „eng von der pädagogischen Fachberatung der Verwaltung begleitet“ worden. Dass es mehrere Vertretungen gab, bestätigt Weber. Man habe Personal gesucht, aber der Fachkräftemangel sei auch in Mössingen spürbar: „Es ist sehr schwer, ausreichend geeignetes Personal zeitnah einstellen zu können.“ Allerdings ist auch Weber klar, dass nicht alles optimal gelaufen ist: „Im Nachhinein hätten wir den jetzigen Schritt bereits vor einem Jahr vornehmen sollen.“

„Die allermeisten Eltern haben sich dem Verwaltungsvorschlag gegenüber positiv ausgesprochen“, schreibt die Stadt. Tatsächlich, so berichtet unsere Gesprächspartnerin, seien die Eltern teilweise erleichtert: „Jetzt machen wir einen Cut.“ Aber sie und die allermeisten anderen fänden es einfach schade, dass die (eigenständige) Goethestraßenzeit Mitte November so abrupt zu Ende geht.