Gomaringen

Hinterfragen

Mike Michelus berichtete im Tübinger Kepler-Gymnasium von seiner Jugend in der DDR, seiner Verhaftung, dem Aufenthalt im Gefängnis und wie er von der Bundesrepublik freigekauft wurde („Von der roten Socke zum Punk“, 21. März).

26.03.2018

Von Ellen Noetzel, Gomaringen

Ich gebe den jungen Schülerinnen und Schülern des Kepler-Gymnasiums völlig recht – es ist schön, wenn man in einem Land aufwächst, in dem man sich frei entfalten kann. Zur freien Entfaltung gehört für mich, dass ich die Möglichkeit bekomme, verschiedene Perspektiven einer Gesellschaft betrachten zu können. Gab es in der DDR keine Menschen, die sich frei entfalten konnten und können sich alle Menschen, die in dieser Demokratie hier leben, wirklich frei entfalten? Was heißt das
überhaupt, sich frei entfalten zu können?

Ich bin in der DDR geboren, hatte dort freien Zugang zu Bildung, inklusive der Vermittlung eines Menschenbildes, das mich bis heute befähigt, mich frei entfalten zu können. Ich hatte viele Lehrer, die mir ein humanistisches Weltbild vermittelt haben, die mich stets zum kritischen Hinterfragen angeregt haben.

In der hiesigen Gesellschaft können sich auch viele Menschen frei entfalten. Manchmal frage ich mich allerdings, wem diese Entfaltung nützt. Noch zu oft steht leider auch nur die „Entfaltung“ des eigenen Geldbeutels im Vordergrund, oder warum dürfen sich Autokonzerne auf Kosten der
Gesundheit vieler Menschen entfalten?

Und ich kenne leider zu viele junge Menschen, die sich im hiesigen Bildungssystem nicht frei entfalten können, weil die Hürden für Unterstützungen oft so hoch sind, dass sie mit eigener Kraft nicht überwunden werden können.

Eine Vermittlung eines hinterfragenden Blicks von jungen Menschen auf „freie Entfaltung“ wäre schön ...