War „Pirat“ Objekt oder Agent?

Hintergrund einer fetten Stasi-Akte: Der Tübinger Eric Asch und sein Film über die Observierung

Der aus Tübingen stammende Filmemacher Eric Asch hat einen Dokumentarfilm über seinen Vater Robert gedreht. Anlass war die Entdeckung einer 3000 Seiten dicken Akte, die die Stasi über den früheren Leiter des Deutsch-amerikanischen Instituts geführt hat. „Deckname Pirat“ hat am Freitag im Kino Museum Premiere. Hier ein Bericht über die Hintergründe des Projekts.

14.10.2014

Von Ulrike Pfeil

Im Copyshop an der Tübinger Wilhelmstraße spielt eine der Szenen im Film von Eric Asch. Sie zeigt den Regisseur beim Kopieren von Stasi-Unterlagen über seinen Vater. „Pirat“ lautete der Deckname, unter dem dieser von seinen Beobachtern des DDR-Geheimdienstes geführt wurde. „Deckname: Pirat“ ist auch der Titel des abendfüllenden Films, an dem Asch gerade arbeitet.

Eric Asch, 41, in Tübingen aufgewachsen, Waldorfschüler, Hospitant am Melchinger Lindenhoftheater und am Stuttgarter Theaterhaus, Student am Tübinger Brechtbau (Rhetorik, Amerikanistik, Germanistik) und schließlich Absolvent der Filmhochschule München, hat diese Geschichte lange mit sich herumgetragen. Sie beginnt 1994, als sein Vater Bob Asch bei der Gauck-Behörde rein aus Neugier einmal nachfragte, ob von der Stasi etwas über ihn vorläge. Und erfuhr, dass es „doch ein bisschen mehr“ sei.

Das „bisschen mehr“ stellte sich als ein Konvolut von über 3000 Seiten heraus. „Das hat ihn sehr betroffen gemacht“, erinnert sich Eric Asch. Er wusste, dass sein Vater Kopien von einem Teil der Dokumente gemacht hatte, und auch, dass es ihm gelang, einmal in Potsdam den ehemaligen Stasi-Führungsoffizier zu treffen, der seinerzeit die Bespitzelung koordiniert hatte. „Ich wollte schon damals mit und diese Begegnung filmen“, sagt Eric Asch. Aber der frühere DDR-Oberst, inzwischen bei einer Versicherung tätig, wollte das nicht. Auch Bob Asch behielt die Sache sehr für sich. Nie ließ er den Sohn, der immer wieder mal nachfragte, in die Akten schauen.

In Tübingen ist Robert Asch vor allem als Direktor des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) in Erinnerung, das er von 1974 bis 1977 leitete. Keine lange, aber eine besonders produktive Zeit, in der das Institut eine entschieden aufklärerische, kritische Haltung einnahm und die Diskussion um aktuelle, auch brisante Themen befeuerte: mit Veranstaltungen zu Feminismus, Kulturrevolution, ethnischen Minderheiten in der Bundesrepublik und den USA. Nach drei Jahren musste Asch seinen Hut nehmen, um der Kündigung durch die US-Botschaft zuvor zu kommen. Einige Zeit später konnte der in der Stadt ungemein beliebte Amerikaner, der ein begeisterter „Expatriate“ in Deutschland war, die Tübinger Leitung des Austauschprogramms „Tufts in Tuebingen“ übernehmen. An der Tufts-University in Massachusetts hatte er selbst sein erstes Lehr-Engagement in den USA gehabt.

Drehort Copyshop: Filmemacher Eric Asch (Mitte) mit seinem Team (links Tonmeister Daniel Seiler, rechts Kameramann Daniel Schönauer) am Kopierer in der Tübinger Wilhelmstraße. Das Kopieren von Stasi-Unterlagen ist eine Szene im Dokumentarfilm, den Eric Asch über seinen Vater Robert dreht.

Drehort Copyshop: Filmemacher Eric Asch (Mitte) mit seinem Team (links Tonmeister Daniel Seiler, rechts Kameramann Daniel Schönauer) am Kopierer in der Tübinger Wilhelmstraße. Das Kopieren von Stasi-Unterlagen ist eine Szene im Dokumentarfilm, den Eric Asch über seinen Vater Robert dreht.

Für Bob Asch bestand Deutschland auch zur Zeit des Kalten Kriegs immer aus zwei Hälften. Er verlor die DDR nie aus dem Blick. Sie interessierte und faszinierte ihn, und mit jeder neuen amerikanischen Studentenklasse unternahm er seit 1979 Reisen in den sozialistischen Osten. Drei bis vier Mal im Jahr besuchte er die DDR. Kontaktfreudig, wie er war, kam er mit vielen Menschen dort ins Gespräch: im Zug, im Hotel, bei Besichtigungen. Schließlich hatte er Bekannte, ja Freunde dort – wie er glaubte. Nur dass sie sich als Spitzel herausstellten.

Nach dem Tod seines Vaters – er starb im März 2001 mit erst 66 Jahren sehr plötzlich nach einem Schlaganfall – machte sich Eric Asch auf die Suche nach den Kopien der Stasi-Dokumente. Doch sie blieben verschollen. Erst acht Jahre später stieß er bei einem Aufenthalt in Tübingen zufällig („Ich suchte im alten Kinderzimmer meiner Schwester nach einem Tischtennisschläger“) in einer Schublade auf den Eröffnungsund Abschlussbericht der Observierung. „Da war das Feuer sofort wieder entfacht“, sagt er, das Filmprojekt nahm Umrisse an. Später entdeckte seine Mutter in einer ausrangierten Biotonne im Keller einen weiteren Stapel der insgesamt 500 Seiten, die sein Vater kopiert, dann aber gut verborgen hatte. Sie steckten in einer Plastiktüte von Mode-Zinser.

Wie Eric Asch herausfand, wurde sein Vater von 1982 bis 1986 intensiv von der Stasi observiert. Das ging so weit, dass ein Spitzel 1985, während die Familie im Urlaub war, um das Haus schlich und Fotos machte. Auch Telefongespräche mit Kontaktpersonen in der DDR wurden „angezapft“, man hörte es am Echo, oder die Leitung war plötzlich tot. Dass Briefe geöffnet wurden, ist fast schon selbstverständlich. In der Regel wurde aber vor allem über Bob Aschs Kontakte auf Reisen in die DDR detailliert Buch geführt. Unter anderem von „IM (Kürzel für Informeller Mitarbeiter, wie private Spitzel genannt wurden) Doktor“, einem seiner vermeintlichen Freunde. Oder von „IM Ober“, einem Kellner im Hotel International.

Warum die Beobachtung 1986 eingestellt wurde, darüber kann Eric Asch nur spekulieren. Von dem ehemaligen Führungsoffizier, mit dem auch er sich noch einmal traf, wurde als Grund „Erfolglosigkeit“ angegeben. Man habe keine hinreichenden Beweise dafür gefunden, dass Bob Asch der DDR Schaden zufügte. Eric Asch vermutet auch einen aktuellen politischen Hintergrund: Die DDR habe sich damals um ein Kulturabkommen mit den USA bemüht („Erich Honecker war ja ein großer Fan der USA“), und da sei es vielleicht nicht opportun gewesen, dass die Bespitzelung eines amerikanischen Staatsbürgers auffliegen könnte.

Warum aber wurde der Amerikaner aus Tübingen überhaupt so intensiv observiert? Was hatte Bob Asch der Stasi an Informationen zu bieten? „Vielleicht konnte man sich dort einfach nicht vorstellen, dass ein Amerikaner sich ganz schlicht für die DDR interessiert“, ist eine Hypothese von Eric Asch. Es würde aber zu seinem Vater passen, dessen jüdische Vorfahren („Aschkenasy“, daher der später verkürzte Familienname „Asch“) als Juden aus Osteuropa in die USA einwanderten und in New York eine neue Existenz aufbauten. „Der Osten, Osteuropa, das reizte ihn immer“, sagt Eric Asch. Eigentlich wollte Bob Asch ja auch Russisch lernen, als er sich nach dem College beim Fremdspracheninstitut der US-Army im kalifornischen Monterey bewarb. Erst die Army rekrutierte ihn dann für Deutsch – wie sich herausstellen sollte, ein schicksalhafter Zufall.

Als Amerikaner, der durch die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen politisiert wurde, glaubte Bob Asch auch an die Durchsetzungsfähigkeit der Demokratie und der Menschenrechte. Er suchte nach solchen Zeichen in der DDR, hatte Kontakt zu Oppositionellen, zu Kirchengemeinden – ein weiteres denkbares Motiv für die Stasi. Hatte sie ihn im Verdacht, kritische DDR- Bürger zu unterstützen? Hoffte sie, über ihn Informationen über Oppositionelle zu gewinnen? Wollte sie ihn vielleicht sogar anwerben?

Eine andere Mutmaßung hat ihren Ursprung in Bob Aschs früherTätigkeit für die Army selbst. In den 1950er Jahren war er als Army-Angehöriger in Berlin an einer geheimdienstlichen Operation im Osten der Stadt beteiligt. Konnte es sein, dass er noch immer für einen Nachrichtendienst tätig war, wie ein Stasi- Informant nahelegt, der ihn in seinem Bericht als wichtige und interessante Quelle über die Absichten der USA preist? Oder schwindelte der Stasi- Mann das nur selbst herbei, um sich und diesen Fall bei seinem Führungsoffizier interessant zu machen?

Um die Stationen seines Vaters zu rekonstruieren, ist Eric Asch mit seinem Filmteam nicht nur nach Berlin und Ostdeutschland gereist, sondern auch quer durch die USA, von der Ost- bis zur Westküste. Er hat ehemalige Freunde, Kollegen, Army- und Weggefährten ausfindig gemacht und befragt. Und natürlich kommen auch Zeugen aus Tübingen in der Recherche vor. Die Antwort, die er gefunden hat, will Eric Asch vor der Veröffentlichung seines Films nicht preisgeben. „Wir Filmemacher haben auch unsere Geheimnisse“, sagt er augenzwinkernd. Sicher ist, dass sein Film auch etwas von jenem Geist wiedergeben wird, der seinen Vater antrieb, dem „Bob-Spirit“, wie Asch sagt: Offenheit, Neugier, Staunen über die absurden Dinge des Lebens, Lachen darüber.

Als Bob Asch die Dokumente seiner Observierung durch die Stasi las, ist ihm das Lachen allerdings erst einmal vergangen. „Es gibt da einen Bruch“, sagt Eric Asch. „Als er erfuhr, dass 3000 Seiten über ihn existierten, war er sehr desillusioniert über die DDR.“ Er erfuhr auch, dass er sich in bestimmten Menschen getäuscht hatte: Ein DDR-Freund, den er selbst im Verdacht hatte, war gar kein Spitzel,„aber dafür ein anderer, der auf der selben Gartenparty war“.

(Schwäbisches Tagblatt, 13.2.2013)



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„Deckname Pirat“ wird am Freitag (17. Oktober) um 20.15 Uhr im Kino Museum erstmals in Tübingen vorgeführt. Asch, der nach seinem Sprachen-Studium am Tübinger Brechtbau die Münchner Filmhochschule absolviert hat, wird bei der Vorstellung anwesend sein und danach mit dem Publikum diskutieren.