Das Haus aus der Gegenwart lesen

Holger Kube Ventura zur Zukunft der Tübinger Kunsthalle

Noch sechs Tage bis zur Wiedereröffnung: Wie sich der Künstlerische Vorstand Holger Kube Ventura die künftige Ausrichtung des Haus vorstellt, und was er alles dafür tut.

04.03.2017

Von Wilhelm Triebold

„It‘s a strange, strange world, Sally“ heißt diese Arbeit des belgischen Abfallmaterialkünstlers Peter Buggenhout, den Holger Kube Ventura gleich zwei Mal im Frankfurter Kunstverein präsentierte: Kolossale schrotthaufenähnliche Gebilde, aber auch filigrane Multiples wie dieses hier, das jetzt in Kube Venturas Tübinger steht. Für ihn, sagt er lächelnd, ist es „einfach ein fieses krabbelndes Tier“. Bild: Metz

„It‘s a strange, strange world, Sally“ heißt diese Arbeit des belgischen Abfallmaterialkünstlers Peter Buggenhout, den Holger Kube Ventura gleich zwei Mal im Frankfurter Kunstverein präsentierte: Kolossale schrotthaufenähnliche Gebilde, aber auch filigrane Multiples wie dieses hier, das jetzt in Kube Venturas Tübinger steht. Für ihn, sagt er lächelnd, ist es „einfach ein fieses krabbelndes Tier“. Bild: Metz

Diese merkwürdigen Wandvitrinen im Eingangsbereich. Werden da demnächst die Reliquien der Adriani-Ära ausgestellt? All die vergriffenen Kataloge, die immer schon von der einstigen Bedeutung des Tübinger Ausstellungsbetriebs kündeten, aber unter Glas nie berührt werden durften – ein Schneewittchen-Dasein.

Holger Kube Ventura weiß auch nicht genau, warum die beleuchteten Vitrinen jetzt da sind. „Vielleicht ein Aquarium?“, scherzt er. Die alten Katalog-Glaskästen auf dem Weg zu den Ausstellungen kehren aber wohl nicht wieder. Feuerpolizeilich hat sich manches geändert. Und auch die neue Kunsthalle genügt jetzt allen aktuellen Brandschutz-Bestimmungen.

Rolf Bickelmann, der Leiter des städtischen Fachbereichs Hochbau, schwärmt von den Vermessungen. Alles komplett LED, kann von null auf 1000 Lux hochgefahren werden. Hinter den Wänden kommt die Zuluft runter, die Abluft zieht’s in Schlitze, „das war vorher nicht so“. Statische Heiz- und Kühlflächen, deutliche Energie-Einsparungen, regulierbare Raumtemperatur, separat für jeden Raum, idealerweise gleichbleibend 19 Grad Lufttemperatur und 48 Prozent Luftfeuchtigkeit, „der Standard größerer Museen“.

„Ich finde, er ist schön geworden“, dreht sich Bickelmann im neuen Ausstellungsraum um, der einer Flächenerweiterung um fast 250 Quadratmeter (inklusive Depot) zu verdanken ist. Als die Stifterfamilie Zundel während des „Tübinger Vertrags“-Intermezzos, für das die Kunsthallen-Sanierung unterbrochen wurde, mit den Anbau-Wünschen kam, mussten Bickelmanns Abteilung und der Reutlinger Architekt Eberhard Wurst die komplette Planung überarbeiten. Nicht ganz einfach, aber sie haben es fristgerecht – und wohl auch unter Einhaltung des Kostenrahmens – bis zum Wiedereröffnungstermin hingekriegt.

Szenenwechsel. Drüben im Verwaltungsbau, in Götz Adrianis früherem Reich, hat sich jetzt Holger Kube Ventura ein gerichtet. In der Gesprächsecke stehen nun die 3-D-Druckmodelle großer „Headquarter“ der Investmentwelt, die Tempel der Finanzwesens. Erfindungen von der Künstlergruppe Superflex in Vasen-Funktion, bestückt mit Pflanzen, die halluzinierende Wirkung entfalten wie Peyotl oder Cannabis.

Adriani und die Stiftung sind in den anderen Trakt des Gebäudes umgezogen. Wie ist die Stimmungslage? „Es gibt keine Vorstandsarbeit mehr. Keine Sitzungen, keine Beschlüsse“, sagt Kube Ventura, der Künstlerische Vorstand. Immerhin, während alle kuratierenden Vorgänger abhängig waren von Adrianis Zustimmung oder Abneigung, das ist jetzt nicht mehr so. „Ich habe komplette Autonomie, was Ausstellungen anbelangt. Ob ich ein Bild hänge oder tausend, ist egal.“

Aber in vielen anderen Bereichen kann er weiterhin nicht mitreden oder gar mitbestimmen – „Begründung: das ist nicht der Ausstellungsbereich.“ Eigentlich, findet Kube Ventura, habe das Kuratorium „die Pflicht, den Vorstand aufzulösen“. Es scheint, als sei der Machtkampf um die Kunsthalle noch längst nicht ausgestanden, geschweige denn gütlich beigelegt.

Kube Ventura lässt derweil Zahlen sprechen. Seine erste Ausstellung „Kapitalströmung“, die am kommenden Freitag eröffnet wird, hat ein Budget von 90 000 Euro, davon sind 53 000 Euro Eigenmittel (Drittmittel und städtischer Zuschuss), kommen 12 000 Euro von der Kreissparkasse und werden 22 000 Euro an Eintrittsgeldern eingepreist, wenn man mit 4500 zahlenden Besuchern kalkuliert.

Ausstellung Numero zwei, die amerikanisch-iranische Künstlerin Shirin Neshat und die Frau in der Gesellschaft, kostet dann bereits 173 000 Euro. Davon steuert die Bundeskulturstiftung 90 000 Euro bei. Und obwohl die Ausstellung immerhin vier Monate laufen soll, peilt Kube Ventura sicherheitshalber nur 4000 zahlende Besucher an – „extrem wenig“, wie er findet. Insgeheim rechnet er aber mit fünfmal so vielen.

Noch größer ist das Budget für „Pop Art im Kongo“, Ausstellung Nr. drei, mit 250 000 Euro. Und auch hier wird mit 5000 Zuschauern äußerst sparsam kalkuliert. Und wieder kommt der Löwenanteil über Drittmittel zustande, nämlich 144 000 Euro. „Da kann nichts passieren“, weiß Kube Ventura, „die Fördermittel sind zugesagt“.

„Vor mir hat keiner Drittmittel in dieser Höhe akquiriert“, sagt Kube Ventura. Ein Dankeschön habe er dafür bislang nicht vernommen.

Wie plant der Kurator Kube Ventura seine Ausstellungen? Er sammelt, bis sich die Idee zu einer Ausstellung formen lässt. Ausgangspunkt waren hier drei Arbeiten von des Künstlers Sven Johne („Some Engels“, 2013), in denen es um das das Casting arbeitsloser Schauspieler am Grab von Karl Marx geht, wo sie den Grabredner Friedrich Engels verkörpern sollen. „Letztlich geht es hier um die Gewalttätigkeit des Zwangs zur Selbstvermarktung“, verrät dazu das Kunsthallen-Info.

Irgendwann bekommt „das Ding einen Namen und eine Überschrift“: Kube Ventura war schnell klar, dass zum Kunsthallen-Neustart eine thematische Gruppenausstellung mit vielen Medien gut wäre. „Eine Ausstellung, die relativ laut ist. Es hätte aber auch Shirin Neshat sein können.“

Und weil man ja auch immer ein bisschen trommeln und auf die Pauke hauen muss, wird im Vorfeld der Eröffnung, als eine Art post-närrisches Treiben, Boris Palmers OB-Stuhl entwendet und als eine Art Trophäe in die Ausstellung gebracht. Da wartet auf ihn schon ein massiver Schreibtisch aus dem Leibnizkolleg.

Anschluss ans Aktuelle

Kube Ventura will, dass die Kunsthalle „Anschluss bekommt an das, was aktuell ist.“ Und dass sie auch für Leute da ist, die sich sonst nicht für Kunst interessieren.

Was haben die Künstler zu den Kapitalströmen, global oder auch nicht, zu sagen? „Es ist gut zu sehen“, sagt Kube Ventura, „was unser Anspruch ist: gesellschaftlich relevante Themen. Aber nicht spröde und journalistisch. Lieber bildgewaltig, mit riesigen Bildern, die einen überfallen.“

Oder mit knitzen, witzigen Kunstaktionen wie Christin Lahrs Arbeiten, die 40 Jahre lang jeden Tag einen Cent ans Bundesfinanzministerium überweist, um den Schuldenberg abzubauen. Aber auch, um einen „gewissen wahnsinnigen“ Verwaltungsaufwand zu entfesseln, der „administratives Kapital vernichtet“.

Die Kunsthalle, scheint es, verabschiedet sich von liebgewonnen Gewohnheiten und Traditionen. Adrianis Blockbuster könne man nicht wiederholen, sagt Kube Ventura ungerührt. Es gelte, das Haus aus der Gegenwart zu lesen, nicht aus der Vergangenheit. Das Hervorheben von Adrianis Meriten ist da für ihn ein „Tanz ums goldene Kalb“, ein bisschen auch „Geisterbeschwörung“. Kube Ventura ist der Meinung: „Es muss ein neuer Schwerpunkt gesetzt werden“.

Bei der Eröffnung am kommenden Freitag um 19 Uhr wird Götz Adriani nicht sprechen. Sondern der Kuratoriums-Vorsitzende Hans J. Baumgart, Oberbürgermeister Boris Palmer und als Künstlerischer Vorstand Holger Kube Ventura.

Einiges hängt schon für die Start-Ausstellung „Kapitalströmung“ in der renovierten Tübinger Kunsthalle. Bild: Metz

Einiges hängt schon für die Start-Ausstellung „Kapitalströmung“ in der renovierten Tübinger Kunsthalle. Bild: Metz

Paolo Woods & Gabriele Galimberti: „Virgin Islands“.Bild: KH

Paolo Woods & Gabriele Galimberti: „Virgin Islands“.Bild: KH

Blick Richtung Anbau der Tübinger Kunsthalle: Wegen der Sichtachse wurde die Wand zum zusätzlichen Ausstellungsraum stehen gelassen.  Bild: Metz

Blick Richtung Anbau der Tübinger Kunsthalle: Wegen der Sichtachse wurde die Wand zum zusätzlichen Ausstellungsraum stehen gelassen. Bild: Metz

Die Ausstellungsräume als kühle, nahbare Schöne. Bild: Metz

Die Ausstellungsräume als kühle, nahbare Schöne. Bild: Metz

Ein mittlerer Raum wurde extra (und nur) für die Ausstellung schwarz gestrichen. Bild: Metz

Ein mittlerer Raum wurde extra (und nur) für die Ausstellung schwarz gestrichen. Bild: Metz

Nach dem Umbau, kurz vor der Wiedereröffnung. Bild: Metz

Nach dem Umbau, kurz vor der Wiedereröffnung. Bild: Metz

Was die Tübinger Kunsthalle so alles vor hat

Die Tübinger Kunsthalle wird am kommenden Freitag, 10. März mit der Gruppenausstellung „Kapitalströmung“ wiedereröffnet. Am 1. Juli werden neue Arbeiten der hoch gehandelten Künstlerin Shirin Neshat gezeigt, die kurz darauf als Regisseurin auf den Salzburger Festspielen Verdis „Aida“ (mit Anna Netrebko in der Titelrolle) herausbringt. Im November folgt eine kunstkriminalistische Ermittlungsarbeit der beiden Medienkünstler Andree Korpys und Markus Löffler, ein Multimedia-Parcours über die gesamte Ausstellungsfläche. Und mit „Pop Art im Kongo“ wird ab März 2018 populäre Malerei aus dem zentralafrikanischen Land vorgestellt.

Die Kosten der Kunsthallen-Sanierung (2,3 Millionen Euro) übernimmt die Stadt, den Erweiterungsbau (1,2 Millionen Euro) die Kunsthallen-Stiftung und die Stifter-Familie Zundel.

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Erstellt:
04.03.2017, 01:00 Uhr
Aktualisiert:
04.03.2017, 09:51 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 04.03.2017, 09:51 Uhr

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