I Am Not Your Negro

I Am Not Your Negro

Essayistischer Dokumentarfilm über die Geschichte des Rassismus in den USA anhand eines Manuskripts von James Baldwin (1924 bis 1987).

01.01.2017

Von Klaus-Peter Eichele

I Am Not Your Negro

ur wenige Wochen nach seinem Spielfilm über den jungen Karl Marx, der sich hartnäckig auf der Tübinger Arsenal-Leinwand behauptet, kommt ein weiteres Werk des haitianischen Regisseurs Raoul Peck in die Kinos. Der dokumentarische Essay über Rassismus in den USA fußt auf einem unveröffentlichten Manuskript aus dem Nachlass des 1987 gestorbenen Schriftstellers James Baldwin. Baldwin verknüpft darin Erinnerungen an die ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers mit seiner eigenen Lebenserfahrung als Afroamerikaner sowie kulturphilosophischen Gedanken zum Verhältnis von Schwarzen und Weißen in den USA.

Die wütende Generalabrechnung mit dem weißen Amerika, die der Schauspieler Samuel L. Jackson (in der deutschen Fassung: Rapper Samy Deluxe) aus dem Off vorträgt, illustriert Peck mit sorgfältig ausgewählten Fotografien und Filmaufnahmen aus den letzten 100 Jahren afroamerikanischer Geschichte, ergänzt um Ausschnitte aus prägnanten Fernsehinterviews mit Baldwin. Dabei erweist sich der 1979 geschriebene Text als dermaßen aktuell, dass der Regisseur problemlos Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, etwa die Todesschüsse auf unbewaffnete Schwarze durch die Polizei und die nachfolgenden „Black Lives Matter“-Proteste, in die Collage montieren kann.

Neben der nicht enden wollenden Gewalt, die sich im Film von den Lynchmorden des Ku-Klux-Clan bis nach Ferguson zieht, behandelt der Essay auch die subtileren Methoden, mit denen Afroamerikaner niedergehalten wurden und werden. Als unfreiwilliger Kronzeuge fungiert dabei immer wieder Hollywood, wo Dunkelhäutige ein Jahrhundert lang entweder ignoriert, zu Deppen degradiert oder, in späteren Jahren, nach den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft zu Vorzeige-Schwarzen modelliert wurden. Aber auch am Selbstbild der Weißen im Film, etwa in den von John Wayne und Doris Day verkörperten Figuren, lässt der Text kein gutes Haar. „Würde sich ein Schwarzer verhalten wie Wayne, gälte er nicht als exzentrischer Patriot, sondern als gefährlicher Irrer“, so Baldwin.

Wenn sich aus dem gedanklich verästelten Essay überhaupt eine zentrale These destillieren lässt, dann vielleicht diese: Ob offen oder unbewusst, haben die weißen Amerikaner ihren wahnhaften Anspruch auf Überlegenheit und Dominanz niemals aufgegeben. Inzwischen sitzt – da hat die Wirklichkeit den Film überholt – mit Stephen Bannon ein Sympathisant der „white supremacy“ sogar im Weißen Haus.

Zornige Anklage und scharfsinnige Analyse des weißen Amerika, von Raoul Peck kongenial bebildert.

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Erstellt:
01.01.2017, 10:05 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 09sec
zuletzt aktualisiert: 01.01.2017, 10:05 Uhr

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