Ich, Daniel Blake

Ich, Daniel Blake

In dem Cannes-Gewinner von Ken Loach gerät ein Schreiner nach einem Herzinfarkt in die Mühle der Arbeitslosen-Bürokratie.

02.07.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Seit 50 Jahren dreht der Brite Ken Loach Filme, die zeigen, wie der Kapitalismus die Menschen zugrunde richtet – zumindest jene, für die das System keine Verwendung mehr hat. Weil die Mächtigen immer neue Knüppel gegen diese unnützen Esser aus dem Sack holen, geht ihm nie der Stoff aus.

Loachs jüngster, in Cannes mit der Goldenen Palme dekorierter Film handelt von dem älteren Bauschreiner Daniel Blake, der nach einem Herzinfarkt vorübergehend arbeitsunfähig ist. Ein klarer Fall für die Sozialkasse? Nicht in England, wo die teilweise in Privatfirmen ausgelagerte Sozialbürokratie noch etwas brutaler als hierzulande ein Ziel verfolgt: die Kosten zu minimieren. Entsprechend werden die Bedürftigen abgewimmelt, schikaniert oder, wenn sie mal zehn Minuten zu spät zum Termin kommen, gnadenlos abgestraft.

Nach einem Test voller abstruser Fragen („Können Sie einen Wecker stellen?“) und einem Hindernislauf durch Amtsstuben und Callcenter wird Daniel schließlich beschieden, er solle sich entgegen dem dringenden ärztlichen Rat eine neue Arbeit suchen. Jeder Bewerbungsschritt sei penibel zu dokumentieren – im Verweigerungsfall gebe es ja noch die staatliche Suppenküche.

Zwar ist Blake keiner, der sich ohne weiteres unterkriegen lässt, doch gegen die Übermacht des Unmenschlichen hat er letztlich keine Chance. Wer durch den Rost gefallen ist, hat außer Demütigungen nichts mehr zu erwarten – so die Botschaft, die Loach am Beispiel einer allein erziehenden Mutter, mit der Blake sich anfreundet, noch drastischer demonstriert. Selbst das letzte Gut, die Würde des Menschen, geht unter solchen Umständen vor die Hunde.

Am stärksten ist der Film in den realsatirischen Passagen, den Szenen im Jobcenter, wo zwischen Wirklichkeit und Groteske kein Antragsformular passt. Wie der gesunde Menschenverstand dort auf die Mauern bizarrer Vorschriften und ignoranter Sachbearbeiter, die selbst arme Schweine sind, prallt, wäre zum Prusten, wenn es nicht so traurig wäre. Ganz groß ist auch Dave Johns als gutmütiger Malocher, der gar nicht glauben will, dass ihn das System, das er ein Leben lang mit Steuern und Sozialabgaben gestützt hat, wie einen räudigen Hund behandelt.

Mag sein, dass es Loach zum Ende hin mit den Nacken- und Tiefschlägen, die seinen beiden Helden einstecken müssen, ein wenig übertreibt. Die Konservativen im britischen Parlament, wo der Film jüngst debattiert wurde, nahmen dies jedenfalls zum Anlass, das ganze als einen schillernden Einzelfall abzutun.

Die Würde des Menschen ist unantastbar? Da lacht sich das Jobcenter einen Ast.