Horb · Interview

„Ich bin kein Angsthase“

Walter Schäuffele aus Waldachtal ist ein Globetrotter: Zuletzt war der 59-Jährige zu Gast in Nordkorea. In der SÜDWEST PRESSE spricht er über gefährliche Reisen, Flugscham und Schicksalsschläge.

10.01.2020

Von Mathias Huckert

Walter SchäuffeleBild: Karl-Heinz Kuball

Walter SchäuffeleBild: Karl-Heinz Kuball

SÜDWEST PRESSE: Herr Schäuffele, Sie haben bereits über 100 Länder bereist. Eines Ihrer letzten Ziele war die Diktatur in Nordkorea. Sie halten Vorträge über die Reise, dürfen aber mit unserer Zeitung nicht darüber reden. Wie passt das zusammen?

Walter Schäuffele: Das Land steht mit der Kim-Dynastie wohl unter der strengsten Kontrolle auf der Welt. Würde ich jetzt darüber reden, brächte ich dort bestimmte Personengruppen in Gefahr, die in Nordkorea mit solcher Härte verfolgt werden, wie wohl sonst nirgendwo auf der Welt.

In Ihrem morgigen Vortrag in Freudenstadt werden Sie auch Fotos zeigen, die Sie verbotenerweise vor Ort gemacht haben. Fürchten Sie die möglichen Konsequenzen nicht?

Meine Vorträge sind Momentaufnahmen. Die Besucher oder auch Pressevertreter nehmen für sich mit, was ich erzähle und zeige. Wenn ich allerdings hier davon berichte, unter welchen Umständen die Reise zustande kam, könnte das schwerwiegende Folgen haben. Ich selbst habe mich dabei ja auch enormen Risiken ausgesetzt. Wen es interessiert, der kann gerne meine Vorträge besuchen.

In all den Jahren, in denen Sie die Welt schon bereisen, sind Sie oft solche Risiken eingegangen. Waren Sie sich dessen immer bewusst?

Man denkt natürlich immer daran. Aber das Bewusstsein dafür ist im Nachhinein immer präsenter. 2013 arbeitete meine Tochter in Brasilien – ich war mittlerweile schon fünfmal am Amazonas – und ich besuchte sie dort zusammen mit meinem jüngsten Sohn. Da gab es einen Tag, den ich niemals vergessen werde.

Was geschah an diesem Tag?

Wir besichtigten die Marajó-Insel, wo der Amazonas ins Meer mündet. Als meine Tochter an einem Tag gerade von der Arbeit nach Hause fuhr, schlug ihr jemand ins Gesicht und versuchte sie auszurauben, als sie gerade mit dem Auto an einer Ampel stand. Zum Glück war die grün und sie konnte Gas geben. Später am Abend war ich noch Schwimmen am Strand. In Brasilien gibt es oft Kontrollflüge, die vor möglichen Haiangriffen warnen. Als ich mich bereits draußen auf dem Ozean befand, merkte ich plötzlich, dass da eine ganz große Gefahr ist: Die Leute hatten sich am Strand versammelt, über mir kreiste gerade der Hubschrauber. So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschwommen. Doch meinem Sohn widerfuhr auch etwas Schlimmes: Wegen der starken Wellen hatte er sich verletzt, konnte den Kopf kaum noch bewegen. Wir sind dann schnell zurück zur Wohnung, doch zwei Jugendliche verfolgten uns.

Warum?

Sie riefen uns auf Portugiesisch zu: „Hände über den Kopf!“. Das hatte ich erst später verstanden. Einer der beiden war bewaffnet. Ich hatte kein Geld bei mir und wusste: die schießen sofort. Denn die einzige Konsequenz für solche Überfälle in Brasilien ist für Jugendliche, dass sie in ein Heim kommen, wo es ihnen dann auch nicht schlechter geht als auf der Straße. Wir schafften es dann zum Glück noch nach Hause.

All das passierte an einem Tag. Wieso hat Sie das in Zukunft nicht von weiteren Reisen abgehalten?

Es war definitiv einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Ich bin kein Angsthase. Aber auch nicht der pure Draufgänger, obwohl ich bereit bin, ein hohes Risiko auf meinen Reisen einzugehen. Ich bin dem Tod bestimmt schon hundertmal von der Schippe gesprungen. Jetzt, mit 59, ist mir aber auch klar: Ich will meine Rente noch erleben.

Also treten Sie mittlerweile kürzer, was die Gefahren angeht?

Das tue ich generell schon: Ich fahre zwar gerne schnell Auto und Motorrad, bin vielleicht so etwas, was man einen „Heizer“ nennen könnte. Aber auch das versuche ich mittlerweile einzuschränken. Einfach weil mir durch viele Erlebnisse auf meinen Reisen stärker bewusst ist, dass man Acht geben muss – auf sich selbst und auf andere.

Wie wurde Ihnen das genau bewusst?

Ich habe meinen guten Freund, Professor Klaus Blecken, auf einer Reise verloren. Er starb vor meinen Augen nach einer Wanderung im australischen Kings Canyon.

Wie kam es zu diesem Unglück?

Wir waren bereits 1997 in Mexiko unterwegs gewesen, haben zusammen im Dschungel übernachtet. 2003 wollten wir das Urvolk der Yanomami in Venezuela besuchen. Das klappte nicht, wegen der politischen Unruhen dort, die es schon damals gab. Deshalb ging die Reise dann nach Australien. Vor Ort machte ich eine längere Tour, er war damals nicht so fit, entschloss sich also, eine kürzere Wanderung zu machen. Als ich zurück zu unserem Auto kam, vermutete ich zuerst, er wäre schon dort, würde sich ausruhen.

Doch so war es nicht?

Er befand sich nicht im Auto. Schon vorher hatte ich auf dem Weg zurück eine Frau getroffen, die meinte, dass jemand oben auf dem Canyon Probleme hat. Ich rannte zurück, und sah noch, wie Klaus dort zugedeckt wurde. Er hatte sich bereits im Vorfeld nicht gut gefühlt – hinzu kamen der 21-stündige Flug und die enorme Hitze in Australien.

Wie haben Sie dieses Erlebnis verarbeiten können?

Es ärgert mich heute noch, dass ich damals nicht öffentlich in der Zeitung erzählt habe, was passiert ist. Zuhause gab es viel Geschwätz darüber, wie Klaus ums Leben kam.

Fühlten Sie sich auch schuldig?

Keine Frage, das bleibt nicht aus.

Sie gehen nach wie vor auf Reisen, oft in ferne Länder. Wie können Sie das in Zeiten von Flugscham und Klimawandel mit ihrem Gewissen vereinbaren?

Ich bin froh über diese Frage. Ich mache diese Reisen, aber das schlechte Gewissen reist heutzutage mit. Trotzdem kann ich leider nicht mit dem Kanu nach Peru paddeln.

Aber Sie könnten weniger reisen. Haben Sie das schon einmal in Betracht gezogen?

Ja. Ich weiß auch, dass unser Planet längst kaputt wäre, wenn jeder so wie ich reisen würde. Allerdings muss ich sagen, dass etwas falsch läuft, wenn man für 530 Euro um die halbe Welt fliegen kann. Ich versuche jedenfalls, in anderen Lebensbereichen gezielt nachhaltig zu leben und Verschwendung zu vermeiden, um so wenigstens eine ausgeglichenere Bilanz zu halten.

Walter Schäuffele und Klaus Blecken (links) in Australien.Privatbild

Walter Schäuffele und Klaus Blecken (links) in Australien.Privatbild

Zwei Vorträge im Januar

Der 59-Jährige lebt mit seiner Frau Farida in Waldachtal und ist Vater von vier Kindern. Schäuffele hält morgen, am 11. Januar, um 19 Uhr einen Vortrag in der Agapegemeinde am Stadtbahnhof in Freudenstadt über seine Reise nach Nordkorea. Ein zweiter Vortrag ist am Samstag, 25. Januar, um 19.30 Uhr in der Linde in Pfalzgrafenweiler. Der Eintritt ist frei, Spenden gehen an verfolgte Christen weltweit.

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Erstellt:
10.01.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 16sec
zuletzt aktualisiert: 10.01.2020, 01:00 Uhr

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