Dettensee · Landtagswahl-Kandidatur

„Ich bin kein Extremist“

Dr. Uwe Hellstern will für die AfD ins Stuttgarter Parlament einziehen. Sein wichtigstes Thema: der Umweltschutz.

10.02.2021

Von Benjamin Breitmaier

In seiner Heimat Dettensee fühlt sich Dr. Uwe Hellstern wohl.Bild: Karl-Heinz Kuball

In seiner Heimat Dettensee fühlt sich Dr. Uwe Hellstern wohl.Bild: Karl-Heinz Kuball

Ein Mann wie die Schablone für einen bodenständigen Schwaben: Grauer Schnauzbart, Schaffigkeit das Mantra, hinter den Gläsern seiner Brille blitzt Intelligenz aus braunen Augen. Dr. Uwe Hellstern ist der Typ Mensch, in dessen Wohnung Porzellanhunde auf einem alten Piano stehen, der Kissen mit Löwengesichtern auf Sofas legt, der stolz auf den eigenen Apfelsaft ist.

Uwe Hellstern ist außerdem Mitglied einer Partei, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bald durch den Bundesverfassungsschutz beobachtet wird, eine Partei, die laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung von Anfang Februar zu 29 Prozent von Menschen mit rechtsextremen Einstellungen gewählt wird.

„Ich hoffe, ich konnte Ihnen klarmachen, ich bin kein Extremist“ – es ist einer der letzten Sätze, die Hellstern am Ende des zweistündigen Gesprächs sagt. Das Erdgeschoss seines Dettenseer Einfamilienhauses ist sonnendurchflutet. Nebenan werkelt sein Sohn, der aktuell gezwungen ist, seinem Studium der Luft- und Raumfahrt-Technik von zuhause aus nachzugehen.

Es ist ein Gespräch der Kontroversen, eine Unterhaltung, in der Sätze wie „Greta (Anm. d. Red: Thunberg) hat ja Recht“ auf „Angela Merkel ist das Schlimmste, was Europa in der Nachkriegszeit passiert ist“ folgen.

Im Freudenstädter Kreistag gilt Hellstern über mehrere Fraktionen hinweg als eines der gemäßigteren Mitglieder der drei AfDler. Den aufbrausenden, den lauteren Part, den Populismus übernimmt in Diskussionen oft sein Kollege Richard Koch.

Mit Landrat Klaus-Michael Rückert gerät Hellstern dennoch regelmäßig aneinander.

Oft geht es um Vorwürfe an die CDU, um bundespolitische Themen. Beobachter der Kreistagsdiskussionen merken, dass Hellstern gerne von lokalen Themen ins große Ganze driftet und nicht mehr zurückkommt.

Ähnlich verläuft das Gespräch an diesem Freitagmittag. Hellstern greift in Diskussionen um Klimawandel und Umweltschutz auf einen beeindruckenden Schatz an Fachwissen zurück. En détail erklärt er, mit welchen Herausforderungen man rechnen müsse, um Wasserstoff zum Energieträger zu machen, erklärt, dass das Power-to-Gas-Konzept in engem Zusammenhang mit dem Abbau von Iridium in Russland steht. E-Fuels statt E-Autos, Klimawandel bekämpfen ja, aber ohne „riesige ökonomische Kollateralschäden“. Für Bewegungen wie „Fridays for Future“ habe er aber durchaus Sympathie. Sogar eine CO2-Steuer könne er sich, entgegen dem Programm seiner Partei, vorstellen.

Warum dann AfD? Warum Mitglied in einer Partei sein, in der sich nachweislich zahlreiche Rechtsextreme tummeln? „Ich bin kein Mann des Flügels“, sagt Hellstern im Gespräch. Auch mit Alexander Gauland hat er große Probleme, der habe „Dinge gesagt, bei denen ich nicht mitgehen kann“. Wenn es nach ihm ginge, wäre Gauland nicht mehr Teil der Partei, sagt Hellstern, angesprochen auf ein Inkognito-Gespräch eines Gauland-Vertrauten in Berlin, in dem davon die Rede war, Migranten zu „vergasen“.

Die Art, „wie unser Land in eine Lügerei hineingedrängt wurde“, sei der Grund für den Eintritt in die AfD gewesen. Diese Art mache er an der Bundeskanzlerin fest. Seiner Meinung nach müsste anstatt der AfD Merkel vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Wenn es um den Umweltschutz geht, bleibt Hellstern aber in der Region. Es mache ihn traurig, wie sich auch Horb verändert habe, dass Peter Rosenberger oft von Nachhaltigkeit redet, aber Bäume gefällt werden, die nicht gefällt werden müssten.

Er habe sogar beim ersten Mal Kretschmann gewählt, in der Hoffnung, dass die Grünen seine Vorstellungen von Umweltschutz am ehesten umsetzen.

Den Grünen macht er heute den Vorwurf, sie hätten in den vergangenen Jahren eine Zentralisierung zu verantworten, der wiederum ein höheres Maß an Individualverkehr im ländlichen Raum zu Grunde liegt.

Eine Antwort auf die Frage, wie seine Vision aussieht, um nachhaltige Mobilität im Kreis Freudenstadt umzusetzen, bleibt er schuldig. Hellstern setzt auf den technologischen Fortschritt, um dieses Problem zu lösen. „Forschen ist immer gut“, sagt er mehrmals.

In den zwei Stunden Gesprächszeit nimmt eines der wichtigsten Themen der AfD nur wenig Raum in Anspruch: die Migration. Hellstern redet von Angela Merkels Versäumnis, Fluchtursachen zu bekämpfen. Sie sei „eine große Lügnerin“.

Er hätte sich gewünscht, dass man in Syrien „den Diktator“ beseitigt hätte. Aber was ist mit der Situation heute? Hier im Kreis Freudenstadt? „Wir sind keine Menschenfeinde“, meint Hellstern. Er habe kein Problem mit Migranten mit Bleiberecht, die hier Arbeit gefunden haben. „Mir ist völlig klar, alle streben nach dem gleichen Glück, aber ich muss auch die Praktikabilität sehen.“

Beim Blick auf die eigene Zukunft, hofft Hellstern auf ein ähnliches Ergebnis wie bei der Landtagswahl 2016. Im Kreis Freudenstadt hatte die AfD damals 17,6 Prozent geholt – drittstärkste Partei. Nach aktuellen Umfragen dürfte das schwierig werden. Im Land befindet sich die Partei laut „BW Trend“ bei zehn Prozent. Außerdem gebe es laut Hellstern einige Parteiaustritte von Mitgliedern, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz fürchten.

12 Fragen an Uwe Hellstern:

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?

Helmut Schmidt: Religion in der Verantwortung

Welche Musik, Podcasts oder Hörbücher hören Sie, wenn Sie unterwegs sind?

Oft höre ich den Deutschlandfunk oder verschiedene SWR-Sender.

Wer ist Ihr politisches Vorbild?

Helmut Schmidt

Welches Getränk macht Ihnen gute Laune?

Wechselt ja nach Anlass von kalter Milch bis zu einem guten Rosé-Wein.

Wie entspannen Sie sich am liebsten?

Spazieren gehen im Wald.

Wo auf der Welt – außerhalb des Landkreises Freudenstadt – gefällt es Ihnen besonders gut?

Kärnten, Mittelitalien, Portugal

Was ist Ihr wichtigster persönlicher Wunsch für sich selbst?

Eine bessere Gesundheit (Bin herzkrank und habe eine genetisch bedingte unheilbare Blutveränderung, die nur mit starken Tabletten im Zaum gehalten werden kann).

Was wünschen Sie dem Landkreis?

Dass er seine Schönheit und Natur bewahren kann und gleichzeitig ein attraktiverer Lebensraum auch für jüngere Leute und Familien bleibt.

Welche Fähigkeit hat Ihnen im zurückliegenden Jahr besonders geholfen?

Sehr schnell zwischen verschiedenen Aufgabenfeldern wechseln zu können.

Was möchten Sie noch unbedingt dazu lernen – außerhalb der Politik?

Traditionelles Wissen, das unsere Eltern und Großeltern noch hatten, aber in unserer Generation verloren ging, obwohl wir es in Zukunft vielleicht wieder dringend brauchen könnten.

Woran erkennen Sie, dass sich eine Diskussion nicht weiter lohnt?

Wenn ich merke, dass die Diskussionspartner die gegenseitigen Argumente gar nicht beachten und nur jeder seinen eigenen Standpunkt loswerden will.

Würden Sie lieber in die Vergangenheit reisen oder in die Zukunft – und warum?

In die Vergangenheit, natürlich nur in einer friedlichen Zeit. Ich fürchte, die Zukunft unserer Kinder wird von Konflikten und Not geprägt sein, da wir in einer Zeit leben, in der beherrschende Eliten stringent die Fakten ausblenden, die ihnen nicht ins Weltbild passen.

Dr. Uwe Hellstern ist 60 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder. Er stammt aus einer ansässigen Handwerkerfamilie. Hellstern ist promovierter Diplom-Chemiker. Nach einer befristeten Universitätsanstellung arbeitet er im Geräte- und Anlagenbau. 2015 trat er in die AfD ein. 2019 zog er für die AfD in den Freudenstädter Kreistag ein. In seiner Jugend war er nach eigener Aussage einige Jahre Mitglied der SPD Tübingen und für die Jusos aktiv. Als den besten Kanzler der Bundesrepublik erachtet er Helmut Schmidt. Hellstern ist Mitglied im Deutschen Verein der Gas- und Wasserwirtschaft.

Vorstellungen der Landtagskandidaten des Wahlkreises Freudenstadt in der NECKAR-CHRONIK: Viviana Weschenmoser (SPD)Winfried Asprion (Grüne)Dr. Timm Kern (FDP)Katrin Schindele (CDU)Dr. Uwe Hellstern (AfD)Niko Kulisch (Die Linke)

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Erstellt:
10.02.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 39sec
zuletzt aktualisiert: 10.02.2021, 01:00 Uhr

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