Horb · Corona-Demonstration

„Ich glaube nicht an Viren“

Etwa 100 „Querdenker“ versammelten sich am Freitag auf dem Horber Sebastian-Lotzer-Platz. Die SÜDWEST PRESSE liefert Hintergründe zu zahlreichen Aussagen und Personen, die bei der Versammlung auftraten.

10.08.2020

Von Benjamin Breitmaier

„Ich glaube nicht an Viren“

Ich glaube nicht an Viren“, sagt der Mann aus Dornstetten nach der Kundgebung. Die meisten der 100 Teilnehmer sind bereits Richtung Flößerwasen unterwegs. Einige bleiben, unterhalten sich. Maske trägt an diesem Freitagabend hier niemand. Die wenigsten glauben an deren Wirkung. „Ich hab ein Attest“ – ein gängiger Satz, wenn man Teilnehmer darauf anspricht, warum sie keine Maske Tragen.

Die positiven Effekte von Gesichtsmasken bei der Pandemiebekämpfung wurden mittlerweile in mehreren Studien nachgewiesen. Beispielsweise kam im Juni einer Forschergruppe zu dem Schluss, dass die frühe Empfehlung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes „maßgeblich daran beteiligt war, dass die Zahl der COVID-19-Erkrankungen in China schneller zurückging als in den meisten westlichen Ländern“, wie das Ärzteblatt am 15. Juni schrieb. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Forschern in den „Proceedings
of the National Academy of Sciences (PNAS 2020; DOI:10.1073/ pnas.2009637117).

Vor zwei Wochen waren sie zehn, jetzt sind es etwa 100. Die Gruppe „Grundrechte Nordschwarzwald“ hat eine Tonanlage vor dem roten Haus im Zentrum Horbs aufgebaut. Hinter dem Mikrofon steht eine Bank für die Redner. Daneben, an dem großen Sebastian-Lotzer-Denkmal, lehnt ein Schild, auf dem der Buchstabe „Q“ zu erkennen ist. Nach dem Marsch in Empfingen ist es bereits die zweite Demo gegen die Pandemie-Einschränkungen in der Region innerhalb weniger Tage.

Die Q oder QAnon-Bewegung geht auf Publikationen einer anonymen Quelle auf dem Online-Portal „4chan“ im Jahr 2017 zurück. Im Zentrum steht die Aussage, dass die US-amerikanische Regierung von einem sogenannten „Deep State“ gesteuert wird. Nicht selten haben die Aussagen mehr oder weniger versteckte antisemitische Züge in Anlehnung an den Verschwörungsmythos einer heimlichen jüdischen Weltherrschaft. Im Zentrum der Aussagen steht der amtierende US-Präsident als Heilsgestalt, der auch schon mehrere Inhalte der Bewegung auf Twitter geteilt hat.

Einer der Gründe für die gewachsene Menge an Teilnehmern bei den Demonstrationen dürfte der Hauptredner an diesem Abend sein. Hans Tolzin. Er bezeichnet sich selbst als Wissenschaftsjournalist, der seit 20 Jahren als Laie recherchiert.

Bekannt ist Tolzin einer breiteren Öffentlichkeit aus einem Video, das im August 2018 publiziert wurde. Darauf greift er mit wehender, roter Schärpe Journalisten des Magazins Spiegel TV an, bezeichnet einen von ihnen als „Arschloch“.

Beim Blick auf die Internet-Präsenz des nach eigener Aussage gelernten Molkereifachwirts ergibt sich ein kompliziertes Mosaik aus strittigen Thesen. Darunter teilt er Inhalte von Seiten wie kla.tv, einem schweizer Portal, das mit dem Verbreiten von professionell aufgearbeiteten, teilweise offen antisemitischen Inhalten hohe Reichweiten erzielt.

Über den Kopf von kla.tv, Ivo Sasek, schrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“ in einem Artikel aus dem Januar dieses Jahres: „Sasek habe seine Anhänger dazu aufgefordert, Listen anzulegen von den Chefredakteuren deutschsprachiger Medienhäuser, in denen Wohnort und Arbeitsplatz, sexuelle Orientierung und „Abstammung“ festgehalten werden sollen.“ (...) Sein Ziel sei ein Systemumsturz, erklärt ein Aussteiger in dem Artikel.

Daneben finden sich zwielichtige Studien, die 5G-Strahlung
mit Covid-19 in Verbindung bringen und immer wieder taucht auch Bill Gates auf, der mit sogenannten RNA-Impfstoffen in die Gene der Menschen eingreifen will. Auf seiner Webseite fragt Tolzin, ob Aids nicht ein großer Irrtum war und suggeriert, dass die Lebensumstände von Homosexuellen für die Krankheit verantwortlich seien.

Die Studie „5G Technology and induction of coronavirus in skin cells“ auf die sich ein von Tolzin verbreiteter Artikel bezieht, wurde mittlerweile durch das „Journal of Biological Regulators and Homeostatic Agents“ zurückgezogen, da es zu Manipulationen bei der sogenannten „Peer Review“ kam. Mehrere Faktencheckerseiten (Beispiel: fullfact.org) konnten dem Artikel grobe Schwächen nachweisen. Bis heute konnte ein Zusammenhang zwischen 5G-Strahlung und dem Auftreten des Coronavirus nicht belegt werden, dennoch gilt die Aussage als weit verbreiteter Verschwörungsmythos.

Diesem Mann gibt der Horber Initiator und angehender Gründer einer alternativen Schule, Dietmar Urban, etwa gegen 18.30 Uhr das Mikrofon in die Hand.

Zuvor berichtet eine Nagolderin von ihren Erfahrungen. Sie sei drei Wochen vor dem Mauerfall aus der DDR geflohen und sehe jetzt ähnliche Zustände. Sie spricht von einer Gleichschaltung der Presse, dass man oft im Wortlaut die gleichen Texte in den Zeitungen lese.

Der Grund dafür, dass in Zeitungen oft wortgleiche Texte publiziert werden, liegt darin, dass der Großteil deutscher Medien in Teilen der Berichterstattung auf Material der Deutschen Presseagentur (dpa) zugreift. Die quasi Monopolstellung der DPA wird häufig kritisiert. Dennoch ist die Agentur eine private Gesellschaft mit 180 verschiedenen Gesellschaftern aus Verlagen und Medienhäusern. Mit der Gleichschaltung der Medien ist dagegen im Besonderen die Aufhebung der Pressefreiheit durch die Nationalsozialisten mit ihrem Schriftleitergesetz gemeint. In der Rangliste der Pressefreiheit, die jedes Jahr von der unabhängigen Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ erstellt wird, befindet sich Deutschland aktuell auf dem 11. Platz von 180 bewerteten Ländern.

„Das ist unverantwortlich, was ihr hier macht“, ruft eine Stimme einigen Teilnehmern der Demonstration entgegen. Elisabeth Schneiderhan musste ihr Café Reinhardt über Wochen schließen. „Ihr seid Mitschuld, wenn ich meinen Laden wieder zumachen muss“, sagt sie zu einer Teilnehmerin. Schneiderhan geht zurück zu der kleinen Gruppe auf der anderen Straßenseite, die wie sie Gesichtsmasken trägt.

Von dort beobachtet sie, wie Hans Tolzin auf die kleine Bühne steigt. „Wo ist denn das tödliche Virus?“, fragt er später die Teilnehmer. Nach den Demonstrationen in Berlin und Stuttgart hätte es keine erhöhten Ansteckungszahlen gegeben.

Laut Robert-Koch-Institut steigt in Deutschland aktuell die Zahl der Infizierten so stark an, wie zuletzt im Mai.

Tolzin sei der einzige auf der Welt, „der eine chronologische Untersuchung der Studien zum Thema Coronavirus macht“.

Diese Behauptung zu belegen, dürfte schwerfallen. Alle führenden Forschungsinstitute wie das Robert-Koch-Institut führen umfassende Datenbanken zur aktuellen Studienlage und werten diese laufend aus.

Nachdem der selbsternannte Wissenschaftsjournalist einige Zeit über freie Bildung philosophiert, spricht der Herrenberger (eigene Angabe) über seine Vision: Tolzin glaubt nicht, dass das aktuelle politische System reformierbar sei. „Ich hab keine Hoffnung mehr auf Parteien“, sagt er. Für die kommenden Wahlen ruft er dazu auf, „parteifreie Kandidaten“ zu suchen und zu unterstützen, die nur dem Grundgesetz, sich selbst und dem Wahlkreis verpflichtet seien.

Wenngleich es die Möglichkeit für von Parteien unabhängige Kandidaten bei Wahlen gibt, sieht das Grundgesetz selbst im Artikel 21 explizit ein Parteiensystem vor.

Beim Publikum findet diese Vision anscheinend wenig Anklang. Nach der Aussage herrscht zunächst Stille unter den Teilnehmern. Nur Dietmar Urban versucht, die Menge zum Klatschen zu animieren, worauf sich wenige anschließen.

Nach dem Vortrag des Herrenbergers steigt ein weiterer Redner auf die Bühne, der laut Urban „spontan“ einige Worte sagen will. Heinz Huber, Betreiber einer Praxis für Alternativmedizin in Horb. Nachdem er seinen Unmut über einen homöopathiekritischen Artikel in der SÜDWEST PRESSE äußert, erzählt er von drei Covid-19-Fällen in seiner Praxis hatte. Er hätte auf seiner Webseite eine „Homöopathieprophylaxe“ online gestellt, die sie nach einer Abmahnung wieder von der Seite nehmen mussten.

Selbst der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte rief am 5. März zur Zurückhaltung auf. In einer Stellungnahme schreibt die Vorsitzende, Michaela Geiger, „dass die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) Vorrang haben vor eventuellen, homöopathischen Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-Co-V-2-Pandemie („Corona-Pandemie“) und zur Behandlung von Personen, die sich mit dem Virus infiziert haben.“ Der Verein empfiehlt seinen Mitgliedern Zurückhaltung hinsichtlich jeder Art von homöopathischen Vorsorge- oder Therapie-Empfehlungen im Zusammenhang mit dem „Corona-Virus“. Annett Reinke von der Verbraucherzentrale Brandenburg wird deutlicher: „Es gibt derzeit keine Arzneien, die eine Erkrankung mit dem neuartigen Corona-Virus verhindern können. Werbung, die so etwas suggeriert, ist irreführend. Wir verurteilen Unternehmen, die die aktuelle Lage ausnutzen, um mit nicht belegbaren Aussagen oder Fake-News verunsicherten Verbrauchern das Geld aus der Tasche zu ziehen.“

Man müsse jetzt keine Angst mehr vor Covid haben, sagt Huber. „Befolgen sie trotzdem die Dinge, die uns vorgegeben werden“, fügt er an. Der Mediziner wechselt zum Thema RNA-Impfungen, das bisher nicht zur Sprache kam. Die Impfungen arbeiten – verkürzt gesagt – mit genmanipuliertem Material, das in Zellen eingesetzt wird, um eine Immunreaktion auszulösen. „Diese Dinge, die wir jetzt in Zellen geben, können dann in die DNA eingebaut werden“, meint Huber, dem diese Entwicklung Sorge bereite. Er fügt jedoch an: „Ich bin nicht generell gegen Impfungen, aber ich bin gegen eine Impfpflicht.“ Er hätte Angst vor zu schnellen Verfahren bei der Zulassung, unter denen möglicherweise folgende Generationen zu leiden haben.

Der renommierte Tübinger Immunologe, Hans-Georg Rammensee, erklärt auf Anfrage der SÜDWEST PRESSE hierzu: „RNA kann nicht ins Genom integrieren, da dieses aus DNA besteht. Wer solches behauptet, zeigt seine Unkenntnis.“

Huber stellt jedoch auch fest: „Covid ist etwas Besonderes, Covid ist keine normale Grippe.“ Stille im Publikum. Mit diesem Satz hätten hier wohl die Wenigsten gerechnet. Am Anfang sei eine Angst und Sorge gerechtfertigt gewesen, jetzt gebe es keinen Grund mehr, Angst zu haben.

Nach etwa einer Stunde ist die Veranstaltung vorbei. Die Gruppe löst sich auf, Urban und die Ordner achten darauf, dass die zeitlichen Bestimmungen eingehalten werden.

„Habt ihr die richtigen Zahlen kommuniziert?“, fragt eine Frau aus Horb die Vertreter der SÜDWEST PRESSE. Wie sie, hatte
Tolzin zuvor schon von mehr als einer Million Teilnehmer bei der Demonstration auf der Straße des 17. Juli am vergangenen Wochenende gesprochen. Sie wäre in Berlin dabei gewesen, die Polizei selbst hätte die Teilnehmerzahlen durchgegeben.

Von Seiten der Veranstalter wurde berichtet, dass 1,3 Millionen Menschen an der Demo in Berlin teilgenommen hätten. Mittlerweile wurde diese Behauptung durch zahlreiche Faktencheck-Portale und von Seiten der Polizei selbst widerlegt. Vergleiche von Bildern der Loveparade aus dem Jahr 1999 (Teilnehmerzahl: 1,5 Millionen) und der Demonstration am vergangenen Samstag (je nach Quelle 17 000 bis 60 000 Teilnehmer) lassen wenig Zweifel zu, dass die vom Veranstalter angegebene Zahl nicht stimmen kann..

Sie glaubt weder an PCR-Tests, noch daran, dass die Todeszahlen aus Norditalien auf das Virus zurückzuführen sind. Impfungen seien schuld, die Leute „falsch intubiert worden.“ Ein Mann aus Dornstetten schaltet sich in das Gespräch ein. Er glaube generell nicht an Viren. Häufig verweisen die beiden auf Portale von alternativen Medien. Außerdem ist sich die Horberin sicher, dass die Tetanusimpfung im vergangenen Jahr an ihrer Arthrose und einem Hohen Quecksilberspiegel schuld ist.

„Ich glaube nicht an Viren“