Blaue Wege im blauen Tübingen

Im Sommer besuchten Tübinger das „Radlerparadies“ Kopenhagen / Daraus entstanden Ideen

Radfahren

22.11.2016

Von Sabine Lohr

Schon 1982 machte man sich Gedanken darüber, wie Radfahrer und Fußgänger abseits der Autostraßen bequem ihr Ziel erreichen. Diese Brücke – hier im Modell –, die vom Wildermuth-Gymnasium (links oben) über die Gleise und die B28 in die Mühlbachäcker (rechts unten) führt, wurde dennoch verworfen. Archivbild: Nill

Schon 1982 machte man sich Gedanken darüber, wie Radfahrer und Fußgänger abseits der Autostraßen bequem ihr Ziel erreichen. Diese Brücke – hier im Modell –, die vom Wildermuth-Gymnasium (links oben) über die Gleise und die B28 in die Mühlbachäcker (rechts unten) führt, wurde dennoch verworfen. Archivbild: Nill

Kopenhagen macht blau. Aber anders als Tübingen: Die blaue Farbe auf den Straßen zieht sich durch die gesamte Stadt und markiert, wo ausschließlich Radfahrer unterwegs sein dürfen. Oberbürgermeister Boris Palmer, der zusammen mit einigen Verwaltungsmitarbeitern und Stadträten im September die „Fahrradhauptstadt“ Kopenhagen besucht hat, gefällt das gut. Nicht nur, weil die blauen Radwege gut zur Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ passen, sondern auch aus einem anderen Grund: „Die weiße Markierung der Fahrradschutzstreifen auf den Straßen hat sich nicht überall bewährt“, sagt er in einem Gespräch mit dem TAGBLATT. Vor allem in der Keltern-straße nicht, wo die durchbrochene Linie erst vor drei Jahren anstelle des Radwegs auf die Straße gemalt wurde. „Wir haben uns bei der Breite des Streifens zwar an die Vorschriften gehalten, aber für das Sicherheitsempfinden der Radfahrer ist er zu schmal.“

Dabei wurde die Markierung genau deshalb auf die Straße gemalt – damit die Radfahrer sicherer unterwegs sind. „Da hat sich seit den 80er-Jahren die Philosophie geändert“, sagt Palmer. Schwor man damals auf Radwege, gilt heute: Radfahrer sind weniger gefährdet, wenn sie auf der Straße unterwegs sind, weil sie dort von den Autofahrern besser wahrgenommen werden.

In Kopenhagen, das hat Palmer von dort mitgebracht, unterscheidet man trotzdem zwischen der objektiven Sicherheit und der gefühlten. Und setzt auf Lösungen, bei denen Radfahrer sich sicher fühlen. So gibt es dort längst Radwege abseits der Straßen. Oder eben breite, blaue Streifen auf den Straßen.

Im Fall der Kelternstraße heißt die Lösung für Palmer nun, den Radweg zu verlagern, an die Ammer. Dort soll, geht es nach ihm, der Ammerbegleitweg von der Weststadt bis nach Lustnau ausgebaut werden. Diesen Vorschlag wird er Anfang 2017 dem Gemeinderat machen – mitsamt einer Kostenschätzung. „Das ist dann schon eine Stange Geld“, so Palmer. Die 400000 Euro, die 2017, wie schon in den sechs Jahren dafür, für Radwege im Haushalt eingestellt sind, würden dafür jedenfalls bei Weitem nicht ausreichen. Für einen derartigen „Super Cycle Highway“, wie ein solcher Radweg in Dänemark genannt wird, gibt es aber auch Geld vom Land.

Ebenfalls teuer wäre die Realisierung eines weiteren Vorschlags: Parallel zur Steinlachbrücke (hinter der Blauen Brücke) wünscht sich Palmer eine Radwegbrücke, die vor dem Casino in die Wöhrdstraße mündet. Auf der sollen die Radler dann bis in die Karlstraße fahren können. Die Idee wurde im Gemeinderat bereits diskutiert, die Ansichten gingen auseinander. Einen Beschluss gibt es aber noch nicht.

Unübersichtlich und gefährlich für Radfahrer ist auch die Wilhelmstraße. Zur Zeit, so Palmer, prüfe die Verwaltung, ob eine der Fahrspuren komplett für Radler abgezwackt werden kann – lediglich Busse dürften ihn überqueren, um die Haltestellen bedienen zu können. Diese Spur wäre dann blau – wie eventuell die gesamte Radstrecke von der Steinlachunterführung über die Eberhardsbrücke, durch die Mühlstraße bis nach Lustnau.

In den vergangenen Jahren wurden für die jeweils 400000 Euro hier und dort kleinere Verbesserungen gemacht: Auf der Blauen Brücke gibt es eine Radspur, am Nordring entsteht zur Zeit ein Schutzstreifen, es wurden Fahrradstraßen eingerichtet und der Kusterdinger Weg saniert. „Es sind viele Einzelmaßnahmen, aber sie fügen sich noch nicht zu einem Netz zusammen“, sagt Palmer. Eine Revolution jedenfalls seien die Verbesserungen bisher nicht.

Die hat er allerdings auch nicht im Sinn. Die Ampeln etwa so umzustellen, dass Radfahrer noch vor den Bussen losfahren dürfen – wie in Kopenhagen – traut sich Palmer dann doch nicht. „Ich krieg jetzt schon dauernd um die Ohren geschlagen, dass Autos keine grüne Welle haben.“

In Kopenhagen wie auch in Münster, das sich ebenfalls „Fahrradhauptstadt“ nennt, war Palmer von den Fahrradstationen beeindruckt. Das sind Parkhäuser ausschließlich für Räder. „Am Bahnhof brauchen wir das unbedingt“, sagt er. Die Idee: Bei der Umgestaltung des Europaplatzes die Unterführung zu einer Fahrradgarage umzugestalten. Aber der OB hätte auch nichts gegen ein Rad-Parkhaus am Bahnhof.

Für ein Problem hat aber auch Palmer keine Lösung – für den Radweg in der Reutlinger Straße, der die Ausfahrt aus der Aral-Tankstelle kreuzt. „Da werden sogar Radfahrer umgefahren, wenn sie stehen, weil die Autofahrer nur danach schauen, wo eine Lücke im Verkehr ist, um auf die Straße rauszufahren.“ Eine Ampel könnte das Problem lösen, das sei aber noch nicht geprüft. Nun hofft Palmer auf Besserung im Zug des B27-Neubaus. Der allerdings kann noch ein paar Jahre dauern.

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Erstellt:
22.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 22.11.2016, 01:00 Uhr

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