Tübingen · Frauenfilmtage

In Kabul das unabhängige Leben als Frau ausprobiert

Festivalgast Sadiqa Madadgar hat es geschafft, vor den Taliban aus Afghanistan zu fliehen.

06.03.2023

Von Dorothee Hermann

Sadiqa Madadgar am Samstag im Treppenhaus des DAI Tübingen.  Bild: Alexander Gonschior

Sadiqa Madadgar am Samstag im Treppenhaus des DAI Tübingen. Bild: Alexander Gonschior

Was die Filmtage der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes so besonders macht, sind die Begegnungen: Bei der aktuell vierten Ausgabe war die afghanische Musikerin Sadiqa Madadgar in Tübingen zu Gast. Die 25-Jährige ist eine von drei Protagonistinnen im Dokumentarfilm „And Still I Sing“ der afghanisch-kanadischen Regisseurin Fazila Amiri. Die Hauptstadt Kabul erscheint darin als pulsierende Großstadt, wo junge Single-Frauen sich ausprobieren konnten – bis die Taliban zurückkehrten. Zur ausverkauften Vorstellung am Samstagabend im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) kamen etwa 100 Interessierte.

Auf Bildern aus dem Jahr 2019 ist zu sehen, wie Madadgar mit ihrer Freundin Zahra Elham Musik macht. Die beiden wollen es in die TV-Talentshow „Afghan Star“ schaffen, die von der bekannten Sängerin und Komponistin Aryana Sayeed mitmoderiert wird, die sich mit viel Glamour für Frauenrechte in Afghanistan einsetzte.

Als erste Frau in Afghanistan gewinnt Zahra Elham den Talentwettbewerb – nach 13 Ausgaben mit männlichen Siegern. Sie lebt mittlerweile in Australien, Madadgar in einem kleinen Ort bei München. Aryana Sayeed reise durch die Welt und gebe Konzerte, sagte Madadgar im DAI. Demnächst wird sie selbst mit Sayeed in Istanbul auftreten.

Ihr Jurastudium setze sie in Deutschland vorerst nicht fort, sagte Madadgar im Gespräch mit den Tübinger Zuschauerinnen und Zuschauern. „Ich möchte mich auf meine Musik konzentrieren.“ Sie lernt gerade Deutsch und möchte Gitarrespielen lernen. Englisch spricht sie schon.

Als die Taliban im August 2021 das Land übernahmen, musste sie eineinhalb Monate „wie eine Kriminelle“ leben und jede Nacht woanders übernachten, damit die Taliban sie nicht aufspüren konnten. Schließlich wurde sie nach Abu Dhabi evakuiert, wo sie neun Monate lang in einem Lager zubrachte. Wie im Gefängnis sei es dort gewesen. Das Team eines deutschen Dokumentarfilms über sie verhalf ihr zu einem Visum für die Bundesrepublik.

Im Film wird kritisiert, dass Frauen, die Jugend und Aktivisten in die Verhandlungen zwischen den Taliban und den USA nicht einbezogen waren. Diese Bevölkerungsgruppen befürchteten, „dass 18 Jahre Fortschritt dem Frieden geopfert werden“.

Man sieht, wie Madadgar und Elham zum Ort eines Selbstmordanschlags gehen und fragen: „Stell’ dir vor, die Taliban kommen zurück. Was machen wir dann?“ Madadgar nahm sich vor: „Ich möchte der Welt mein Talent zeigen und zeigen, dass ich anders bin.“ Ihre Eltern hatten ihr nur erlaubt, nach Kabul zu ziehen, wenn sie Zahnärztin werden würde. Das wollte sie aber nicht. Madadgar interessierte sich für Politik, schrieb sich für ein Jurastudium ein und machte Musik. „Ich wollte meine Stimme als afghanisches Mädchen hören.“ Sie sang alte Hasara-Lieder, die sie re-coverte, wie sie sagt. Dadurch seien die Lieder wieder bekannt geworden. Die Hasara sind in Afghanistan eine unterdrückte Minderheit.

Nach ihren Fernseh-Auftritten wurden die beiden Freundinnen auch angefeindet. Es gab Hassbotschaften in den sozialen Medien. Unter anderem hieß es, „Afghan Star“ sei die allervulgärste TV-Sendung. „Ein Warlord hetzte gegen Zahra und mich“, sagte Madadgar.

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Erstellt:
06.03.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 30sec
zuletzt aktualisiert: 06.03.2023, 01:00 Uhr

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