Eingezwängtes Grün

In Workshops wird Nachhaltigkeit gelehrt – auf dem Campus ist davon wenig zu sehen

Nachhaltiges Bauen, die ökologische Gestaltung von neuen Quartieren ist Thema vieler Workshops, die auch der Biologe und Umwelt-Aktivist Philipp Unterweger besucht hat. In der Realität kommt davon leider wenig an, sagt Unterweger und nimmt die Neubauten auf der Morgenstelle und dem Schnarrenberg kritisch unter die Lupe.

19.04.2016

Von Angelika Bachmann

Nicht gerade attraktiv begrünt: Der zentrale Platz des naturwissenschaftlichen Campus auf der Morgenstelle. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Nicht gerade attraktiv begrünt: Der zentrale Platz des naturwissenschaftlichen Campus auf der Morgenstelle. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Tübingen. Die meisten Deutschen, so hat es der Dokumentarfilmer Dieter Wieland vor mehr als 30 Jahren formuliert, empfinden die Natur als furchtbar unaufgeräumt und schlampig. Diese Grundhaltung präge heute noch die Grünplanung vieler Architekturentwürfe, findet Philipp Unterweger. Grün gilt es einzuhegen, Gelände einzuebnen. Organische Formen scheinen die Planungsprogramme in Architekturbüros nicht zu kennen.

Unterweger sitzt auf der Betonbank vor dem neuesten der drei Forschungsbauten auf dem Schnarrenberg, dem Zentrum für Demenzforschung. Sein Thema als Wissenschaftler ist die Biodiversität. Und weil er das, worüber er forscht, auch in seiner Umgebung umsetzen will, hat er die „Initiative Bunte Wiese“ mitgegründet.

Artenschutz, sagt Unterweger, beginne vor der eigenen Haustür. „Es muss nicht immer der Berggorilla im Urwald sein“. Auch wenn der natürlich öffentlichkeitswirksamer sei als Insekten. „Man kann in seiner Umgebung viele Schritte einleiten, die dem Artenschutz nützen. Mit einfachsten Mitteln geht ganz viel.“ So könne man, ist Unterweger überzeugt, allein dadurch, dass man in Städten viele Bäume pflanzt, den Klimawandel abmildern. Die Chancen, etwas zu erreichen, seien innerhalb der Städte sogar besser als auf dem Land: Dort sei angesichts industrialisierter Landwirtschaft eh kaum Boden gutzumachen.

Wie man Quartiere – auch Forschungsstätten – als nachhaltige Lebensräumen für Mensch und Tier gestalte, sei derzeit ein wichtiges Thema in der Biologie und der Stadtplanung. Doch was in der Wissenschaft gelehrt wird, wird kaum umgesetzt, wundert sich Unterweger. Auf reale Bauprojekte des Landes, etwa auf der Morgenstelle oder dem Schnarrenberg, gebe es kaum Einflussmöglichkeiten.

Ein Beispiel sind für den Biologen die neuen Forschungsgebäude am Rande der Schnarrenbergkliniken an der Otfried-Müller-Straße. Ihr Erscheinungsbild stehe für „verklemmten Kubismus“, wie er in der Architektur der Forschungsgebäude vorherrsche. Dieser werde allenfalls kaschiert durch die Fassaden – mal bunte Lamellen, mal Glasfronten – die Kreativität vorspiegelten.

Im Sinne des Klimaschutzes soll der Betrieb dieser Gebäude möglichst wenig Energie (etwa für Klimatisierung) verbrauchen. Dabei würden aber immer mehr Verbundstoffe verbaut: bedampftes Glas, beschichtetes Metall. Was passiert, wenn diese Gebäude in 20 Jahren saniert werden müssen?, fragt Unterweger. Solche Baustoffe könnten selbst mit großem Aufwand nur downgecycelt werden.

Der Grünplanung braucht man an dieser Stelle auf dem Schnarrenberg nicht viel Beachtung zu schenken. Es gibt sie nur rudimentär. Ein Paar Bergahorne stehen eingezwängt in die ansonsten konsequent versiegelte Grundfläche. Sie sind weniger Begrünung als Mahnmal. „Die Bäume sind nicht dafür angelegt, 40 Jahre alt zu werden. „Wenn man sie nicht innerhalb der nächsten Jahre befreit, werden sie verkümmern.“ Grünflächen gibt es hier ansonsten nicht. Höchstens ein paar Guerilla-Grashalme zwischen Kies mit Kippen.

Gegenüber jedoch, jenseits der Otfried-Müller-Straße, hat sich entlang der Fahrbahn unfreiwillig ein kleines Biotop entwickelt. Baufirmen hatten dort Material gelagert, so dass der Rasen nicht gemäht werden konnte. Pflanzen nutzte dieses Versäumnis schamlos aus. Während der Bauarbeiten sprossen Gräser, Ampfer und die Wilde Möhre. „Das liebt der Biologe“, sagt Unterweger. „Da sitzen Eidechsen und Heupferde drin.“ Zudem: Eine solche Wiese, entlang einer vielbefahrenen Straße (und während des Gesprächs donnern tatsächlich unzählige Autos in Richtung Parkhaus der Medizinischen Klinik), erfülle eine unglaubliche Dienstleistungsvielfalt. Durch die dichte Blattmasse (im Gegensatz zum kurzgeschnittenen Rasen) könne die Wiese viele mehr CO2 binden und Sauerstoff produzieren. Sie sei zudem ideal, um Feinstaub wie Reifenabrieb zu binden. „Wenn die Patienten entlassen werden, fahren sie zur Reha in den Luftkurort“ – da müsste die Luftreinhaltung auf dem Klinikumsgelände doch auch eine Rolle spielen.

Einige Höhenmeter weiter, auf der Morgenstelle, wird derzeit eines der größten Bauprojekte der Universität vorangetrieben: die Campus-Erweiterung der Naturwissenschaften. Auf dem südlichen Gelände entsteht das Geo- und Umweltzentrum. Dem schließt sich in Kürze das Zentrum für die Biochemiker an. Wo, wenn nicht hier, könnte man ein Modellprojekt für ökologisches, nachhaltiges Bauen verwirklichen? Dort wo auch über Ökologie geforscht wird? „Man könnte bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen“, sagt Unterweger.

Stattdessen machen sich im Zentrum der Morgenstelle zwei gigantische Rasendreiecke breit, eingehegt mit gewellter Plastikeinfassung und einem Beton-Verhau, ökologisches Ödland. Kein Baum spendet auf der südexponierten Wiese Schatten, weshalb sich im Sommer auch kaum Studenten dorthin verirren.

Unterweger würde gerne einen Arbeitskreis bilden, in dem Interessierte, die sich mit nachhaltigem Bauen auf dem Campus beschäftigen, sich einbringen – auch mit Kompetenzen aus ihren eigenen Fächern. Einige Wissenschaftler wie die Evolutionsbiologin Prof. Katja Tielbörger, die täglich an der grünen Wüste vorbeigehen, haben ihrerseits in einem Brief an das Bauamt formuliert, dass Grünplanung auch anders aussehen könnte –und ihre Mitwirkung angeboten.

Auch er habe schon bei den Baubehörden des Landes angefragt, sagt Unterweger. Man erhalte aber immer die Auskunft: „Die Planungsprozesse sind festgelegt, da kann man nichts mehr ändern.“ Schade eigentlich, findet Unterweger und schaut in Richtung der Dächer. Ein Schlagwort der modernen Städteplanung sei zum Beispiel das „Vertical farming“. „Man könnte zum Beispiel Salat für die Mensa auf den Dächern hier anpflanzen.“ Da gäbe es auch kein Problem mit Schnecken.

 Bergahorn in Beton-Lücken (vor den Forschungsgebäuden auf dem Schnarrenberg). (Archiv-)Bilder: Bachmann

Bergahorn in Beton-Lücken (vor den Forschungsgebäuden auf dem Schnarrenberg). (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Wiese mit Klee. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Wiese mit Klee. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Kies mit Kippen. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Kies mit Kippen. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Wilde Möhre im Baustofflager. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Alternative Bodengestaltung – Wilde Möhre im Baustofflager. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Philipp Unterweger. (Archiv-)Bilder: Bachmann

Philipp Unterweger. (Archiv-)Bilder: Bachmann