Film

In der Löwengrube – Ernst Federn

Das Kino Waldhorn und der Verein für Psychoanalytische Sozialarbeit zeigten einen Film über den Vater des humanen Strafvollzugs.

20.02.2019

Von Ulrich Eisele

Ernst Federn Bild: Verleih

Ernst Federn Bild: Verleih

Er war einer der Geburtshelfer des Vereins für Psychoanalytische Sozialarbeit Tübingen und Rottenburg, ein langjähriger Begleiter und Ratgeber. „Mindestens ein Mal im Jahr hat er bei uns vorbeigeschaut“, erzählt Sylvia Künstler, die beim Verein arbeitet. Auch bei den Tagungen des VpS in der Rottenburger Zehntscheuer sei Ernst Federn alle zwei Jahre dabei gewesen – bis 2003, dann wurde dem beinahe 90-Jährigen die Anreise aus Wien zu beschwerlich.

Ernsts Vater Paul Federn war ein berühmter Psychoanalytiker, einer der ersten Schüler Sigmund Freuds und dessen Vertreter in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Seine Sohn wurde schon in jungen Jahren Mitglied der trotzkistischen Revolutionären Kommunisten Österreichs und ging in den Untergrund. Zwei Mal wurde er von den österreichischen Behörden verhaftet und wieder freigelassen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs verschleppten ihn die Nazis ins KZ Dachau, dann nach Buchenwald, wo er „dank 90 Prozent Glück, einer gewissen Begabung und unerschütterlichem Willen“ sieben Jahre Terror überlebte.

Von diesen Jahren handelt der Dokumentarfilm des Bremer Regisseurs Wilhelm Rösing und seiner Frau, der Psychanalytikerin Marita Barthel-Rösing. Die beiden befragten Ernst Federn in den Jahren 1987 bis 1992 mehrfach vor der Kamera. Im Film, den sie daraus montierten, spricht Ernst Federn, der nach dem Krieg in die USA emigrierte, über den Terror der Nazis, die den Häftlingen systematisch die Menschlichkeit nahmen, aber auch über den Terror der Häftlinge untereinander: „Überleben auf Kosten des anderen“ nennt er dies und erzählt von seiner privilegierten Rolle im Lager, die sein Überleben ermöglichte. Und er berichtet, wie er seine Lager-Erfahrungen nach dem Krieg bei der Humanisierung des österreichischen Strafvollzugs einbringen konnte.

Beim Verein für Psychoanalytische Sozialarbeit sei mittlerweile eine neue Generation von Psycholog(inn)en und Pädagog(inn)en herangewachsen, sagte Sylvia Künstler. Die hätten Ernst Federn nicht mehr kennengelernt – Anlass genug, den mittlerweile 25 Jahre alten Dokumentarfilm in Kooperation mit dem Kino im Waldhorn noch einmal zu zeigen und die beiden Filmemacher dazu einzuladen. Die freuten sich über das große Interesse – fast alle Plätze im Kino waren belegt, allerdings überwiegend von älteren Leuten.

Nach der Filmvorführung entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch zwischen dem Publikum und den Filmemachern über Ernst Federns Thesen zur „Psychologie des Terrors“. Der kritisierte nämlich nicht nur den Terror der SS, sondern auch den stalinistischer Mithäftlinge, die im KZ Buchenwald wichtige Positionen in der Lagerverwaltung inne hatten. Nach offizieller Lesart beschützten sie viele Häftlinge vor dem sicheren Tod und befreiten das Lager am 13. April 1945 mit Waffengewalt. Ernst Federn hingegen berichtet von heimtückischen Abschiebungen politischer Gegner (zu denen auch er als Trotzkist gehörte) in die Krankenstation, wo Häftlingen Gift injiziert wurde, und in die Todeskommandos.

Mit einem der Beschuldigten, Emil Carlebach, mussten die beiden Filmemacher lange diskutieren, um ihn von juristischen Schritten gegen den Film abzuhalten. Im Abspann steht deshalb eine persönliche Erklärung Carlebachs, der Ernst Federns Anschuldigungen zurückweist. Der Kommunist und Blockälteste im jüdischen Häftlingsblock – später war er Vizepräsident des Internationalen Buchenwald-Komitees und Mitbegründer der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) – bestreitet, je den Tod eines Mitgefangenen verschuldet zu haben.

Für das Ehepaar Barthel-Rösing ist das wenig glaubwürdig. Die beiden Filmemacher interpretierten ihren Zeitzeugen im Geist des damals noch verbreiteten Antikommunismus, während Ernst Federn selbst im Film ohne ideologischen Eifer von den Intrigen der moskautreuen Mitgefangenen berichtet. Für ihn waren sie offenbar ebenso wie er Opfer des Nazi-Terrors, auch wenn einige unter der alltäglichen Todesbedrohung selbst zu Tätern wurden.

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Erstellt:
20.02.2019, 21:51 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 20.02.2019, 21:51 Uhr

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