Neujahrsempfang: Immer bei der Sache bleiben

In seiner Ansprache vor 900 Bürgern mahnte OB Boris Palmer sachliche Debatten an

Mit gut 900 Gästen war die Neue Aula beim Neujahrsempfang gestern Abend gut gefüllt – nur auf der Empore gab es noch einige freie Plätze. So viele, die in Tübingen Rang und Namen haben, kamen, dass Oberbürgermeister Boris Palmer gut zehn Minuten brauchte, um alle Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Kirchen, Schulen, Vereinen und dem Ehrenamt zu begrüßen.

22.01.2017

Von Sabine Lohr

Die „Fusion Band“ der Tübinger Musikschule spielte vor und nach Palmers Rede Soul, Rock und Jazz. Am Klavier Konrad Buschhüter, vorne auf der Bühne von links Sängerin Helen Skobowsky, Lilian Götz mit dem Sopransaxophon und Jannik Weiß mit dem Tenorsaxophon (nicht auf dem Bild sind Bassist Frieder Frank und Schlagzeugerin Hannah Marx). Bild: Franke

Die „Fusion Band“ der Tübinger Musikschule spielte vor und nach Palmers Rede Soul, Rock und Jazz. Am Klavier Konrad Buschhüter, vorne auf der Bühne von links Sängerin Helen Skobowsky, Lilian Götz mit dem Sopransaxophon und Jannik Weiß mit dem Tenorsaxophon (nicht auf dem Bild sind Bassist Frieder Frank und Schlagzeugerin Hannah Marx). Bild: Franke

Aber es kamen auch viele, die kein Amt bekleiden, die einfach nur dem OB zuhören und anschließend im breiten Flur vor dem Festsaal bei Wein und Butterbrezeln plaudern wollten. Dort ging es eng wie immer beim Neujahrsempfang zu: Um ein Glas Wein oder eine Brezel zu ergattern, musste sich jede und jeder quer durch die sich in alle Richtungen bewegenden oder in Grüppchen stehenden fröhlichen Gäste drängeln.

In seiner Rede erinnerte Palmer an die Anschläge im vergangenen und in diesem Jahr und appellierte, sich die westliche Lebensweise nicht durch den Terror nehmen zu lassen. „Gehen Sie zum Umbrisch-provenzalischen Markt, zum Stadtfest, zum Weihnachtsmarkt“, sagte er. Und schlug den Bogen zur Kommunalpolitik, „die im globalen Kontext unbedeutend erscheint, aber für uns von großer Bedeutung ist“.

Zunächst mahnte Palmer sachliche Debatten an und nannte als Gegenbeispiel dafür die Unterschriftenliste und die Leserbriefe der Anwohner der Franzosenwiese, die sich gegen die Entscheidung des Gemeinderats gerichtet haben, auf der an ihre Grundstücke angrenzenden Wiese drei Häuser zu bauen – für Flüchtlinge und Sozialmieter. „Lassen Sie uns streiten, wenn es sein muss wie die Kesselflicker“, sagte er, „aber lassen Sie uns bei der Sache bleiben.“

Von der „kleinen Wiese“ kam Palmer dann auf die ganz großen Flächen, die die Stadt, die Universität, die Unikliniken und das Gewerbe in nächster Zukunft beanspruchen – aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Erstens sei Tübingen eine „Schwarmstadt“ – es ziehe junge Menschen in großer Zahl an. Zweitens sei die Universität in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Allerdings eher in der Zahl der Mitarbeiter als in der der Fläche. Drittens behandle das Uniklinikum immer mehr Patienten – eine Folge auch davon, dass mehr und mehr Krankenhäuser schließen müssten. Das Klinikum habe zwar gebaut, aber eben auf Flächen, auf denen bereits Klinikums-Gebäude standen. Und schließlich, viertens, wachse das Gewerbe in Tübingen, was Palmer mit einigen Fotos von Firmenerweiterungen veranschaulichte.

Der Flächenbedarf aber führe zu einem „Zielkonflikt“, denn Tübingen solle eben auch „landschaftlich so grün bleiben“. Das Wachstum also dürfe nicht zu sehr zu Lasten der Natur gehen.

Dann stellte Palmer vor, wo er sich dieses Wachstum wünscht. Das Uniklinikum solle zunächst in der Sarchhalde, im Norden des Schnarrenbergs, erweitern. Denn der Steinenberg südwestlich des Schnarrenbergs beherberge weitaus wertvollere Tierarten. Das Klinikum, so Palmer, habe versichert, dass wenn es die Sarchhalde bebauen könne, das für die nächsten 20 Jahre ausreichen würde.

Für die Universität hat Palmer ebenfalls eine Idee: Sie könnte das Parkhaus Ebenhalde durch ein kompakteres Parkhaus ersetzen und damit Fläche für Neubauten gewinnen. „Sie sehen: Ich schlage den Neubau eines Parkhauses vor“, spielte Palmer auf den Streit um das Parkhaus für die Augenklinik vor zwei Jahren an. Noch keinen klaren Favoriten hat Palmer für das Gewerbe. In Frage kämen der Aubrunnen, die Traufwiesen im Neckartal und der Saiben.

Am Ende forderte Palmer die Bürger auf, die Informationsangebote der Stadt zu nutzen, zu öffentlichen Versammlungen zu gehen, Leserbriefe zu schreiben und bei allem davon auszugehen, dass auch eine andere Meinung als die eigene begründbar sein könnte. Denn: „Eine gute Diskussionskultur wird immer wichtiger für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

S. Kochendörfer Bild: Franke

S. Kochendörfer Bild: Franke

Uhlandmedaille für Sigrid Kochendörfer

Für besondere Verdienste um die Stadt kann der Oberbürgermeister zwei Uhlandmedaillen im Jahr vergeben. Eine davon – die erste überhaupt – hat Boris Palmer gestern an Sigrid Kochendörfer verliehen. Die 65-jährige Psychologin an der Kinderklinik war eine der Gründerinnen des Vereins „Hilfe für kranke Kinder“, der Spenden sammelte, damit Eltern kranker Kinder eine Unterkunft bezahlen und Zeit mit ihren Kindern verbringen konnten oder auch mal dafür, dass ein Geschenk besorgt werden konnte. Im vergangenen Jahr fusionierte der Verein mit der Dietrich-Niethammer-Stiftung zur „Stiftung für kranke Kinder“. Der Sozialfonds für die Familien kranker Kinder ist immer noch die Kernaufgabe dieser Stiftung, aber auch Projekte wie Kranke Kinder ans Netz, das Kindernachsorgezentrum, eine mobile Kinderintensiv-Transporteinheit und das ambulante Palliativteam der Kinderklinik sind Ergebnisse dieser Stiftung. In ihren Dank schloss Kochendörfer alle Spender, Helfer und Mitarbeiter ein: „Ihnen allen gehört ein bissle dieser Medaille.“ Bild: Franke