Was hat Sex schon mit Liebe zu tun? Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Und alles dazwischen.

Intimacy

Was hat Sex schon mit Liebe zu tun? Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Und alles dazwischen.

24.11.2015

Von Thomas Mauch

Intimacy

Bei der Berlinale wurde "Intimacy" als bester Film gewürdigt und Kerry Fox erhielt den „Silbernen Bären? als beste Darstellerin. Und der Film sorgte vorab für Debatten. Von Pornografie war zu lesen. Zur weiteren Diskussion des Stichworts "obszön" muss allerdings auf die "Pearl Harbor"-Rezension verwiesen werden: Geht es in dem Film doch um Gewalt-Geilheit, die ins gesellschaftlich sanktionierte Muster Krieg gepresst ist.

Dass auf der Leinwand dagegen auch nackte Schwänze und sexuelle Nähe, bei der die Kamera nicht mehr indigniert zur Seite schaut, gezeigt werden können, daran arbeitet das Kino gerade. Um menschliche Beziehungen genauer untersuchen zu können. Letztlich sind wir dabei immer auf unseren Körper zurückgeworfen, für den wieder Bilder gefunden werden müssen. Nicht als die immer potenten Rammelmaschinen der Porno-Produktion und auch nicht als die erotisch aufgeladenen Hochglanzversprechen der Werbung.

"Intimacy" überrumpelt: "War das ausgemacht", fragt der Mann die Frau an der Tür. Das sind die ersten Worte, die man zu hören bekommt. Danach springen sich die beiden an. Statt weiterer Dialoge hört man nur noch Keuchen und Stöhnen. Die nackten Leiber suchen aneinander. Verschlingen sich. Und das muss so detailliert gezeigt werden, weil da nicht mehr ist. Noch nicht. Nur die Leidenschaft der beiden Körper, die noch von keiner Geschichte wissen. Die nackte bloße Lust.

Das mag nun schockieren, wen will. Aufgesetzt ist das keineswegs. Es geht nicht um den Schaueffekt, für den der Kunde sowieso in jeder Videothek besser bedient wäre. Diese Kunden wären wohl auch nicht sonderlich daran interessiert, wie die Geschichte der beiden, die sich da stumm einmal die Woche einander hingeben, aus dem Dunkeln geholt wird.

Der Mann fristet sein Leben als Bar-Keeper. Man erfährt, dass er seine Familie verlassen hat, und ein gutes Stückchen später wird man auch erfahren, dass die Frau als mittelmäßige Schauspielerin auf einer Kellerbühne arbeitet. Man erfährt es, weil der Mann plötzlich mehr als diese Zweisamkeit ohne Vertrautheit will. Er will mehr von der Frau wissen. Er fragt nicht. Er spioniert ihr nach. Drängt sich in ihr anderes Leben, und für diese Enthüllungen kommt dann der Film selbst heraus ans Licht. Er kriecht aus den dunklen Kellerlöchern. Streunt auf den Straßen herum.

"Intimacy" spielt in London, aber was Regisseur Patrice Chéreau aus Motiven von Hanif Kureshi gemacht hat, ist doch eher ein französischer Film. Sobald die Menschen wieder angezogen sind, sprechen sie viel. In abgehackten Redeschüben umkreisen sie lauernd die Frage, wie sich Menschen überhaupt nah sein können. "Ich habe nicht das Gefühl, mit jemandem zusammen zu sein", erklärt der Mann seine Beziehung zu der Frau. Der Körper greift nach einem Körper. Und hält eine Hülle. Nichts. Je mehr aber die beiden voneinander erfahren, sind Entblößungen und Verletzungen möglich, die nicht mehr auf den Körper zielen.

Dabei muss man schon aushalten, dass auch "Intimacy" bei seiner einigermaßen verzweifelten Suche nach Nähe kaum mit anderen Fragen und Antworten aufwartet, wie sie das Leben/Kino bereits um dieses Problem angehäuft haben. Der Mann ist der einsame Großstadt-Wolf, der Beziehung scheut und sucht. Man sieht die erwartungslose Lust gerade am Erwachen der Erwartungen scheitern. Die Annäherung von Physis und Psyche. Der Wust der Gefühle. Am Schluss ein weiterer Scherbenhaufen. Man hat Menschen zugeguckt. Sie waren ganz nackt. Emotional aber haben sie die Hosen nur halb heruntergelassen. Und für das Happy-End-Glück sind andere beim Kino zuständig.