Blutrauschende Gewaltorgie, die man nicht lieben muss, aber sehen sollte

Irreversibel

Blutrauschende Gewaltorgie, die man nicht lieben muss, aber sehen sollte

24.11.2015

Von Kathrin Wesely

Irreversibel

In den schummrigen Katakomben des Schwulenclubs „Rectum? wütet ein Manntier, wuchtet das stumpfe Ende eines Feuerlöschers in das Gesicht eines Mannes. Die Kamera deliriert am Boden, glotzt in die Mienen der Umstehenden, krabbelt haltsuchend die Wände hinauf, erblindet endlich, als das Gesicht des Mannes hinter Blut und Knochentrümmern verschwindet.

Die ersten zehn Minuten des Films sind irreversibel. Von nun an harrt man bang auf noch Schlimmeres ? etwas, das diesen grausamen Mord plausibel machen könnte. Man kann sicher sein, dass es kommt, denn der Film erzählt die Geschichte von Pierre, Marcuse und Alex rückwärts, und der Zuschauer wird in der Mitte des Films mit einer der grauenhaftesten Vergewaltigungsszenen der Filmgeschichte konfrontiert.

Knapp zehn Minuten lang wird Alex, die Freundin von Marcuse, die Ex-Freundin von Pierre, in einer verkoteten Unterführung anal vergewaltigt. Als der Gewaltverbrecher befriedigt ist, zertrümmert er ihr noch das Gesicht. Alex (Monica Belluci) hatte die Party allein verlassen, zu der sie mit Pierre (Albert Dupontel) und Marcuse (Vincent Cassel) aufgebrochen war. Sie hatte gerade erfahren, dass sie von Marcuse schwanger ist und mag es just in dem Augenblick bereut haben, als der sich auf der Party vollkokst und daneben benimmt. Sie nimmt den Weg durch die Unterführung . . .

Klickklick. Noch eins früher: Marcuse und Alex hatten Sex. Seine Gesten sind nicht brutal, gleichen aber jenen des schwulen Vergewaltigers in der Unterführung: Er hält ihr den Mund zu, zieht sie am Schopf nach hinten, verlangt nach Analverkehr ? alles im Spaß, versteht sich. Sie will erzählen, was sie geträumt hat. Er will es nicht hören. Der Traum nimmt die Katastrophe vorweg.

Vielleicht ist genau dies das Provokante an dem Film, mehr noch als die Gewalt, die er zeigt. Vergewaltigung, Mord und Verstümmelung so darzustellen, dass sie quälen, ist nicht zu beanstanden. Eher schon, dass die Verhandlungsmasse Frau konturlos bleibt.

Wer das annörgelt, verkennt aber, dass es Gaspar Noés boshafte Absicht war, Männer als Primaten darzustellen. Noé ist kein Macho à la Michel Houellebecq. Eher ein Misantrop. Denn es geht in diesem Film um diese unausgegoren unterschwellige Sache zwischen Männern, um Eifersucht, verletzte Eitelkeit, Liebe. Männer können nach Ansicht Noés emotionale Debakel bloß rektal oder mit dem Feuerlöscher lösen.