Politbesuch

Ja zu Europa – aber bitte mit liberalem Vorzeichen

FDP-Chef Christian Lindner hatte gestern seinen großen Auftritt in Horb. Die Besucher goutierten seine Ausführungen.

26.03.2019

Von Dagmar Stepper

Ein Lächeln unter Parteifreunden: Christian Lindner (links) undMichael Theurer.

Ein Lächeln unter Parteifreunden: Christian Lindner (links) und
Michael Theurer.

Christian Lindner (40) zieht die Jugend an. Das muss man dem smarten Spitzenpolitiker lassen. Auch dass er einer der rhetorisch Begabesten ist, die sich gerade auf der großen Politikbühne tummeln. Dass Lindner sich ins kleine Horb verirrt hat, dürfte an seinem Parteikollegen Michael Theurer liegen, der eng mit ihm in Berlin zusammenarbeitet. Lindner war Spitzenkandidat der Liberalen bei der Bundestagswahl 2017, nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition ist er Vorsitzender der FDP-Fraktion, Theurer ist einer seiner Stellvertreter.

Gestern trafen sich die beiden nun nicht in Berlin, sondern eben in Horb, „meiner Heimatstadt“, wie Theurer mehrmals betonte. Es ging natürlich um Europa, schließlich sind am 26. Mai Wahlen für das Europäische Parlament – und nebenbei auch Kommunalwahlen. Für ihren Wahlkampfauftakt in der Region hat sich die
FDP die Duale Hochschule ausgesucht. Das passt zum Jugend-Magneten Lindner.

Über 150 Besucher drängten sich also gestern Nachmittag wohlgesittet im Hörsaal der Dualen Hochschule – die Hälfte gehörte der U30-Fraktion an. Lindner verspätete sich etwas, er hatte am Vormittag in Pforzheim schon eine Diskussion mit Studierenden. Das nahm ihm aber keiner krumm, denn Theurer eröffnete nach einer kurzen Begrüßung durch Hochschulleiter Dr. Hartmuth Diery (fast) pünktlich die Veranstaltung.

Theurer war ja selbst mal Europaabgeordneter, kennt sich also glänzend in der Materie aus. Er kratzte kurz an der Oberfläche der Probleme, die die Europäer gerade so bewegen: Brexit und Trump, Schutz der Außengrenzen und schlechte Wirtschaftsprognosen. Theurers Statement zu Europa: „Wenn es Europa nicht gäbe, müsst man es erfinden.“ Aber es müsste auch an Haupt und Gliedern reformiert werden. Oha, nicht ganz neu alles. Dann noch das Bekenntnis zur FDP: „Wir Freidemokraten wollen, dass die Leute Piloten ihres Lebens bleiben.“ Passend dazu lag auf jedem Platz auch ein Aufnahmeantrag für die Liberalen.

Um noch mehr Jugendlichkeit zu demonstrieren, sprach der U30 Stefan Lazar anschließend mit Theurer über sein Start-up-Unternehmen als Bühnenmanager und das Mini-Rock-Festival, das auch als Start-up durchgehen kann. „Im ersten Jahr sind wir krachend gescheitert“, sagte Lazar, heute steht der Verein so gut wie nie in der 14-jährigen Geschichte da. Allerdings gibt es
auch kein Mini-Rock-Festival mehr. Lazar machte dann noch ein wenig Werbung für die FDP, der Saal klatsche artig.

Währendessen hatte sich Linder eingefunden, er nippte noch kurz am Kaffeebecher, dann ging es schon los mit der Politshow. Kratzte Theurer nur an der Oberfläche, tauchte Lindner schon mal tief ab in den europäischen Gewässern. Natürlich mit einer gewissen Koketterie und auch mal Arroganz – Lindner weiß von seinen rhetorischen Qualitäten. „Ich kandidiere für nichts. Deshalb spreche ich als objektiver Beobachter“, stieg er frech grinsend in die Materie ein. Nun, Lindner bewirbt sich weder für das Europäische Parlament noch für den Horber Gemeinderat, aber Wahlwerbung für die Liberalen betrieb er schon. Denn klar, Lindner ist wie Theurer ein überzeugter Europäer, aber bitte ein Europa mit liberalem Vorzeichen.

Europa kurz und klein zu schlagen, wie es beispielsweise die AfD fordert, hätte für Deutschland enorme Nachteile: „Wie wollen es 82 Millionen Deutsche mit 1 Milliarde Chinesen aufnehmen?“, fragte Lindner. Europa sei die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt, noch vor China und den USA. Das müsste man sich bewusst machen. Allerdings auch mit 27 Staaten und noch mehr Sprachen. Doch nur gemeinsam könne man sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. „Bei jeder Frage beginnt die Antwort mit Europa.“

Die Digitalisierung und Globalisierung könne nur europaweit gelingen. „Take back Control, wieder selbst übernehmen, das geht nicht“, betonte er. Derzeit würden im Bereich der Digitalisierung Arbeitsplätze in China und Nordamerika entstehen – aber nicht in Europa. Lindner forderte daher einen Zusammenschluss à la CERN, bei dem die EU gemeinsam Kernforschung betreibt.

Das Europa der Liberalen beinhaltet allerdings nicht planwirtschaftliches Denken, wie es in Frankreich gepflegt wird, oder mediterrane Wohlstandsverteilung. Es könne nicht sein, „dass unsere Arbeitnehmer für die katastrophalen Umstände in Italien drauflegen müssen“. Wohlstand sollte nicht umverteilt werden, sondern es müsse neuer Wohlstand geschaffen werden. Einen ähnlichen Ansatz versucht Lindner auch beim Klimaschutz. Statt Flugreisen zu begrenzen und Verzicht zu üben, wie es die Grünen vorgeschlagen haben, sollten Wissenschaftler nach intelligenten Lösungen suchen. „Warum nicht ein CO2-neutrales Flugzeug mit Wasserstoff entwickeln?“ Verzicht ist eben ein hässliches Wort.

Nach seinem Impulsvortrag war Lindner offen fürs Publikum. Darauf meldeten sich etliche junge Menschen zu Wort. Die meisten Fragen waren kreuzbrav, keiner konfrontierte den FDP-Chef mit seiner Kritik an den Schülerprotesten bei der Klimabewegung „Fridays for Future“. Dafür wurde er nach seiner Einstellung zu den chinesischen Investitionen in Europa – „Wir Europäer müssen keine Angst haben“ und der EZB-Politik – „Der Zins ist natürlich zu niedrig, ich mache aber kein EZB-Bashing“ – gefragt.

Kritische Töne waren also eher die Ausnahme. Ein Teilnehmer versuchte es zumindest: „Europa ist eine Interessenvertretung für Konzerne geworden“, meint ein Jugendlicher, der die Ursachen des Rechtspopulismus in der schlechten Politik sieht. Lindner widersprach: Gerade beim Brexit hätten sich die Populisten nach dem Referendum vom Acker gemacht. Welche Lobbyisten in Brüssel nun das Sagen haben – ob die Konzerne, wie der junge Mensch meint, oder Greenpeace, wie Lindner vermutet – ging dann schnell in der geschliffenen Sprache des Politikprofis unter.

„Ich will keinen Werbeblock für die FDP machen“, beendete Bürgermeister Ralph Zimmermann die Diskussionsrunde. Was er dann aber natürlich doch tat. Bekanntlich ist Zimmermann auch ein Liberaler.

Über 150 Zuhörer hingen am Montagnachmittag in der Horber Dualen Hochschule an Christian Lindners Lippen. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Über 150 Zuhörer hingen am Montagnachmittag in der Horber Dualen Hochschule an Christian Lindners Lippen. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Ja zu Europa – aber bitte mit liberalem Vorzeichen