Waldachtal · Wildtiere

Jäger mit Passion und Auftrag

Hartmut Johannsen erlebt den Wald im Wandel. Noch nie, so sagt er, haben so viele Menschen diesen für sich beansprucht. Der Waldachtäler plädiert für gegenseitige Rücksichtnahme – zugunsten der Natur.

26.01.2021

Von Annette Maria Rieger

Jäger mit Passion und Auftrag

Sein Gewehr geschultert, stapft Jäger Hartmut Johannsen voraus durch den tiefen Schnee zu einem Hochsitz mitten im Wald zwischen Hallwangen und Musbach.

Er komme kaum noch zum Abschuss, so hatte er erzählt: „Noch nie haben so viele Menschen den Wald für sich beansprucht.“ Auf E-Bikes schießen sie daher, krauchen auf Schneeschuhen zwischen den Fichten und Tannen durch, kommen hoch zu Ross angetrabt oder treffen sich noch in der Dämmerung zum Quatschen und Kichern mit der Freundin mitten im Wald. Immer häufiger begegnen ihm Hundehalter, die ihre Tiere frei laufen und stöbern lassen. Sage er was, werde er immer wieder angepöbelt – ganz offensichtlich deshalb, weil den Leuten das Verständnis fehle für sein Wirken und Tun als Jäger im Wald.

In der vorangegangenen Nacht sind gut 20 Zentimeter Neuschnee gefallen im Revier Hallwangen. Da, frische Spuren eines Rehs. Wildschweine hätten einen etwas andere Trittsiegel, wenn sie auf ihren kurzen Beinen durch den Schnee pflügen und wären leicht zu erkennen.

Ein Harvester hat beim Holzeinschlag hüfthohe Gräben aus dem Waldweg gemacht. Gleich dahinter geht es durch eine Schonung zum Jägerstand.

Geübt steigt Johannsen die Holzsprossen hoch und richtet sich auf einen mehrstündigen Ansitz ein: Mit Wärmekissen als Sitzunterlage und einem hochsensiblen Gehörschutz für die Ohren. Wenn ein Schuss bricht, macht der elektronische Gehörschutz automatisch zu. Bis dahin verstärkt er das Gehör, so dass es klingt, als wäre man einige Oktaven tiefer eingesunken in den Wald. Der Jäger hört damit in etwa so gut wie das Wild, das er jagt.

Eiserne Regeln

Erst als alles sitzt und passt, lädt Johannsen sein Repetiergewehr mit drei Patronen, niemals mit zweien: „Das ist eine dieser ungeschriebenen Jagdregeln, an die man sich einfach hält.“ Den Stutzen legt er auf ein Filzstück auf. „Je besser die Ausrüstung und je präziser das Gewehr, desto weniger muss das Tier leiden“, so Johannsen. Dann ein Kontrollblick durch das Zielrohr: Im Fadenkreuz leuchtet ein Punkt auf, sobald es dunkel wird. „Die
eiserne Regel ist: Ich schieße auf nix,
was ich nicht einwandfrei identifiziert habe.“ Seit jeher gilt: Ist die Kugel aus dem Lauf, hält sie kein Gebet mehr auf. Und immer, so Johannsen, ist auf den Kugelfang zu achten. Nie darf ins freie Feld geschossen werden.

Mucksmäuschenstill

Jetzt heißt es: Still sein, keinen Mucks machen, und auf Gegenwind hoffen. Rehe sind Bewegungsseher. Die Tiere erkennen einen Menschen, der unbewegt im Wald steht, nicht als Gefahr und flüchten in der Regel auch nicht vor ihm.

Kein Laut ist zu hören, kein Lufthauch zu spüren. Der Wald ist in der Eiseskälte wie erstarrt. Für Johannsen gibt es kaum etwas Schöneres, als im Winterwald zu sein.

So geht es dieses Jahr vielen. Doch eben daraus erwachsen aus Sicht des Jägers auch gehörige Probleme, denn es behindert Jäger in ihren Aufgaben.

„Jagen ist ein Privileg“, so Johannsen. Dieses sei mit viel Lernen, Üben und rechtlichen Vorgaben verbunden – und immer auch eine große Verantwortung. Er soll allen gerecht werden: Dem Verpächter des Waldes wie auch den Tieren, die in ihm leben, und den Pflanzen.

Die Jäger sind mit in der Verantwortung, damit sich die Natur verjüngen, der Wald hochkommen kann. Dazu streichen sie junge Bäume im Spätsommer mit Verbissschutzmittel ein und bejagen das ihnen übertragene Revier, um ein Gleichgewicht zu halten, so Johannsen. Theoretisch. In der Praxis zeige sich immer mehr: „Wenn überall Leute sind, kann das Wild nicht raus zur Äsung und ist quasi gezwungen, die Triebe zu verbeißen.“

Schon Ende August, September fängt Rotwild an, die Knospen der Weißtanne, bevorzugt den Gipfeltrieb, anzuknabbern und seinen Magen an das Winterfutter
zu gewöhnen.

Notzeit im Winter

Wildfütterung ist gesetzlich verboten. Lediglich zur Bejagung von Schwarzwild ist eine sogenannte Kirrung etwa mit Trester (aus ausgepressten Äpfeln) in geringer Menge erlaubt.

Wildtiere sind in dieser Jahreszeit darauf angewiesen, möglichst wenig Energie zu verbrauchen und ihre Reserven zu schonen. Werden sie von Waldläufern oder freilaufenden, stöbernden Hunden aufgeschreckt, ist das für sie eine echte Bedrohung. Johannsen: „Die Tiere brauchen ihr Refugium!“ Walkern, Joggern und Geocachern sei oft gar nicht bewusst, was sie anrichten, wenn sie die Gesetze des Waldes nicht achten. Johannsen befürchtet: „Viele Rehe werden es dieses Jahr nicht durch den Winter schaffen, weil zu viele Menschen den Wald für sich entdeckt haben.“

Der 52-Jährige erlebt den Wald und die Jagd in einem immer stärkeren Wandel.

Im vergangenen Frühjahr hat der Waldachtaler erstmals wieder Rebhühner gesehen, die es jahrelang nicht gegeben hat. „Auch der Feldhase, der in den vergangenen zehn Jahren in diesem Revier von
der Jagd stark geschont wurde, hat sich so erholt, dass es nun wieder eine gute Population gibt.“

Auch die widerstandsfähigen Wildschweine haben sich innerhalb weniger Jahre stark vermehrt. Überhaupt, die Wildschweine. Johannsen gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er auf dem Hochsitz flüsternd von diesen intelligenten Borstenträgern erzählt: Blitzschnelle, unaufhaltsame Kraftpakete, die regelrecht dahinfliegen, wenn sie auf der Flucht sind. Die führende Bache, so lautet eine goldene Jagdregel, sollte man niemals schießen: „Sie bestimmt, wer im Rudel Nachwuchs bekommt. Ohne sie herrscht da ein heilloses Durcheinander.“ Wird ein Wildschwein erlegt, muss das Fleisch getestet werden. Oftmals stellt sich dabei heraus, dass es für den Verzehr radioaktiv zu belastet ist, weil es verseuchte Pilze (infolge der Tschernobyl-Katastrophe) aufgenommen hat.

Rehwild, auf das der 52-Jährige an
diesem Tag ansitzt, darf eine Stunde vor und eine Stunde nach Sonnenuntergang bejagt werden. In der Regel sitzt er
fünf bis sieben Mal an, bis er ein Reh erlegt. Aufgrund der vielen Menschen im Wald geht die Tendenz eindeutig zu häufigeren Ansitzen.

An diesem Tag ist weit und breit nichts und niemand zu hören. Die Zeit verstreicht, die Konzentration wächst. Besonders aufmerksam lauscht Johannsen jetzt, wo es immer stärker dämmert, auf die Amsel: „Sie ist eine gute Verbündete und gibt Hinweise. Wenn sie schreckt, ist das ein Zeichen, dass was vorbeizieht.“ Doch an diesem Tag ist nichts zu hören.

Also greift er in seine eigene Trickkiste. Mit der Fuchspfeife kann er das Fiepen einer Maus imitieren, den Klageton eines leidenden Hasen nachahmen. Mitunter lässt sich so ein Fuchs anlocken. „Das ist ein Nahrungsgeneralist. Er frisst alles und verschmäht nix. Deshalb stirbt er oft, weil er im Straßengraben nach Nahrung sucht.“ In Wald und Flur macht sich der Fuchs mit Vorliebe über Bodenbrüter wie die Rebhühner und Hasen her. „Deshalb ist ein gesundes Regulieren mit Augenmaß wichtig“, so Johannsen.

Ihm geht es nicht darum, sich daheim Jagdtrophäen an die Wand zu nageln. Sein Ziel bei der nachhaltigen, waidgerechten Jagd ist neben der Naturverjüngung die Verwertung des Wildbrets, so sagt er. Und hat damit an diesem Tag womöglich doch zuviel erzählt und sich damit auf dem Hochsitz verraten, so dass an diesem Tag kein Reh mehr vorbeizieht, kein einziger Schuss fällt.

Lehrreicher Ausgleich

Hartmut Johannsen nimmt es nicht als Selbstverständlichkeit, dass ihn seine Frau Katja immer wieder stundenlang ziehen lässt. Stolz macht ihn, dass sein 22-jähriger Sohn Luis aus eigenen Stücken selbst den Jagdschein gemacht hat. Acht Monate lang paukte er, was es über die Welt der Tiere und ihre Anatomie, die Pflanzen und das Jagdrecht zu wissen gilt.

Luis Johannsen, Auszubildender als Steuerfachangestellter, erlebt die Jagd als „extrem anspruchsvoll“ und einen Ausgleich, wie er lehrreicher nicht sein könnte. Er teilt den Wunsch seines Vaters: „Wir Jäger nehmen Rücksicht – und eben das wünschen wir uns von allen Naturfreunden im Wald.“

Fünf- bis sieben Mal sitzt Jäger Johannsen in der Regel hochkonzentriert an, bis es zum Schuss kommt und er ein Reh erlegt.Bild: Annette Maria Rieger

Fünf- bis sieben Mal sitzt Jäger Johannsen in der Regel hochkonzentriert an, bis es zum Schuss kommt und er ein Reh erlegt.Bild: Annette Maria Rieger

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Erstellt:
26.01.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 53sec
zuletzt aktualisiert: 26.01.2021, 01:00 Uhr

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