Highway to hell

Jan Mixsa dreht an der Tonne den Osten durch den Fleischwolf

02.01.1980

Jan Mixsa dreht an der Tonne den Osten durch den Fleischwolf

Reutlingen. Der Osten lebt. Den Beweis tritt der Berliner Schauspieler Jan Mixsa am Reutlinger Tonne-Theater an. In seinem Stück „East Riders“ verkörpert er sieben ostdeutsche Charaktere: Wendehälse, Knallchargen, Gezeichnete. Donnerstag war die Uraufführung im Spitalhof.

Ein Mann und ein Moped – das ist der Stoff, aus dem die Ostalgie-Träume sind. Eingangs schraubt Mixsa als sächselnder Handwerker am Gefährt herum, gibt das komplette Begrüßungsgeld für einen gebrauchten Lenker aus, bis ihn eine Polizeistreife stoppt. Highway to hell – er motzt und grummelt, raunzt und keift, beißt in die erste West-Banane, mit der ihn christliche Missionare ködern wollen: „Wir haben ja 40 Jahre lang nichts gehabt.“

In Szene zwei mimt Mixsa eine alte Marktbeschickerin, der das Leben übel mitgespielt hat. Jetzt verkauft sie Topflappen. Sie geifert gegen Ausländer, spottet über die Auswüchse des Konsums: „Warum nicht Schuhe to go?“ Ihr Mann ist im DDR-Knast Bautzen gestorben, verpfiffen vom eigenen Sohn. Am Ende will sie Bomben auf den Bundestag schmeißen, im Sprengstoffgürtel stecken lauter Schnapsfläschchen.

Leider sind nicht alle Charaktere dieser Ein-Mann-Show so rund wie diese Figur. Da gibt es etwa einen Sprit saufenden und pöbelnden Wendehals im Bademantel, der so tut, als ob ihm und seinen Konsorten die Republik gehöre. „Schröder haben wir erst zum Kanzler gemacht und dann zu Gazprom geschickt“, sagt er. Solche Enthüllungen „haben wir im ‚Spiegel‘ geschrieben“. So stellt sich wohl der gemeine Pegida-Anhänger die „wirklichen“ Machthaber vor. Der Suffkopp erzählt Schauermärchen von folternden Stasispitzeln, die nach der Wiedervereinigung mit der Treuhand das große Geld gescheffelt haben. Als er endlich rausgeht, hat er „Hillary“ an der Strippe: „Ich fliege mit dem Privatflugzeug.“ Heiliger Größenwahn!

Wunderbar ist hingegen das Liedchen, das der gelernte Schauspieler und Figurenspieler mit einem „Ritter Rost“, einem Blechgestell von der traurigen Gestalt, anstimmt: „Das Volk singt von Rhein bis Neisse: Deutschland, du bist schön.“ In den Umbaupausen rotiert und knackt ein altes Grammophon, auf dem Hammer und Sichel prangen. Tonne-Intendant Enrico Urbanek, selbst ein „Ossi“, inszeniert mit reichlich Schwarzlicht, den schwarzen Humor steuert Mixsa selbst bei.

Nach der Pause spielt er als eine Art König von Deutschland im Auftrag der Bundesregierung das Puppenstück zur Wiedervereinigung: Der Kaspar verpfeift beim Teufel für einen Schluck Schnaps und ein paar Zigaretten die ganze Familie. Am Ende sind die Protagonisten goldgewandete, schmerbäuchige Muslime – so ein Kasperletheater!

Makaber ist die Episode vom Fleischer, der eine Frau sucht. Ein Muttersöhnchen, das nach dem Ableben der Mutter eine Video-Annonce aufgibt. Er erzählt, wie er mit polnischen Amphetaminen Karnickel gemästet hat, bis denen die Haare ausgefallen sind. Wie er auf Bio-Bullen-Zucht umsattelte und seine alte Dame den Kontrolleur mit Kuchen bestach. Er greift zur Blockflöte, pfeift aus dem letzten Loch. Und verliest das Testament der Mutter: Wenn die Heiratskandidatin das Klo saubermacht, ist sie die Richtige.

In der finalen Szene wetzt Mixsa als Tod auf Seelenjagd die Sense. Ein Meister aus Deutschland, der im braunen Ledermantel deklamiert. Plastik-Hund Scharwenzel wittert Ossis. Das Herrchen sinniert über Ost und West. Diktatur versus Kapitalismus: „Die schönere Lüge blieb.“ Und in einem poetischen Schluss holt er für das Publikum förmlich die Sternbilder vom Himmel. Matthias Reichert

Info: Weitere Aufführungen im Dezember am 4., 6. (19 Uhr), 11., 18., 27. (18 Uhr) und 28., jeweils 20 Uhr.