Hier können sich Kinder und Eltern beschweren

Jugendhilfe richtet in der Südstadt Anlaufstelle bei Konflikten ein

Unter dem Motto „Sich beschweren ist doch normal“ geht die Jugendhilfe in Baden-Württemberg neue Wege. In Tübingen gibt es jetzt eine Beschwerdestelle (Ombudsstelle) in der Südstadt. Dort können sich Kinder, Jugendliche und Eltern, aber auch Behörden-Mitarbeiter, bei Konflikten kostenlos Rat holen.

11.04.2016

Von Christiane Hoyer

Nina Wlassow berät in der Ombudsstelle im Janusz-Korczak-Weg 1. Bild: Metz

Nina Wlassow berät in der Ombudsstelle im Janusz-Korczak-Weg 1. Bild: Metz

Tübingen. Die Tübinger Ombuds- stelle ist die vorerst letzte von sechs Anlaufmöglichkeiten in Baden-Württemberg (Freiburg, Heidelberg, Offenburg, Heilbronn, Ulm), bei der sich Eltern, aber auch Kinder und Jugendliche, Rat holen können. Nina Wlassow hat ihr Büro in der Südstadt im Janusz-Korczak-Weg 1. Die 27-jährige Erziehungswissenschaftlerin spezialisierte sich unter anderem bei einem Forschungs-Projekt von Prof. Rainer Treptow auf das Thema Beschwerdeverfahren. Was sich formalistisch anhört, wird in Wlassows Büro konkret.

Da kommt zum Beispiel eine Mutter, deren Sohn in einer stationären Wohngruppe lebt, mit einem Bescheid vom Jugendamt zu Nina Wlassow. Die Behörde überweist der Mutter weniger Geld für die WG-Kosten, weil der Sohn jedes zweite Wochenende und in den Ferien heimkommt. Wenn so etwas nicht im „Hilfeplan klar geregelt ist“, so Wlassow, „wird’s diffizil“. Da muss hin und wieder sogar ein Sozialrechtler prüfen, ob die Berechnung der Behörde stimmig ist. Oder es ruft jemand an und will wissen: Darf das Jugendamt die Halbwaisenrente zur Bezahlung der Jugendhilfekosten einbehalten? Die Beschwerdestelle, so Wlassow, versteht sich als unabhängige Instanz, wenn Kinder, Jugendliche oder deren Eltern „Hilfe zur Erziehung“, also öffentliche Gelder, nach dem Sozialgesetzbuch VIII bekommen. Hilfe zur Erziehung wird unter anderem dann bezahlt, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder dem Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist.“

Kinder und Jugendliche besuchen dann unter anderem nach der Schule Tagesgruppen eines freien Jugendhilfeträgers – in Tübingen sind das die Martin-Bonhoeffer-Häuser und die Sophienpflege. Diese haben sich zuletzt intensiv mit den Kinderrechten befasst, die inzwischen auch im Bundeskinderschutzgesetz verankert sind. Danach müssen freie Jugendhilfeträger in ihrer Einrichtung den Kindern und Jugendlichen eine interne Möglichkeit anbieten, sich bei Konflikten zu beschweren.

Unabhängig davon können sie aber auch den Kontakt zu Nina Wlassow suchen. Im „Jugendparlament“ will sie den Mädchen und Jungen Mut machen, ihr eine Mail zu schreiben oder anzurufen, wenn es Probleme gibt. Sie versteht sich dabei „nicht als Vermittlungsinstanz“ zwischen Eltern und Kindern und auch nicht als „Macherin“. Eine 17-Jährige, sagt Wlassow, muss ihre Konflikte selber lösen. Ich kann ihr Tipps geben, wie sie dafür Strategien entwickelt“. Und wenn jemand in der Schule gemobbt wird? Dann ist immer noch der Schulsozialarbeiter die erste Adresse, so Wlassow.

Jugendamt kritisiert

fehlende Unabhängigkeit

Ob die Leiterin der Tübinger Beschwerdestelle mit ihren rund zehn Beratungsstunden in der Woche hinkommt, wird die Zukunft zeigen. Denn Wlassow ist für sechs Landkreise zuständig (außer Tübingen sind das Reutlingen, Esslingen, Stuttgart, Böblingen und Zollernalb). Vor allem Jugendämter, so Wlassow, reagieren unterschiedlich auf das neue Angebot. In Böblingen sehe man die Beschwerdestelle als Chance, in Tübingen halte man weniger davon. Der Tübinger Kreisjugendamtsleiter Bernd Hillebrand kann auch erklären, warum er skeptisch ist: Grundsätzlich, so Hillebrand, seien Beschwerdestellen „eine gute Ergänzung“. Sie sollten dann aber auch wirklich unabhängig sein. Träger der Tübinger Ombudsstelle sei der Paritätische Landesverband Baden-Württemberg. Und der gehöre zu den Spitzenverbänden der freien Jugendhilfeträger. Mit ihnen verhandeln die Behörden über die Kosten für die Unterbringung von Jugendlichen. Von Unabhängigkeit könne da keine Rede sein.

Hillebrand verweist außerdem auf die geplante „Beratungsoffensive“ des Landkreises Tübingen. Ab September wolle man sich ja gerade mit der niederschwelligen Beratung vor Ort öffnen, damit sich Probleme in Familien gar nicht erst verfestigen. Beschwerden, unter anderem über einzelne Sachbearbeiter, gebe es in seiner Abteilung immer wieder. Sie hielten sich aber insgesamt „in Grenzen“.

Roland Berner vom Paritätischen Landesverband stellt jedoch klar, dass man „nur die Dienstaufsicht“ über die Ombudsstelle in Tübingen habe und Nina Wlassow fachlich „nicht hineinreden“ werde. Prinzipiell sei eine zweite Instanz bei Konflikten immer gut. Und angesichts der Gewalt in Kinderheimen bis in die 1970er Jahre seien die Zeiten endgültig vorbei, in denen man bedingungslos an das richtige Handeln der Jugendämter glaube. Für seinen Verband, so Berner, sei wichtig, „dass wir Eltern und Kinder in der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen.“

Info: Beschwerdestelle Tübingen:

Nina Wlassow, Telefon: 0 70 71/ 4 07 87 30; Mail: wlassow@initiative-habakuk.de. Fachtag in der Alten

Aula über die Ombudsschaften in der Kinder-und Jugendhilfe: Dienstag, 12. April, 13 - 17 Uhr.