Surfer-Doku mit Gast im Arsenal

Junge Leute in Gaza: Das Meer ist der einzige Zufluchtsort

Der Stuttgarter Filmemacher Philip Gnadt hat sich für „Gaza Surf Club“ bei den Wellenreitern des Gazastreifens umgesehen. Und er gleicht seine Eindrücke mit dem Surferparadies Hawaii ab.

04.04.2017

Von Dorothee Hermann

Auf dem Meer fällt es leichter, den Dresscode der Islamisten zu ignorieren, wie es die 13-jährige Sabah gerade macht.Bild: Verleih

Auf dem Meer fällt es leichter, den Dresscode der Islamisten zu ignorieren, wie es die 13-jährige Sabah gerade macht.Bild: Verleih

Dass Gaza einen Strand hat, ist ungefähr das letzte, was einem zu dem palästinensischen Küstenstreifen einfällt, dessen Bewohner zwischen Israel und Ägypten gefangen sind. Und so strahlen die jungen Männer, die sich in der Doku „Gaza Surf Club“ auf ihren Brettern in die Wellen stürzen, etwas fröhlich Subversives aus. Wenn man die grandiosen Surfer-Bilder sieht, kann man kaum glauben, dass Regisseur Philip Gnadt keiner von ihnen ist. „Ich wollte die Realität in Gaza zeigen. Aber ich brauchte einen Aufhänger“, sagte der 42-Jährige bei der Preview am Sonntag im Tübinger Kino Arsenal. Er entdeckte eine Fotostrecke über die Surfer von Gaza und legte los.

Einer der nonchalanten Wellenreiter, gefühlt Lichtjahre entfernt vom Klischee der steinewerfenden palästinensischen Jugendlichen, ist der 23-jährige Ibrahim. Er will einen Surfshop aufmachen, weiß aber nicht, wie er an die Bretter kommen soll, deren Einfuhr verboten ist. „Sie müssen erstmal Lebensmittel, Medikamente und Benzin reinbringen“, erläuterte Gnadt, der sein Geld vor allem mit Industriefilmen für Bosch und Daimler verdient. Der Lebensmut der jungen Palästinenser hat ihn stark beeindruckt: „Trotz der ausweglosen Lage gehen sie mit so einer Positivität an die Dinge heran.“ Gnadt ist nicht sicher, wie die deutsche Mentalität unter vergleichbaren Umständen aussehen würde.

Für Surfer Ibrahim ist die Unbeschwertheit auf dem Wasser die große Ausnahme: Er arbeitet bei einem Fensterbauer und in einem Krankenhaus. Sein Fenster zur Welt ist ein Skype-Kontakt ins Surferparadies Hawaii. Dort würde er gerne lernen, wie man Surfbretter herstellt und repariert, und hofft auf ein Visum. Wie durch ein Wunder bekommt er eines.

„Das war für mich auch ein Wunder. Junge Leute werden besonders kontrolliert“, sagte der Filmemacher, der seinem Protagonisten nach Hawaii folgte. „Ältere Geschäftsleute mit Familie dürfen eher mal raus aus Gaza.“ Vom entspannten Treiben am Waikiki Beach blendet die Kamera immer wieder zurück nach Gaza, wo ein Hund über den zugemüllten Strand streift, während ein paar Männer ein Netz voller mickriger Fische hereinholen. Seit Israel die Fischereizone auf drei Seemeilen noch einmal verkleinert hat, ist die Ausbeute noch magerer.

„Auf den Wellen vergesse ich alles. Ich bin an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit“, sagt im Film der 42-jährige Fischer Mohammed Abu Jayab, der den Jüngeren das Surfen beibringt, Mädchen wie Jungen – obwohl Mädchen den Sport nicht mehr ausüben dürfen, sobald sie in die Pubertät kommen. „Ihr Vater hätte es ihnen erlaubt, ihr Ehemann nicht.“ Regisseur Philip Gnadt interessiert sich seit seinem Studium an der Hochschule der Medien in Stuttgart-Vaihingen für die Region. Ein Kommilitone stammte aus Gaza und machte ihn mit anderen Palästinensern bekannt. „Ich mochte den Humor“, sagte Gnadt. Weil er selbst nicht Arabisch spricht, suchte er sich für den Film einen Produzenten, der die Sprache beherrscht: Mickey Yamine.

Die erste Recherchereise 2013 über Ägypten gestaltete sich relativ einfach. „Damals regierte Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern.“ Doch als es im Spätherbst 2014 an die Dreharbeiten ging, war General Abd al-Fattah al-Sisi in Kairo an der Macht. Das Filmteam musste über Israel einreisen. „Man braucht zwei Genehmigungen“, eine israelische, und eine Akkreditierung der Hamas, sagte der Filmemacher: „Die sind das gewöhnt. Wenn Krieg ist, sind hunderte von Journalisten in Gaza.“ Das elfstöckige Hochhaus, wo Medienleute und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen unterkommen, war beinahe leer. „Wenn Bomben fallen, ist das Haus voll.“

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Erstellt:
04.04.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 04.04.2017, 01:00 Uhr

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