Adrenalin ist hilfreich

Katharina Krämer rettete auf der B27 einen Mann aus seinem brennenden Auto

Als sie sah, dass im brennenden Auto noch jemand sitzt, hatte Katharina Krämer nur noch einen Gedanken: „Er muss da raus.“

12.11.2016

Von Moritz Siebert

Es sollte nichts Besonderes sein, Erste Hilfe zu leisten, sagt Katharina Krämer. Sie hat einem Mann das Leben gerettet.Bild: Franke

Es sollte nichts Besonderes sein, Erste Hilfe zu leisten, sagt Katharina Krämer. Sie hat einem Mann das Leben gerettet.Bild: Franke

Sie ging zum Wagen, öffnete die Tür und sprach den Mann an. Er stand unter Schock. Zwei Meter schleppte sie ihn vom Auto weg. Dann ging der 24-Jährigen die Kraft aus. Zwei Männer, die am Straßenrand standen, musste sie auffordern, ihr zu helfen. Das Auto brannte lichterloh. „Die Flammen waren richtig hoch.“

Beim schweren Unfall auf dem B 27-Abschnitt zwischen Bad Sebastiansweiler und Ofterdingen vergangene Woche war Katharina Krämer eine der ersten Helferinnen an der Unfallstelle. „Für mich war es selbstverständlich“, sagt sie: „Es ist nichts Besonderes – und das sollte es auch nicht sein.“ Jeder könne das, man müsse nur die Angst überwinden.

So ganz alltäglich ist ihr Handeln tatsächlich nicht. Der Pressesprecher der Mössinger Feuerwehr Patrick Flammer lobte am Tag nach dem Unfall die herausragende Arbeit der Ersthelfer, betonte aber auch, dass er einen solchen Einsatz selten erlebe. Neben Krämer waren noch andere Ersthelfer am Unfallort, die sich sofort um eine schwerverletzte 42-jährige Frau kümmerten, die später verstarb. Auch ihr zehnjähriger Sohn war beim Unfall ums Leben gekommen, zehn weitere Menschen wurden teils schwer verletzt. Wenn andere Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall nicht eingreifen, um Erste Hilfe zu leisten, liege das in der Regel daran, dass sie Angst davor haben, etwas falsch zu machen, sagt Kreisbrandmeister Marco Buess. Zur Hilfeleistung verpflichtet sei man in solchen Situation zwar, aber nur „im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und der eigenen Gefährdung“.

Dass sie sich selbst in Gefahr bringen könne, als sie den Mann aus seinem Auto rettete, daran habe sie keine Sekunde gedacht, erzählt Krämer. „‚Dass es knapp war, ist mir erst sehr viel später bewusst geworden.“ In diesem Moment sei für sie nur klar gewesen, dass sie den Mann aus dem Auto holen muss. „Hätte ich erst vorschriftsgemäß ein Warndreieck aufgestellt, wäre er wahrscheinlich gestorben.“ Als der 56-Jährigen in Sicherheit war, brachte Krämer ihn am Straßenrand in eine stabile Lage. Sie benachrichtigte seine Frau und wartete bei ihm, bis ein Sanitäter kam, um zu übernehmen. „Ich kenne mich ein bisschen aus“, erzählt sie. Ihr Vater ist Anästhesie- und Intensivpfleger und nebenher Ersthelfer, und außerdem: „Ich bin selber krank.“

An diesem Abend war Katharina Krämer von Tübingen aus auf dem Heimweg. Sie leidet an Morbus Crohn und fährt regelmäßig in die Universitätsstadt zur Behandlung. Arbeiten kann sie wegen ihrer schweren Krankheit nicht. Teilweise ist sie auf den Rollstuhl angewiesen, Auto fährt sie, allerdings ungern ohne Begleitung. Dass sie an diesem Tag alleine nach Tübingen unterwegs war, sei eher eine Ausnahme gewesen, meistens sind ihre Eltern oder ihr Ehemann dabei. Dass es ihr trotzdem gelungen ist, einen Mann aus einem Auto zu befreien, erklärt sie sich so: „Da ist Adrenalin ganz hilfreich.“

Zwei Stunden lang blieb Krämer am Unfallort. Weil sie sich später selbst als nicht mehr fahrtüchtig einschätzte, brachte sie ein Feuerwehrmann von der Mössinger Wehr nach Hause.

Ersthelfer am Unfallort

Besteht durch Feuer keine Gefahr, sollen Ersthelfer verletzte Personen im Auto sitzen lassen und gegebenenfalls stabilisieren, erklärt Kreisbrandmeister Marco Buess. Wenn Verletzte nach einem Unfall aus ihrem Auto gezerrt werden, kann es passieren, dass sie sich dabei noch schwerere Verletzungen zuziehen. Eine Sofortrettung ist nur bei einem triftigen Grund richtig, etwa wenn das Auto Feuer gefangen hat und deswegen Lebensgefahr besteht. Im oben beschrieben Fall sei es absolut die richtige Entscheidung gewesen, den Verletzten aus dem Auto zu ziehen, sagt Buess. Die Annahme, dass ein Wagen explodiert, wenn er Feuer gefangenen hat, sei ein Trugschluss. Dass Ersthelfer in die Situation geraten, Menschen aus Autos retten zu müssen, komme nur noch selten vor, erklärt Buess. Das liegt an der stabilen Bauweise moderner Autos. Entweder bleibt die Fahrgastzelle bei Unfällen intakt und die Insassen verletzen sich kaum, oder die Autos werden so stark beschädigt, dass sie von Hand gar nicht mehr geöffnet werden können, sondern nur noch mit speziellen Geräten.