Hausaufgaben und andere Kunstwerke

Katrin Kinsler balanciert in der Altheimer Straße Familie, Job und Kunst

„Ob man nun gerne oder nicht so gerne in Horb lebt: Hier wird man wahrgenommen. So einfach ist das“, sagt Katrin Kinsler. Schwierig werde es nur, wenn sich die eigene Wahrnehmung nicht mit der Fremdwahrnehmung decke. Katrin Kinsler, 42 Jahre alt, lebt den Spagat zwischen Familie und Kunst, zwischen freier Grafik und klar strukturiertem Lehrplan, zwischen urbanem Denken und lokalen Gegebenheiten.

16.04.2016

Von Annette Rieger

Neben der Kreativarbeit stehen für Katrin Kinsler ihre beiden Kinder Lila und Adrian im Zentrum ihres Lebens. Bild: Kuball

Neben der Kreativarbeit stehen für Katrin Kinsler ihre beiden Kinder Lila und Adrian im Zentrum ihres Lebens. Bild: Kuball

Horb. Katrin Kinsler kommt gerade mit Tochter Lila, 6 Jahre alt, vom Flötenunterricht. Der zwei Jahre ältere Adrian hat sich daheim in der Altheimer Straße schon mal an die Hausaufgaben gesetzt. Auch sie selbst geht morgen wieder in die Schule. Katrin Kinsler unterrichtet seit eineinhalb Jahren Gestaltungs- und Medientechnik an der Beruflichen Schule in Horb. Und sie lernt selbst noch dazu, zweimal pro Woche bei pädagogischen Schulungen in Karlsruhe. Bei aller Liebe zur freien Kunst braucht die zweifache Mutter ein sicheres Standbein. Dahinter steckt die Einsicht: „Es ist schlecht, wenn Du nebenher unterrichten musst. Es ist gut, wenn Du nebenher unterrichten kannst!“

Zehn Jahre sind vergangen, seit Katrin Kinsler zurück nach Horb gekommen ist. Sie hat in Stuttgart Grafikdesign studiert. Viele ihrer Freunde von der Kunstakademie sind nach Berlin, Hamburg oder zumindest in Stuttgart geblieben – dort, wo die großen Galerien sitzen, der Kunstbetrieb brummt, eigentlich jeder junge Künstler seine Chance sucht. Katrin Kinsler hat sich anders entschieden und sich mit ihrer Familie in der Altheimer Straße eingerichtet: „Ich wusste auf jeden Fall, dass ich meine Kunst mache – egal wo.“

Aus ihrem Jahrgang, so meint sie, haben es gerade einmal Drei geschafft, eine echte Künstlerexistenz aufzubauen. Katrin Kinsler hat die Kunst nie aufgegeben, sich aber dem Alter der Kinder entsprechend in Familienthemen hineingekniet. Sie hat sich im Familienzentrum engagiert, wurde für die SPD im Ortsverein zeitweise als Vorsitzende aktiv. Sie hat beim Bündnis für Familie mitgewirkt, alte und neue Kontakte aufleben lassen – und sich nach der Trennung von ihrem Mann doch auch wieder mehr und mehr zurückgezogen. Auf Dauer wurde alles ganz schön viel – die Kunst drohte auf der Strecke zu bleiben.

Vom Esstisch hoch führt eine Wendeltreppe in ihr Büro. Auch hier ist alles weiß gestrichen, hell und übersichtlich. Fein säuberlich geordnet hängen hier Garderoben-Marken etwa der Fondation Beyerle in Basel, dem Centre Pompidou in Paris, dem Museum Brandhorst in München und dem Frankfurter Kunstverein. Im Tausch gegen die Garderoben-Marken hat sie an diesen Orten Plakate ihrer Kunst hinterlassen und es so eben auch in die großen Kunsthäuser geschafft.

Die Kinslersche Ästhetik findet sich bei ihr im Alltag wie im Arbeiten – selbst an dem weiß lackierten Schaukel-Elefanten, auf dem sie als Kind schon selbst geritten ist, und der jetzt den Kindern gehört. Weiß ist auch die kleine Spardose, die Adrian, Lila und Großvater Udo Kinsler aus Spannplatten zusammen geschreinert haben. Drei kleine Flieger zieren den Geldschlitz. Dieses Jahr wollen Katrin und die Kinder erstmals in den Urlaub fliegen – und dafür muss jeder Cent gespart werden. Das Budget ist knapp, sowieso, solange noch ihre eigene Ausbildung läuft. Aber die gibt ihr eine Perspektive. Und hier nur Künstlerin sein, so meint sie, sei „auch frustrierend“.

Fehlt ihr die große weite Kunst-Welt? Katrin Kinslers Grafik-Collagen sind durchaus avantgardistisch und gewiss nicht so leicht zugänglich wie herkömmliche Volkskunst. Da wird sie schon immer mal gefragt: Was soll das? Was ist das? Warum machst Du das? Katrin Kinsler kann sich ausdrücken und erklärt gerne. Nur: Von ihrer Kunst leben kann sie in Horb nicht. Und auch beim Kunst machen stößt sie an Grenzen: Eine Ausstellung wie „Abdrift“, die sie gerade in Hechingen im Weißen Häusle“ laufen hat, kostet sie eigentlich mehr Kraft und Zeit, als sie hat. Da schlägt die Lust am künstlerischen Schaffen manchmal in Erschöpfung um.

Katrin Kinsler nimmt den langen Haken und klappt die Treppe runter, die zum Dachboden führt. Hier hat sie ihr Atelier und kann ganz für sich sein. Impulse erhält sie von überall auf der Welt via Facebook – oder ein paar Hundert Meter weiter unten im Künstlerhaus. Für Katrin Kinsler ein „Lichtblick“. Sie sagt: „Da ist ein künstlerischer Austausch, der mir entspricht. Die Stipendiaten bringen frische, neue Ideen, das ist wirklich bereichernd.“

Als Preisträgerin der Ortszeit hat Katrin Kinsler 2012 selbst ein Stipendium in Salem erhalten. Dort sei sie als Künstlerin wiederwacht. Das habe sie wieder „angezündet“ – zumal damit ein Aufenthalt in New York 2013 einherging. Sie will auf jeden Fall dranbleiben. Mit ihrem Freund, Kunsthistoriker und VHS-Leiter Sascha Falk, ist sie immer wieder auf Ausstellungen wie kürzlich in Holland und genießt diese Kunst-Trips sehr. Ob sie mit jemanden in Berlin tauschen wollte? Kinsler schüttelt den Kopf: „Nein. In Berlin hätte ich keinen Job. Und kein Geld für Kunst.“ In Horb hat sie alles, was sie braucht, um mit den Kindern gut zu leben. Haus, Garten und einmal die Woche ihre Eltern, die sich dann um die Enkel kümmern und ihr Luft verschaffen. „Für dieses Leben hier“, so sagt sie, geht sie gerne arbeiten.