Kreis Freudenstadt · Flüchtlinge

Kein Zeichen gesetzt

Der Freudenstädter Kreistag lehnte mit einer Zweidrittel-Mehrheit den Beitritt des Landkreises zum Bündnis „Sichere Häfen“ ab.

27.05.2020

Von Dunja Bernhard

Holzboot mit mehr als 300 Geflüchteten an Bord, die von der „Sea Watch“ geborgen wurden. Das Bild entstand im Januar 2018. Bild: Friedhold Ulonska

Holzboot mit mehr als 300 Geflüchteten an Bord, die von der „Sea Watch“ geborgen wurden. Das Bild entstand im Januar 2018. Bild: Friedhold Ulonska

Im den Gemeinderäten des Landkreises war das Thema vorab intensiv beraten worden. Die meisten Gremien hatten sich gegen einen Beitritt zum Bündnis „Sichere Häfen“, auch Seebrücke genannt, entschieden. Diese Positionierung spiegelte sich in der Abstimmung im Kreistag am Montag wieder. Nur elf Mitglieder stimmten für den Beitritt, darunter Christoph Enderle, Bürgermeister von Loßburg. 21 sprachen sich dagegen aus, unter ihnen die Schultes von Freudenstadt, Horb, Empfingen, Glatten, Schopfloch, Waldachtal und Dornstetten.

Die Abstimmung ging auf drei getrennte Anträge der „Frauen in den Kreistag“, der SPD und der Grünen zurück. Der erste Antrag war von der Frauenfraktion gekommen. Bärbel Altendorf-Jehle sprach am Montag von erschreckenden Bildern aus griechischen Lagern, die sie aufgerüttelt hätten. Es sei wichtig, den Menschen Hilfe anzubieten, sagte sie. „Das passt zu unserem Wertesystem.“

Wolf Hoffmann (Grüne) wurde pathetisch: „Die Teilnahme an der Aktion Seebrücke ist nur ein kleiner Schritt für den Landkreis, aber eine große Geste für die Menschlichkeit.“ Es brauche eine europäische Lösung. Die Fluchtursachen müssten bekämpft werden. In erster Linie sei der Bund zuständig, räumte er ein. „Wir sind aber alle aufgerufen, europäische Werte wie Humanität und Solidarität zu verteidigen.“ Den Menschen in unwürdigen Lagern müsse jetzt geholfen werden. „Wir werden an unseren Taten und nicht an unseren Worten gemessen.“

Vivian Weschenmoser (SPD) hielt ein flammendes Plädoyer: Das seien nicht nur deutsche, sondern christliche Werte und humanitäre Grundsätze. Die Beschlussvorlage war ihr zu „undeutlich“. „Sollte sich der Bund dazu entschließen, das Angebot der ‚Sicheren Häfen‘ anzunehmen und auf deren Kosten mehr Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen, würden diese auf die Mitglieder des Bündnisses verteilt“, heißt es da. Die zugeteilten Flüchtlinge seien dann auf Kosten des Landkreises unterzubringen und zu betreuen. „Die Seebrücke kann nicht verpflichten, dass die Mitglieder das umsetzen müssen“, betonte Weschenmoser. Zunächst handle es sich um eine Solidaritätsbekundung. Wenn Flüchtlinge aufgenommen werden, dann könnten Kommunen gucken, ob sie die Kontingente verwirklichen. „Wir sprechen viel über Kinder in Not.“ In Europa gebe es jedoch Widerstände, Kinder aus den Lagern aufzunehmen. „Die Lager sind keine Zustände, in denen Kinder aufwachsen sollten.“

Gerhard Gaiser (SPD) las das Statement des erkrankten Landrats Klaus Michael Rückert vor: Er unterstütze den Antrag, weil er seinen christlichen Ansichten entspreche.

Stefanie Kattner, Dezernentin im Landratsamt, informierte über die Kosten: Pro erwachsenem Flüchtling seien das 15000 bis 20000 Euro im Jahr – ohne Krankenkosten. Bei unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen seien es in der Regel 65000 Euro pro Jahr. Diese Mittel müsse der Kreis aufbringen. Eine Erstattung vom Land gebe es bisher nicht.

Uwe Hellstern (AfD) beantragte, den Tagesordnungspunkt zu vertagen, bis der Kreis sich auf eine Obergrenze festgelegt habe, und damit die Kosten abzusehen seien. Später stimmt er selbst dieser Vertagung nicht zu. „Ich frage mich, ob wir das für die Kreisbürger verantworten können, in der derzeitigen Situation und ohne Kostenfestsetzungen.“

Adolf Rolf Megnin (CDU) sagte: „Jeder möchte das Ertrinken von Flüchtlingen verhindern.“ Bisher sei die Integration aber nur unzureichend gelungen. Hinzu komme, dass Deutschland vor der größten Rezession seit den zwei Weltkriegen stehe. „Jeder, der dem Antrag zustimmt, hat sein Gewissen beruhigt“, sagte Megnin, „aber er muss sich im Klaren sein, dass er damit Parteien unterstützt, die sich im rechten Spektrum befinden.“

Altenburg-Jehle forderte, dass Parteipolitik bei der Entscheidung keine Rolle spielen dürfe. Die Maßgabe könne nicht sein: „Wir lassen Flüchtlinge ertrinken, dann wählen Leute nicht AfD.“ Der Kreis habe hier eine kleine Möglichkeit, zu helfen.

Hellstern (AfD) verwahrte sich dagegen, dass die AfD Flüchtlingen Böses wünsche. „Die Zustände in Lagern sind auch für AfD inakzeptabel“, sagte er. Er kritisierte, dass Mittelmeerländer EU-Mittel, die sie als Flüchtlingshilfe bekommen, anderweitig verwendeten. Mit der zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen fördere Deutschland dieses Vorgehen, behauptete er und forderte: Die Politik sollte Druck auf diese Länder ausüben. „Wir machen vielen jungen Männern Mut, dass sie nach Europa kommen könnten.“ Hellstern hält es für sinnvoller, die Fluchtursachen mit EU-Mitteln zu bekämpfen. Das ist für ihn mehr eine humanitäre Sache, als wenn für die Integration weniger Flüchtlinge „ein Haufen Geld“ ausgegeben werde.

Gerhard Gaiser: „Die AfD gebärdet sich als Wolf im Schafspelz.“ Sie sei gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. „Wir reden hier über Menschenleben und nicht über Investitionssummen.“ Jeder Einzelne solle sich seiner Verantwortung bewusst sein.

Elisabeth Gebele (Grüne) hielt der Sorge um die Finanzmittel entgegen: „Deutschland wird nach Corona deutlich besser dastehen als Griechenland.“ Sie bat ihre Kreistagskollegen: „Bitte lasst Humanität walten.“

Dornstettens Bürgermeister Bernhard Haas (CDU) positionierte sich deutlich: „Flüchtlingsaufnahme ist eine europäische Aufgabe.“ Im Kreis müsse man sich fragen, ob das Jugendamt diese Aufgabe auch noch bewältigen könne. Durch die Corona-Pandemie hätten die Mitarbeiter schon einiges zusätzlich zu tun.

Der erste Landesbeamte Reinhard Geiser entgegnete, das sei spekulativ und keine seriöse
Aussage.

Freudenstadts Bürgermeisterin Stephanie Hentschel (FWV) sagte: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine grundsätzliche Diskussion führen.“ Die „Seebrücke“ gehe über die Unterstützung einzelner Flüchtlinge hinaus. Die Aufnahme im Kreis sah sie jedoch kritisch: Entsprechende Einrichtungen hätten keine freien Plätze, das Jugendamt habe nicht genügend Personal. „Gut gemeint ist nicht gut gemacht.“

Ernst Wolf signalisierte Verständnis für das Anliegen. Der Kreistag sei aber die falsche Adresse. Der Kreis habe in den vergangenen Jahren genügend Aufgabenzuwachs gehabt. Es gebe auch private Möglichkeiten, sich zu engagieren, sagte er. „Man muss nicht gleich nach Kreis oder Kommune rufen.“

Christoph Enderle, Bürgermeister von Loßburg, war von seinem Gemeinderat beauftragt worden „ein Statement ‚Pro Seebrücke‘ als politisches Signal abzugeben“. Seit 2015 seien nur zwei Kommunen im Landkreis bereit gewesen, Jugendliche aufzunehmen. „Eine davon war Loßburg.“ Andere Kommunen erfüllten nicht mal das normale Kontingent. „Wenn die Zuweisung kommt, die Geld kostet, müssen wir zustimmen.“, sagte er. Sonst sei die Entscheidung für die Seebrücke eine scheinheilige.

Freudenstadts OB Julian Osswald sagte: „Mit dem Beschluss werden wir nicht ein Menschenleben retten.“ Rottenburg, Sicherer Hafen, habe noch keinen Flüchtling zugewiesen bekommen. „Ich bin dafür, Dinge zu entscheiden, bei denen ich etwas bewegen kann.“

Klaas Klaassen sah die Verantwortung im Bereich des Bundes. Der Kreistag sei nicht die Außenstelle der Bundesregierung. „Fluchtursachen müssen vor Ort angegangen werden.“

Sichere Häfen

In Baden-Württemberg sind 22 Städte und Gemeinden, darunter Rottenburg, Herrenberg, Tübingen und Freiburg, sowie zwei Landkreise dem Bündnis „Sichere Häfen“ beigetreten. Deutschlandweit sind es 154 Kommunen und Kreise. Ein Beitritt zu dem Bündnis ist zunächst mal eine öffentliche Solidaritätserklärung. Er ist nicht zwingend gleichbedeutend mit einer Aufnahme von Flüchtlingen über die Verteilungsquote hinaus. Diese können Kommunen und Landkreise zusätzlich beschließen. Rottenburg hat das getan. Freiburg nicht.