Wohnungsnot: Zum Vermieten zwingen

Keine Wohnung in Tübingen soll mehr leerstehen

Mit einem Zweckentfremdungsverbot will die Stadt Hauseigentümer zum Vermieten zwingen.

06.10.2016

Von Sabine Lohr

Auch in diesem Haus im Schleifmühleweg, direkt am Haagtorplatz, stehen seit geraumer Zeit Wohnungen leer. Die Eigentümer müssen deshalb mit einem Bußgeldbescheid rechnen. Bild: Metz

Auch in diesem Haus im Schleifmühleweg, direkt am Haagtorplatz, stehen seit geraumer Zeit Wohnungen leer. Die Eigentümer müssen deshalb mit einem Bußgeldbescheid rechnen. Bild: Metz

Wer eine Wohnung in Tübingen besitzt, sie aber nicht vermietet, muss künftig tief in die Tasche greifen: Bis zu 50000 Euro Bußgeld verhängt die Stadt dann. Das beschloss der Gemeinderat am Montag gegen die Stimmen von CDU, FDP, Teilen der Tübinger Liste und Jürgen Steinhilber.

In der jetzt verabschiedeten „Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum“ gibt es allerdings viele Ausnahmen. So ist es in Tübingen – anders als etwa in Konstanz – nicht verboten, Wohnungen in Ferienwohnungen zu verwandeln oder Büros darin unterzubringen. Geahndet wird lediglich der Leerstand. Und auch das nicht in jedem Fall. Geht jemand etwa für ein Jahr ins Ausland und lässt seine Mietwohnung in dieser Zeit leerstehen, wird das nicht sanktioniert. Und auch die Seniorin, die ins Pflegeheim zieht, ihre Wohnung aber noch behält, muss kein Bußgeld bezahlen.

Das Prozedere erklärte Oberbürgermeister Boris Palmer so: Erfährt die Verwaltung, dass irgendwo eine Wohnung seit einem halben Jahr oder länger nicht bewohnt ist, schickt sie einen Vertreter zur Besichtigung hin. Stellt der dann fest, dass die Wohnung tatsächlich leer-steht, wird der Hauseigentümer schriftlich nach den Gründen für den Leerstand gefragt. Die könnten durchaus nachvollziehbar sein: Vielleicht hat er vor, die Wohnung zu sanieren. Oder sein Kind soll demnächst einziehen. In derartigen begründeten Fällen wartet die Verwaltung zunächst ab, ob der Plan in die Tat umgesetzt wird. Ist das nicht der Fall, wird nachgehakt. Bleibt die Wohnung weiterhin leer, kommt der Bußgeldbescheid. Die Höhe der Strafe legt die Verwaltung fest. Sie kann bis zu 50000 Euro betragen – und wird erneut verhängt, wenn die Wohnung weiterhin sechs Monate leersteht.

Schon vor den Sommerferien wollte Palmer die Satzung im Gemeinderat durchbringen, doch etliche Fraktionen hatten Änderungswünsche. So wollte die Linke, dass auch die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen verboten werden soll. Das aber lehnt die Verwaltung ab. Ferienwohnungen seien erwünscht, es bestehe ein Bedarf. Außerdem gebe es in Tübingen noch nicht so viele Ferienwohnungen, dass deshalb der Wohnungsmarkt leiden würde.

Die SPD wollte, dass Einliegerwohnungen leer stehen dürfen. Doch juristisch gibt es diesen Begriff gar nicht mehr. Palmer: „Es geht uns um langfristigen, großflächigen Leerstand, nicht um 20-Quadratmeter-Wohnungen.“ Bei kleinen Einliegerwohnungen habe die Verwaltung kein „Verfolgungsinteresse“: „Solange sie möbliert ist und der Besitzer sagt, er nutze sie ab und zu, haben wir keine Handhabe.“

FDP, CDU und Tübinger Liste hatten vor den Ferien einige Ergänzungen und rechtstechnische Klärungen in der Satzung angemahnt und die Vertagung auf eine Sitzung nach den Ferien beantragt. Diese Zeit solle, so hieß es in der Begründung, dazu genutzt werden, „diese Satzung auf eine möglichst große Mehrheit im Gemeinderat stellen zu können“.

Palmer hatte deshalb damit gerechnet, dass diese Fraktionen die Satzung nach der gewünschten Klärung dann auch mittragen würden. Das taten sie aber nicht. In ihren Stellungnahmen lehnten CDU, FDP, ein Teil der Tübinger Liste und der fraktionslose Jürgen Steinhilber das Zweckentfremdungsverbot grundsätzlich ab. „Ich fühle mich hinters Licht geführt“, sagte Palmer verärgert. Er sehe keine konstruktive Mitarbeit dieser Fraktionen und kein Vertrauen in die Verwaltung.

Schließlich wurde das Zweckentfremdungsverbot mit 24 Stimmen beschlossen, elf Räte stimmten dagegen.

Linke beantragte erneut die Vertagung

Eine öffentliche Anhörung beantragte die vierköpfige Fraktion der Linken. Sie wollten, dass unter anderem der Mieterbund, der Hausbesitzerverein Haus und Grund, die Wohnraumstelle der Stadt und das Tübinger Wohnungsbündnis zu der Satzung befragt werden. OB Palmer sagte, es habe Gespräche mit allen gegeben. Weil keine neuen Argumente mehr zu erwarten seien, spreche auch die Zeit gegen diesen Antrag. Neben der Linken stimmten die FDP und einige Mitglieder der Tübinger Liste für die Anhörung und Vertagung – zusammen 14 Stadträte.

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Erstellt:
06.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 06.10.2016, 01:00 Uhr

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