Jugend-Sex gegen Erwachsenen-Gewalt. Larry Clarks illusionsloser Report aus der Vorstadt-Hölle

Ken Park

Jugend-Sex gegen Erwachsenen-Gewalt. Larry Clarks illusionsloser Report aus der Vorstadt-Hölle

24.11.2015

Ken Park

Wenn subtropische Warmluft in unsere Breiten strömt und das Thermometer an der 30-Grad-Marke kratzt, werden manche Menschen wunderlich. Gern pflanzen sie sich dann nackig in ihre Vorgärten oder tragen ihre schweißperlenden Schwabbelbäuche sogar in aller Öffentlichkeit spazieren.

„Hundstage? wäre aber kein Film von Ulrich Seidl, wenn es bei solchen harmlosen Schrullen bliebe. Der österreichische Regisseur wurde bekannt mit Dokumentarfilmen, in denen er oft dicht an der Grenze zur Denunziation das Alltagselend der so genannten kleinen Leute auf der Leinwand ausbreitete. Sein bekanntester Film „Tierische Liebe? zeigt die (auch erotischen) Zudringlichkeiten, mit denen vereinsamte Menschen ihren Vierbeinern auf die Pelle rücken. Seidls Thema ist die Einsamkeit, die vergebliche Suche nach Glück, die ungehört verhallenden Schreie nach Liebe. „Hundstage?, Seidls erster Spielfilm, variiert dieses Motiv - und erweitert es um die Aggressionen, die aus dem aufgestauten Lebensfrust hervorbrechen. Der äußere Rahmen ist ein Wochenende während einer sommerlichen Hitzewelle, die alle moralischen und sexuellen Hemmschwellen wegspült.

Im Short-Cuts-Stil konfrontiert uns der Film mit einer Handvoll normal kaputter Existenzen aus dem Kleinbürger- und Proleten-Milieu. Schauplatz ist eine zwischen Möbelmärkten und Ausfallstraßen eingekeilte Stadtrandsiedlung im Süden von Wien: eine Ansammlung identischer Einfamilienhäuser mit überdimensionierten Garagentoren und Meister-Propper-blanken Badezimmern. Dort, wo in Fernsehserien stilles Familienglück wohnt, ist bei Seidl die Hölle los. In den freundlicheren Fällen erkennt man sie an Lebensekel und chronischem Stumpfsinn; in den schlimmeren an nackter Brutalität, vor allem gegen Frauen.

Zum Beispiel: Eine nicht mehr ganz junge Lehrerin wird von ihrem Zuhälter-Freund und dessen tumben Kumpel zu Sauf-Exzessen gezwungen und anschließend zur Gaudi in die Kloschüssel getunkt. Ein Detektiv soll Fälle von Vandalismus an parkenden Autos aufklären; weil er nichts herausfindet, liefert er eine psychisch kranke Frau dem Zorn des Pöbels aus. Ein Ehepaar vegetiert seit dem Tod ihres Kindes schweigend nebeneinander her; die Frau quält ihren Mann, indem sie sich vor dessen Augen mit ihrem Liebhaber vergnügt. Es ist ein gehämmertes Stakkato des Demütigens und Gedemütigtwerdens, ein Teufelskreis von Terror, Verzweiflung und hilflosem Aufbegehren, das den Film beherrscht. Kaum auszuhalten wäre das, würde der Regisseur zur Entlastung nicht auch einige eher ulkige Rituale einstreuen: Etwa die Geschichte vom Rentner, der zu Hause jedes Päckchen Zucker nachwiegt, um hinterher den Supermarkt-Leiter verseckeln zu können.

Wer nun glaubt, Seidl sei einer dieser üblich verdächtigen Zyniker, die wildgewordene Kleinbürger am Nasenring vorführen, täuscht sich allerdings. Für ein ödes Spießer-Bashing agieren seine Schauspieler (die Hälfte davon sind Laien) viel zu lebensecht, sind das Milieu und die kranken Beziehungen seiner Angehörigen viel zu authenisch gezeichnet. Dass der Film wegen seiner bizarren Kamera-Perspektiven und dem Dauergleißen des Sonnenlichts teilweise einen surrealen Touch hat, ändert daran nichts.

Ganz tief im Herzen ist Seidl ein trauernder Moralist. Das merkt man spätestens, wenn er gegen Ende des Films mit dem Mut der Verzweiflung ein paar Hoffnungstupfer über das finstere Sittenbild verteilt.