Braves Biopic, über einen Sexbuchhalter, der der Prüderie das Fürchten lehrte.

Kinsey

Braves Biopic, über einen Sexbuchhalter, der der Prüderie das Fürchten lehrte.

24.11.2015

Von Gunther Reinhardt

Kinsey

Einen Sexpapst stellt man sich anders vor. Liam Neeson lässt Alfred Kinsey, dessen Geschlechterstudien in den 40er Jahren das prüde Amerika aufschreckten, mit steifem Kragen und schief sitzender Fliege wie den Buchhalter des Sex aussehen. Und anders als die Kinobiografien über Ray Charles oder Howard Hughes berichtet „Kinsey? nicht von einer Existenz zwischen Höhenflug und Absturz, sondern von einem Leben für die Wissenschaft.

Regisseur Bill Condon führt vor, wie der Zoologe zufällig die menschliche Sexualität als Studienobjekt entdeckt. Mit der gleichen Akribie, die er der Gallwespe zukommen ließ, sammelt er nun Sex-Daten, führt tausende Interviews und schockt die Öffentlichkeit mit Erkenntnissen, dass 92 Prozent aller Männer sich selbst befriedigen oder fast die Hälfte aller Frauen Sex vor der Ehe hatten.

Kinsey wird als Pionier und Märtyrer, vor allem aber als enthusiastischer Datensammler porträtiert, der aus wissenschaftlicher Neugier schon mal eine homosexuelle Affäre eingeht, und Gefühle aus seinen Studien raushalten will. „Liebe kann man nicht vermessen. Und wo man nichts messen kann, gibt es keine Wissenschaft?, sagt er.

Auch Condon gefällt sich als unsentimentaler Chronist des Zeitalters der sexuellen Aufklärung. Zwar beweist er ab und zu ein Gespür für doppelbödige Bilder, lässt den Mad-Scientist-Topos anklingen und macht sich einen Spaß daraus, Tim Curry aus der „Rocky Horror Picture Show? einen Lustfeind mimen zu lassen. Doch zumeist begnügt er sich damit, Kinseys Leben brav nachzuerzählen und Fakten anzuhäufen, so dass der Film letztlich wie eines von dessen Zahlenwerken wirkt. Allerdings eines, das kaum mehr zum Aufreger taugt.