Gericht

Klare Tötungsabsicht

Das Landgericht Rottweil hat den 31-jährigen Messerstecher aus dem Horber Real verurteilt – wegen Totschlags. Doch auch Mord kam in Frage.

20.03.2018

Von Nathanael Häfner

Das Landgericht Rottweil verurteilte den 31-Jährigen wegen Totschlags.Archivbild: Addicks

Das Landgericht Rottweil verurteilte den 31-Jährigen wegen Totschlags.Archivbild: Addicks

Nach sieben Verhandlungstagen und 37 befragten Zeugen fällte das Landgericht Rottweil gestern das Urteil gegen den Real-Messerstecher. Die Große Strafkammer entschied auf 8 Jahre und 10 Monate Freiheitsstrafe wegen Totschlags bei verminderter Schuldfähigkeit. Damit folgte sie der Staatsanwaltschaft. Vor Haftbeginn bleibt der verurteilte 31-Jährige auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie.

„Bei einer Frage haben wir es uns nicht leicht gemacht“, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht Karlheinz Münzer. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Totschlags angeklagt. Intensiv prüfte die Große Strafkammer aus drei Richtern und zwei Schöffen, ob die Tat ein Mord und damit die schwerste Straftat war. Das Strafmaß wäre dadurch erhöht. Für einen Mord muss ein Täter aus einem niederen Beweggrund handeln. In diesem Fall sei das möglicherweise Heimtücke gewesen, sagte Münzer. Das Opfer habe sich nicht wehren können, eine Tötung wegen zu lauter Kunden sei ein nichtiger Grund. Außerdem sei es durchaus heimtückisch, wenn ein Verletzungsvorsatz, die anfängliche Schlägerei, sich in einen Tötungsvorsatz wandle.

Allerdings sei der Angeklagte schwer psychisch krank, entscheidend sei die subjektive Wahrnehmung des Angeklagten bei der Tat. Er habe in seinem Zustand nicht einschätzen können, ob und dass das Opfer arglos war. Daher blieb das Landgericht bei Totschlag.

Zwischen Mord und Totschlag abzuwägen war eine zentrale Frage des Prozesses. Zweitens musste das Gericht entscheiden, ob der 31-Jährige am 13. Juli 2017 vermindert oder überhaupt nicht schuldfähig war. Bei Letzterem wäre der Angeklagte freigesprochen worden. Darauf hatte die Verteidigung plädiert; in die Psychiatrie hätte der Angeklagte aber in jedem Fall gemusst.

Bei vergangenen Urteilen bedeute paranoide Schizophrenie oft vollständige Schuldunfähigkeit, erklärte Münzer. Das sei aber kein Automatismus. Stattdessen befasste sich das Landgericht intensiv mit dem konkreten Fall. Für das bessere Verständnis ist es zunächst wichtig, den Weg bis zur Tat nachzuvollziehen.

Der Verurteilte hat schon vor fünf Jahren Schizophrenie diagnostiziert bekommen. Spätestens seitdem war der Angeklagte schwer psychisch krank, sagte Richter Münzer. Daher bekam er damals einen gesetzlichen Betreuer als Vormund zugeteilt. Nachdem er sich 2013 und 2014 jeweils mehrere Wochen in Psychiatrien befunden hatte, besserte sich sein Zustand zeitweise. Vor zwei Jahren nahm er das verschriebene Psycholeptikum ein und arbeitete bei der Diakonie.

War Zwangseinweisen möglich?

Doch Anfang 2017 nahm der Verurteilte keine Tabletten mehr. Er habe seine Krankheit nicht eingestanden, sagte Münzer. In den Wochen vor der Tat machte der Verurteilte mit Todesdrohungen gegen Angehörige und seinen Betreuer auf sich aufmerksam. Ende Mai hielt er sich das letzte Mal vor der Tat für sechs Tage in der Psychiatrie Freudenstadt auf. Die Verantwortlichen entließen den Angeklagten am 1. Juni 2017, da „keine Eigen- oder Fremdgefährdung“ vorgelegen habe. Laut psychiatrischem Gutachter hätte der Angeklagte weiter behandelt werden müssen. Neun Tage vor der Tat sprach der nunmehr Entlassene mit einer Ärztin. Bei dem Gespräch fantasierte der Verurteilte vom Kosovokrieg und seiner Kampfstärke. „Ich habe schon viel getötet“, sagte er direkt nach der Tat, aber auch an jenem 4. Juli. Als Fünfjähriger flüchtete er mit der Familie aus dem Kosovo, vor dem Totschlag hatte er sich nur mit mehrfachem Schwarzfahren strafbar gemacht.

Noch zwei Tage vor der Tat diskutierten der Betreuer und die Ärztin Optionen. Gesetzliche Betreuer psychisch Kranker können vor dem Betreuungsgericht eine Zwangsbehandlung in der Psychiatrie anordnen. „Die Selbstbestimmung des Menschen ist ein hohes Gut in Deutschland“, sagte der Richter am Montag. Vor Gericht habe der Betreuer anschaulich dargestellt, dass das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Baden-Württemberg enorme Hürden für eine derartige Zwangseinweisung aufweist.

Am 13. Juli 2017 war er nicht eingewiesen, sondern arbeitete im Imbiss. Seit einem halben Jahr hatte sich sein Zustand konstant verschlechtert. War er an dem Tattag schuldunfähig?

„Wir haben ein eindeutiges Bild“, sagte Karlheinz Münzer. Durch die Schizophrenie sei zwar die Impulskontrolle und damit auch die Steuerungsfähigkeit eingeschränkt. Eine gemilderte Schuldunfähigkeit sei daher gegeben. Leichte Reize, die ein gesunder Mensch schnell abtut, können bei solchen Kranken ein Trigger sein. Ein derart leichter Reiz war die laute Unterhaltung des Opfers mit seinen zwei Bekannten inmitten des zur Mittagszeit vollen Imbisses. Der Verurteilte warf das Opfer raus. Der Getötete kehrte zurück und versetzte dem Verurteilten laut Landgericht „einen leichten Nackenschlag“, woraufhin die fatale Schlägerei begann. Reizüberflutet habe der 31-Jährige völlig unangemessen reagiert, betonte der Richter. Der Schlag des Opfers sei nur eine Nickligkeit, eine „Respektschelle“ gewesen.

Gänzlich schuldunfähig war der Verurteilte laut Urteil aber nicht.

Entscheidend für den Richter: Der Verurteilte handelte nicht in einem Wahn oder folgte Stimmen. Bei einem solchen psychotischen Schub wäre eine vollständige Schuldunfähigkeit möglich gewesen. Der Verurteilte sei jedoch einsichtsfähig gewesen, denn nach dem letzten und vierten Stich sagte er „Jetzt bist du tot.“ Zudem erwartete er die Polizei und war sich folglich seiner Tat bewusst. Schließlich müsse jedem klar sein, dass wuchtige Stiche ins Herz töten, sagte Münzer.

Vor Haftantritt in Psychiatrie

Vergangene Woche hatte der Verteidiger Notwehr ins Spiel gebracht. Das verneinte der Richter klar. Noch im Imbiss habe sich das Opfer nach gegenseitigen Faustschlägen berappeln wollen. Dann holte der Verurteilte das Messer, eine Zäsur. Ab dann verlagerte sich der Kampf nach draußen, der 31-Jährige habe töten, das Opfer nur noch flüchten wollen. Man könne in dieser Phase des Kampfes nicht mehr von Verteidigung oder gar Notwehr sprechen, sagte der Richter.

Totschlag mit verminderter Schuldfähigkeit erlaubt bis zu 11 Jahre und 3 Monate Haft. Mit dem Urteil von 8 Jahren und 10 Monaten bewegt sich das Landgericht im oberen Drittel des Strafrahmens. Die Große Strafkammer berücksichtigte das Leid der Hinterbliebenen besonders. Der Getötete hatte drei Kinder (1, 3 und 5 Jahre alt) und war verheiratet. Auch der öffentliche Charakter des Totschlags wog schwer. Zahlreiche unbeteiligte Zeugen wie Schüler und Real-Kassiererinnen mussten die Bluttat mit ansehen.

Vor Haftantritt muss der Verurteilte in die Psychiatrie. Aus zwei Gründen: Der 31-Jährige könnte unbehandelt erneut zuschlagen, sagte der Richter. Außerdem zielt die psychiatrische Behandlung auf eine Besserung. Bis diese erreicht ist und der Verurteilte aus der Psychiatrie entlassen wird, ist nicht vorherzusagen. Erst nach der Entlassung – ob nach zwei, fünf oder zehn Jahren – beginnt die eigentliche Freiheitsstrafe.

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20.03.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 12sec
zuletzt aktualisiert: 20.03.2018, 01:00 Uhr

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